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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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ehemaligen Lehrers, aus dem Französischen des
Mr. Florian übersetzt hatte. Ich hörte ein selt¬
sames Geräusch, Gurren und Krabbeln an der
Wand, schlug einen hölzernen Schieber zurück
und steckte den Kopf hindurch in -- den heißen
Taubenschlag, welcher alsobald in solchen Allarm
gerieth, daß ich mich zurückziehen mußte. Ferner
entdeckte ich die Schlafzimmer der Töchter, stille
Gelasse mit grünen Fenstergärtchen und überdies
von treuen Baumwipfeln bewacht, mit geretteten
Stücken blumiger Tapeten bekleidet, wo die zahl¬
reichen Rokokospiegel des ehemaligen Herrensitzes
eine ehrenvolle Zurückgezogenheit gefunden hat¬
ten; so auch die große Kammer der Söhne, welche
mit den Spuren einiger nicht zu tiefen Studien
und den Werkzeugen des ländlichen Müssiggan¬
ges, mit Angelzeug und Vogelgarnen verziert
war.

Gegen Osten sahen die Fenster des Hauses in
das Wirrsal von Obstbäumen und Dachgiebeln
des Dorfes, aus welchem der erhöhte Kirchhof
mit der schneeweißen Kirche wie eine geistliche
Festung emporragte, nach der Abendseite schaute

ehemaligen Lehrers, aus dem Franzoͤſiſchen des
Mr. Florian uͤberſetzt hatte. Ich hoͤrte ein ſelt¬
ſames Geraͤuſch, Gurren und Krabbeln an der
Wand, ſchlug einen hoͤlzernen Schieber zuruͤck
und ſteckte den Kopf hindurch in — den heißen
Taubenſchlag, welcher alſobald in ſolchen Allarm
gerieth, daß ich mich zuruͤckziehen mußte. Ferner
entdeckte ich die Schlafzimmer der Toͤchter, ſtille
Gelaſſe mit gruͤnen Fenſtergaͤrtchen und uͤberdies
von treuen Baumwipfeln bewacht, mit geretteten
Stuͤcken blumiger Tapeten bekleidet, wo die zahl¬
reichen Rokokoſpiegel des ehemaligen Herrenſitzes
eine ehrenvolle Zuruͤckgezogenheit gefunden hat¬
ten; ſo auch die große Kammer der Soͤhne, welche
mit den Spuren einiger nicht zu tiefen Studien
und den Werkzeugen des laͤndlichen Muͤſſiggan¬
ges, mit Angelzeug und Vogelgarnen verziert
war.

Gegen Oſten ſahen die Fenſter des Hauſes in
das Wirrſal von Obſtbaͤumen und Dachgiebeln
des Dorfes, aus welchem der erhoͤhte Kirchhof
mit der ſchneeweißen Kirche wie eine geiſtliche
Feſtung emporragte, nach der Abendſeite ſchaute

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[22/0032] ehemaligen Lehrers, aus dem Franzoͤſiſchen des Mr. Florian uͤberſetzt hatte. Ich hoͤrte ein ſelt¬ ſames Geraͤuſch, Gurren und Krabbeln an der Wand, ſchlug einen hoͤlzernen Schieber zuruͤck und ſteckte den Kopf hindurch in — den heißen Taubenſchlag, welcher alſobald in ſolchen Allarm gerieth, daß ich mich zuruͤckziehen mußte. Ferner entdeckte ich die Schlafzimmer der Toͤchter, ſtille Gelaſſe mit gruͤnen Fenſtergaͤrtchen und uͤberdies von treuen Baumwipfeln bewacht, mit geretteten Stuͤcken blumiger Tapeten bekleidet, wo die zahl¬ reichen Rokokoſpiegel des ehemaligen Herrenſitzes eine ehrenvolle Zuruͤckgezogenheit gefunden hat¬ ten; ſo auch die große Kammer der Soͤhne, welche mit den Spuren einiger nicht zu tiefen Studien und den Werkzeugen des laͤndlichen Muͤſſiggan¬ ges, mit Angelzeug und Vogelgarnen verziert war. Gegen Oſten ſahen die Fenſter des Hauſes in das Wirrſal von Obſtbaͤumen und Dachgiebeln des Dorfes, aus welchem der erhoͤhte Kirchhof mit der ſchneeweißen Kirche wie eine geiſtliche Feſtung emporragte, nach der Abendſeite ſchaute

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/32>, abgerufen am 26.04.2024.