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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 25. Das Subject der kaiserlichen Rechte.
der jetzigen Reichsverfassung lautet der Satz: "Das Präsidium
des Bundes steht dem Könige von Preußen zu." Diese Fas-
sungs-Aenderung war nothwendig, wegen der Hinzufügung des
Relativsatzes: "welcher den Namen Deutscher Kaiser führt." Man
hat in dieser Fassungsänderung auch eine materielle Aenderung
finden wollen, indem sie die Anwendung der Preußischen Bestim-
mungen über Regentschaft auf das Reich ausschließe 1); diese
Annahme ist jedoch bereits mehrfach widerlegt worden 2). "König
von Preußen" bedeutet genau dasselbe wie "Krone Preußen",
nämlich den Träger der Preuß. Krone.

Aber auch abgesehen von dieser Frage der Wort-Interpreta-
tion hat man die Anwendung der Preußischen Verfassungs-Bestim-
mungen für den Fall der Nothwendigkeit einer Regentschaft aus
sachlichen Gründen für unzulässig erklärt. v. Rönne, Verfas-
sungsrecht des Deutschen Reichs S. 157 glaubt, "daß es nicht
zulässig sein würde, wie die Art. 56 u. 57 der Preuß. V.-U.
bestimmen, die beiden Häuser des Preußischen Landtages zur Ent-
scheidung über die Nothwendigkeit der Regentschaft für das Deutsche
Reich zu berufen, und, wenn kein volljähriger Agnat vorhanden
ist, den Regenten durch die beiden Häuser des Preußischen Land-
tages erwählen zu lassen, so wie auch die Regierung des Deutschen
Reiches provisorisch durch das Preußische Staatsministerium führen
zu lassen." In weiterer Ausführung dieses Gedankens und sach-
lich ganz übereinstimmend äußert sich v. Mohl Reichsstaatsrecht
S. 284 fg. 3).

Es liegt hier unseres Ermessens eine vollständige Verkennung
des im Art. 11 der R.-V. ausgesprochenen Rechtsprinzips vor.

Das Deutsche Kaiserthum ist kein Recht, welches selbstständig
d. h. unabhängig von der Krone Preußens erworben oder ausge-
übt werden könnte; es ist ein Accessorium der Preußischen Krone.
Das Reichsrecht enthält daher auch über den Erwerb der Kaiser-
würde keinen einzigen Rechtssatz und könnte keinen aufstellen, ohne
den im Art. 11 der R.-V. enthaltenen Rechtsgrundsatz für gewisse
Eventualitäten zu beseitigen. Würde der Erwerb der Kaiserwürde

1) Auerbach S. 106. Vgl. auch v. Mohl S. 285.
2) Riedel S. 103. Thudichum in Holtzendorff's Jahrbuch I. S. 25
Note 4 und besonders Seydel Comm. S. 112 fg.
3) Vgl. auch v. Pözl Supplement zum Bayr. Verf.-Recht S. 106 Note 3.

§. 25. Das Subject der kaiſerlichen Rechte.
der jetzigen Reichsverfaſſung lautet der Satz: „Das Präſidium
des Bundes ſteht dem Könige von Preußen zu.“ Dieſe Faſ-
ſungs-Aenderung war nothwendig, wegen der Hinzufügung des
Relativſatzes: „welcher den Namen Deutſcher Kaiſer führt.“ Man
hat in dieſer Faſſungsänderung auch eine materielle Aenderung
finden wollen, indem ſie die Anwendung der Preußiſchen Beſtim-
mungen über Regentſchaft auf das Reich ausſchließe 1); dieſe
Annahme iſt jedoch bereits mehrfach widerlegt worden 2). „König
von Preußen“ bedeutet genau daſſelbe wie „Krone Preußen“,
nämlich den Träger der Preuß. Krone.

Aber auch abgeſehen von dieſer Frage der Wort-Interpreta-
tion hat man die Anwendung der Preußiſchen Verfaſſungs-Beſtim-
mungen für den Fall der Nothwendigkeit einer Regentſchaft aus
ſachlichen Gründen für unzuläſſig erklärt. v. Rönne, Verfaſ-
ſungsrecht des Deutſchen Reichs S. 157 glaubt, „daß es nicht
zuläſſig ſein würde, wie die Art. 56 u. 57 der Preuß. V.-U.
beſtimmen, die beiden Häuſer des Preußiſchen Landtages zur Ent-
ſcheidung über die Nothwendigkeit der Regentſchaft für das Deutſche
Reich zu berufen, und, wenn kein volljähriger Agnat vorhanden
iſt, den Regenten durch die beiden Häuſer des Preußiſchen Land-
tages erwählen zu laſſen, ſo wie auch die Regierung des Deutſchen
Reiches proviſoriſch durch das Preußiſche Staatsminiſterium führen
zu laſſen.“ In weiterer Ausführung dieſes Gedankens und ſach-
lich ganz übereinſtimmend äußert ſich v. Mohl Reichsſtaatsrecht
S. 284 fg. 3).

Es liegt hier unſeres Ermeſſens eine vollſtändige Verkennung
des im Art. 11 der R.-V. ausgeſprochenen Rechtsprinzips vor.

Das Deutſche Kaiſerthum iſt kein Recht, welches ſelbſtſtändig
d. h. unabhängig von der Krone Preußens erworben oder ausge-
übt werden könnte; es iſt ein Acceſſorium der Preußiſchen Krone.
Das Reichsrecht enthält daher auch über den Erwerb der Kaiſer-
würde keinen einzigen Rechtsſatz und könnte keinen aufſtellen, ohne
den im Art. 11 der R.-V. enthaltenen Rechtsgrundſatz für gewiſſe
Eventualitäten zu beſeitigen. Würde der Erwerb der Kaiſerwürde

1) Auerbach S. 106. Vgl. auch v. Mohl S. 285.
2) Riedel S. 103. Thudichum in Holtzendorff’s Jahrbuch I. S. 25
Note 4 und beſonders Seydel Comm. S. 112 fg.
3) Vgl. auch v. Pözl Supplement zum Bayr. Verf.-Recht S. 106 Note 3.
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[215/0235] §. 25. Das Subject der kaiſerlichen Rechte. der jetzigen Reichsverfaſſung lautet der Satz: „Das Präſidium des Bundes ſteht dem Könige von Preußen zu.“ Dieſe Faſ- ſungs-Aenderung war nothwendig, wegen der Hinzufügung des Relativſatzes: „welcher den Namen Deutſcher Kaiſer führt.“ Man hat in dieſer Faſſungsänderung auch eine materielle Aenderung finden wollen, indem ſie die Anwendung der Preußiſchen Beſtim- mungen über Regentſchaft auf das Reich ausſchließe 1); dieſe Annahme iſt jedoch bereits mehrfach widerlegt worden 2). „König von Preußen“ bedeutet genau daſſelbe wie „Krone Preußen“, nämlich den Träger der Preuß. Krone. Aber auch abgeſehen von dieſer Frage der Wort-Interpreta- tion hat man die Anwendung der Preußiſchen Verfaſſungs-Beſtim- mungen für den Fall der Nothwendigkeit einer Regentſchaft aus ſachlichen Gründen für unzuläſſig erklärt. v. Rönne, Verfaſ- ſungsrecht des Deutſchen Reichs S. 157 glaubt, „daß es nicht zuläſſig ſein würde, wie die Art. 56 u. 57 der Preuß. V.-U. beſtimmen, die beiden Häuſer des Preußiſchen Landtages zur Ent- ſcheidung über die Nothwendigkeit der Regentſchaft für das Deutſche Reich zu berufen, und, wenn kein volljähriger Agnat vorhanden iſt, den Regenten durch die beiden Häuſer des Preußiſchen Land- tages erwählen zu laſſen, ſo wie auch die Regierung des Deutſchen Reiches proviſoriſch durch das Preußiſche Staatsminiſterium führen zu laſſen.“ In weiterer Ausführung dieſes Gedankens und ſach- lich ganz übereinſtimmend äußert ſich v. Mohl Reichsſtaatsrecht S. 284 fg. 3). Es liegt hier unſeres Ermeſſens eine vollſtändige Verkennung des im Art. 11 der R.-V. ausgeſprochenen Rechtsprinzips vor. Das Deutſche Kaiſerthum iſt kein Recht, welches ſelbſtſtändig d. h. unabhängig von der Krone Preußens erworben oder ausge- übt werden könnte; es iſt ein Acceſſorium der Preußiſchen Krone. Das Reichsrecht enthält daher auch über den Erwerb der Kaiſer- würde keinen einzigen Rechtsſatz und könnte keinen aufſtellen, ohne den im Art. 11 der R.-V. enthaltenen Rechtsgrundſatz für gewiſſe Eventualitäten zu beſeitigen. Würde der Erwerb der Kaiſerwürde 1) Auerbach S. 106. Vgl. auch v. Mohl S. 285. 2) Riedel S. 103. Thudichum in Holtzendorff’s Jahrbuch I. S. 25 Note 4 und beſonders Seydel Comm. S. 112 fg. 3) Vgl. auch v. Pözl Supplement zum Bayr. Verf.-Recht S. 106 Note 3.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/235>, abgerufen am 26.04.2024.