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Krüger, Johann Gottlob: Geschichte der Erde in den allerältesten Zeiten. Halle, 1746.

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Geschichte der Erde
det der Widerstand ganz und gar, und kan fast von kei-
ner Folge seyn. Wenn man es aber ja für nöthig fände,
etwas daraus zu schliessen, um die Begierde zu befriedi-
gen, welche man hat künftige Begebenheiten voraus zu
wissen: so würde es dieses seyn, daß das Umdrehen der
Erde nach vielen tausend Jahren langsamer, als jetzo ge-
schehen würde, und daß folglich alsdenn Tag und Nacht
länger als jetzo dauren würden, ohnerachtet der astro-
nomische
Tag immer vier und zwanzig Stunden behielt.
Das einzige Mittel, woran dergleichen Veränderung zu
erkennen wäre, bestünde darinne, daß das Jahr weni-
ger Tage haben würde. Wenn man sich aber einbilden
wollte, daß sich die Erde zu gleicher Zeit weiter von der
Sonne entfernete und tiefer in den Sonnenwirbel hinein-
sänke, so würde auch dieses Merkmal von der geschehe-
nen Veränderung hinwegfallen, und die Menschen wür-
den weniger Jahre leben, ohngeachtet sie eben so lange
lebten wie vormals. Aber alsdenn müste der scheinbare
Diameter der Sonne kleiner als gegenwärtig befunden
werden. Wer diese Weissagung machen wollte, der
würde dabey den Vortheil haben, daß er nicht ausgelacht
würde, weil er ihre Erfüllung ohnmöglich erleben könnte.
Der Umstand der Zeit thut bey philosophischen Prophe-
zeyhungen und historischen Erzehlungen sehr viel. Jene
müssen erst nach einer sehr langen Zeit zu erwarten seyn,
und diese müssen sich in den ältesten Zeiten zugetragen ha-
ben, wenn sie nicht wahrscheinlich sind.

§. 96.

Wie vortheilhaft ist es also vor mich, daß ich meinen
Lesern lauter solche Sachen erzehlt habe, welche entweder
noch sehr lange zukünftig seyn werden, oder sich vor so
vielen Jahrhunderten zugetragen haben, daß mir es auch
der gröste Chronologus vergeben würde, wenn ich in
der Zeitrechnung einen Fehler von tausend Jahren began-

gen

Geſchichte der Erde
det der Widerſtand ganz und gar, und kan faſt von kei-
ner Folge ſeyn. Wenn man es aber ja fuͤr noͤthig faͤnde,
etwas daraus zu ſchlieſſen, um die Begierde zu befriedi-
gen, welche man hat kuͤnftige Begebenheiten voraus zu
wiſſen: ſo wuͤrde es dieſes ſeyn, daß das Umdrehen der
Erde nach vielen tauſend Jahren langſamer, als jetzo ge-
ſchehen wuͤrde, und daß folglich alsdenn Tag und Nacht
laͤnger als jetzo dauren wuͤrden, ohnerachtet der aſtro-
nomiſche
Tag immer vier und zwanzig Stunden behielt.
Das einzige Mittel, woran dergleichen Veraͤnderung zu
erkennen waͤre, beſtuͤnde darinne, daß das Jahr weni-
ger Tage haben wuͤrde. Wenn man ſich aber einbilden
wollte, daß ſich die Erde zu gleicher Zeit weiter von der
Sonne entfernete und tiefer in den Sonnenwirbel hinein-
ſaͤnke, ſo wuͤrde auch dieſes Merkmal von der geſchehe-
nen Veraͤnderung hinwegfallen, und die Menſchen wuͤr-
den weniger Jahre leben, ohngeachtet ſie eben ſo lange
lebten wie vormals. Aber alsdenn muͤſte der ſcheinbare
Diameter der Sonne kleiner als gegenwaͤrtig befunden
werden. Wer dieſe Weiſſagung machen wollte, der
wuͤrde dabey den Vortheil haben, daß er nicht ausgelacht
wuͤrde, weil er ihre Erfuͤllung ohnmoͤglich erleben koͤnnte.
Der Umſtand der Zeit thut bey philoſophiſchen Prophe-
zeyhungen und hiſtoriſchen Erzehlungen ſehr viel. Jene
muͤſſen erſt nach einer ſehr langen Zeit zu erwarten ſeyn,
und dieſe muͤſſen ſich in den aͤlteſten Zeiten zugetragen ha-
ben, wenn ſie nicht wahrſcheinlich ſind.

§. 96.

Wie vortheilhaft iſt es alſo vor mich, daß ich meinen
Leſern lauter ſolche Sachen erzehlt habe, welche entweder
noch ſehr lange zukuͤnftig ſeyn werden, oder ſich vor ſo
vielen Jahrhunderten zugetragen haben, daß mir es auch
der groͤſte Chronologus vergeben wuͤrde, wenn ich in
der Zeitrechnung einen Fehler von tauſend Jahren began-

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[172/0186] Geſchichte der Erde det der Widerſtand ganz und gar, und kan faſt von kei- ner Folge ſeyn. Wenn man es aber ja fuͤr noͤthig faͤnde, etwas daraus zu ſchlieſſen, um die Begierde zu befriedi- gen, welche man hat kuͤnftige Begebenheiten voraus zu wiſſen: ſo wuͤrde es dieſes ſeyn, daß das Umdrehen der Erde nach vielen tauſend Jahren langſamer, als jetzo ge- ſchehen wuͤrde, und daß folglich alsdenn Tag und Nacht laͤnger als jetzo dauren wuͤrden, ohnerachtet der aſtro- nomiſche Tag immer vier und zwanzig Stunden behielt. Das einzige Mittel, woran dergleichen Veraͤnderung zu erkennen waͤre, beſtuͤnde darinne, daß das Jahr weni- ger Tage haben wuͤrde. Wenn man ſich aber einbilden wollte, daß ſich die Erde zu gleicher Zeit weiter von der Sonne entfernete und tiefer in den Sonnenwirbel hinein- ſaͤnke, ſo wuͤrde auch dieſes Merkmal von der geſchehe- nen Veraͤnderung hinwegfallen, und die Menſchen wuͤr- den weniger Jahre leben, ohngeachtet ſie eben ſo lange lebten wie vormals. Aber alsdenn muͤſte der ſcheinbare Diameter der Sonne kleiner als gegenwaͤrtig befunden werden. Wer dieſe Weiſſagung machen wollte, der wuͤrde dabey den Vortheil haben, daß er nicht ausgelacht wuͤrde, weil er ihre Erfuͤllung ohnmoͤglich erleben koͤnnte. Der Umſtand der Zeit thut bey philoſophiſchen Prophe- zeyhungen und hiſtoriſchen Erzehlungen ſehr viel. Jene muͤſſen erſt nach einer ſehr langen Zeit zu erwarten ſeyn, und dieſe muͤſſen ſich in den aͤlteſten Zeiten zugetragen ha- ben, wenn ſie nicht wahrſcheinlich ſind. §. 96. Wie vortheilhaft iſt es alſo vor mich, daß ich meinen Leſern lauter ſolche Sachen erzehlt habe, welche entweder noch ſehr lange zukuͤnftig ſeyn werden, oder ſich vor ſo vielen Jahrhunderten zugetragen haben, daß mir es auch der groͤſte Chronologus vergeben wuͤrde, wenn ich in der Zeitrechnung einen Fehler von tauſend Jahren began- gen

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Zitationshilfe: Krüger, Johann Gottlob: Geschichte der Erde in den allerältesten Zeiten. Halle, 1746, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krueger_weltweisheit_1746/186>, abgerufen am 26.04.2024.