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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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habe einmal einem Droschkenkutscher in der Zerstreutheit ein
Zehnpfennigstück zu viel gegeben und sich darüber so sehr ge¬
ärgert, daß er befürchtete, bankerott zu werden.

Meister Timpe wurde durch die eintretende Heiterkeit
mit fortgerissen, bis er endlich sagte:

"Ihr macht ihn schlechter, als er in Wirklichkeit ist, Kinder.
Ich habe ihn kennen gelernt, als ich meines Sohnes wegen
mit ihm Rücksprache nehmen mußte, und ich kann sagen, daß
er mir wie Jemand vorgekommen ist, der die Welt und die
Menschen kennt." --

"Und sie deshalb gehörig ausbeutet," fiel Thomas Beyer
brummend ein.

Meister Timpe zuckte die Achseln und erwiderte:

"Ein Kaufmann muß rechnen, sonst geht er zu Grunde",
sagt mein Franz immer. "Es ist nun einmal in der Welt
so, lieber Beyer, daß jeder seinen Vortheil sucht."

"Aber der liebe Herrgott hat die Erde nicht dazu ge¬
schaffen, Meister, daß die Einen Alles haben und die Anderen
Nichts," gab der redselige Altgeselle zurück. "Da habe ich
neulich einen Vortrag gehört --"

Johannes Timpe unterbrach ihn mit einer Handbewegung.

"Weiß schon, weiß schon, lieber Beyer! -- Sie be¬
rufen sich immer auf die Vorträge . . . Sie scheinen übrigens
in der letzten Zeit gefährliche Gedanken bekommen zu haben."

Meister Timpe drohte lächelnd mit dem Finger und fuhr
dann fort:

"Laß Jeden thun und Jeden haben, was er will. Der
Werth des Lebens besteht nicht darin, zu sagen, ich bin das
und das und ich besitze das und das, sondern darin, daß der
Mensch sagt: Ich bin zufrieden. Liebe zur Arbeit, Neidlosig¬

habe einmal einem Droſchkenkutſcher in der Zerſtreutheit ein
Zehnpfennigſtück zu viel gegeben und ſich darüber ſo ſehr ge¬
ärgert, daß er befürchtete, bankerott zu werden.

Meiſter Timpe wurde durch die eintretende Heiterkeit
mit fortgeriſſen, bis er endlich ſagte:

„Ihr macht ihn ſchlechter, als er in Wirklichkeit iſt, Kinder.
Ich habe ihn kennen gelernt, als ich meines Sohnes wegen
mit ihm Rückſprache nehmen mußte, und ich kann ſagen, daß
er mir wie Jemand vorgekommen iſt, der die Welt und die
Menſchen kennt.“ —

„Und ſie deshalb gehörig ausbeutet,“ fiel Thomas Beyer
brummend ein.

Meiſter Timpe zuckte die Achſeln und erwiderte:

„Ein Kaufmann muß rechnen, ſonſt geht er zu Grunde“,
ſagt mein Franz immer. „Es iſt nun einmal in der Welt
ſo, lieber Beyer, daß jeder ſeinen Vortheil ſucht.“

„Aber der liebe Herrgott hat die Erde nicht dazu ge¬
ſchaffen, Meiſter, daß die Einen Alles haben und die Anderen
Nichts,“ gab der redſelige Altgeſelle zurück. „Da habe ich
neulich einen Vortrag gehört —“

Johannes Timpe unterbrach ihn mit einer Handbewegung.

„Weiß ſchon, weiß ſchon, lieber Beyer! — Sie be¬
rufen ſich immer auf die Vorträge . . . Sie ſcheinen übrigens
in der letzten Zeit gefährliche Gedanken bekommen zu haben.“

Meiſter Timpe drohte lächelnd mit dem Finger und fuhr
dann fort:

„Laß Jeden thun und Jeden haben, was er will. Der
Werth des Lebens beſteht nicht darin, zu ſagen, ich bin das
und das und ich beſitze das und das, ſondern darin, daß der
Menſch ſagt: Ich bin zufrieden. Liebe zur Arbeit, Neidloſig¬

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[32/0044] habe einmal einem Droſchkenkutſcher in der Zerſtreutheit ein Zehnpfennigſtück zu viel gegeben und ſich darüber ſo ſehr ge¬ ärgert, daß er befürchtete, bankerott zu werden. Meiſter Timpe wurde durch die eintretende Heiterkeit mit fortgeriſſen, bis er endlich ſagte: „Ihr macht ihn ſchlechter, als er in Wirklichkeit iſt, Kinder. Ich habe ihn kennen gelernt, als ich meines Sohnes wegen mit ihm Rückſprache nehmen mußte, und ich kann ſagen, daß er mir wie Jemand vorgekommen iſt, der die Welt und die Menſchen kennt.“ — „Und ſie deshalb gehörig ausbeutet,“ fiel Thomas Beyer brummend ein. Meiſter Timpe zuckte die Achſeln und erwiderte: „Ein Kaufmann muß rechnen, ſonſt geht er zu Grunde“, ſagt mein Franz immer. „Es iſt nun einmal in der Welt ſo, lieber Beyer, daß jeder ſeinen Vortheil ſucht.“ „Aber der liebe Herrgott hat die Erde nicht dazu ge¬ ſchaffen, Meiſter, daß die Einen Alles haben und die Anderen Nichts,“ gab der redſelige Altgeſelle zurück. „Da habe ich neulich einen Vortrag gehört —“ Johannes Timpe unterbrach ihn mit einer Handbewegung. „Weiß ſchon, weiß ſchon, lieber Beyer! — Sie be¬ rufen ſich immer auf die Vorträge . . . Sie ſcheinen übrigens in der letzten Zeit gefährliche Gedanken bekommen zu haben.“ Meiſter Timpe drohte lächelnd mit dem Finger und fuhr dann fort: „Laß Jeden thun und Jeden haben, was er will. Der Werth des Lebens beſteht nicht darin, zu ſagen, ich bin das und das und ich beſitze das und das, ſondern darin, daß der Menſch ſagt: Ich bin zufrieden. Liebe zur Arbeit, Neidloſig¬

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/44>, abgerufen am 26.04.2024.