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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 35. Die selbstständigen Reichs-Finanzbehörden.

Das Gesetz v. 23. Mai 1873 schließt sich demnach vollkommen
an die Grundsätze an, welche das Preuß. Gesetz v. 23. Februar
1850 sanktionirt hat, und der Verwaltung des Reichs-Inva-
lidenfonds ist eine durchaus ähnliche Stellung wie der Reichs-
Schuldenverwaltung gegeben worden. Die "obere Leitung" des
Reichskanzlers ermächtigt denselben, verbindliche Anordnungen und
Verfügungen zu erlassen, welche die Verwaltung des Reichs-In-
validen-Fonds befolgen muß 1); aber die "unbedingte Verant-
wortlichkeit" der Verwaltung des Reichs-Invaliden-Fonds ermäch-
tigt und verpflichtet dieselbe, zunächst unabhängig und selbstständig
zu prüfen, ob die vom Reichskanzler ertheilte Anordnung mit den
für die Anlage, Verrechnung und Verwaltung des Reichs-Invali-
den-Fonds gegebenen gesetzlichen Bestimmungen vereinbar ist. Nur
wenn diese Frage bejahend entschieden wird, ist die Anordnung des
Reichskanzlers von der Verwaltung des Reichs-Invaliden-Fonds
zur Ausführung zu bringen. Es ergiebt sich hieraus zugleich, daß
der Reichskanzler für die Verwaltung des Reichs-Invaliden-Fonds
die Verantwortlichkeit nur in demselben Umfange trägt wie hin-
sichtlich der Verwaltung der Reichsschulden.

Im Einklang mit dieser Unabhängigkeit der Verwaltung des
Reichs-Invaliden-Fonds steht die Regel, daß für die Beschlüsse
dieser Behörde das Collegialsystem gilt, d. h. daß sie nach Stim-
menmehrheit gefaßt werden und der Vorsitzende nur im Falle der
Stimmengleichheit den Ausschlag giebt 2).

Der Vorsitzende wird vom Kaiser auf Lebenszeit ernannt.
Sein Amt ist ein besoldetes Berufsamt und es ist ihm die Ueber-
nahme von Nebenämtern oder mit Remunerationen verbundenen
Nebenbeschäftigungen untersagt. Die Mitglieder werden vom Bun-
desrath jedesmal auf 3 Jahre gewählt; es sind Bundesraths-Mit-
glieder, welche das Amt als besoldetes Nebenamt verwalten 3).
Die Ernennung des Bureaupersonals ist dem Vorsitzenden über-
tragen.

Die Geschäfts-Instruktion, welche nach §. 11 des Gesetzes

1) Fälle dieser Art ergeben sich aus §. 5 u. 8 des Gesetzes vom 23. Mai
1873 selbst; ferner aus §. 10 Abs. 2; §. 11. 12. 13. 14 Abs. 3 des Regula-
tivs vom 11. Juni 1874. (R.-G.-Bl. S. 104.)
2) Gesetz §. 11 Abs. 2. Vgl. Regulativ §. 4.
3) Vgl. Etat für 1874 Anlage XIV., für 1875 Anlage X.
§. 35. Die ſelbſtſtändigen Reichs-Finanzbehörden.

Das Geſetz v. 23. Mai 1873 ſchließt ſich demnach vollkommen
an die Grundſätze an, welche das Preuß. Geſetz v. 23. Februar
1850 ſanktionirt hat, und der Verwaltung des Reichs-Inva-
lidenfonds iſt eine durchaus ähnliche Stellung wie der Reichs-
Schuldenverwaltung gegeben worden. Die „obere Leitung“ des
Reichskanzlers ermächtigt denſelben, verbindliche Anordnungen und
Verfügungen zu erlaſſen, welche die Verwaltung des Reichs-In-
validen-Fonds befolgen muß 1); aber die „unbedingte Verant-
wortlichkeit“ der Verwaltung des Reichs-Invaliden-Fonds ermäch-
tigt und verpflichtet dieſelbe, zunächſt unabhängig und ſelbſtſtändig
zu prüfen, ob die vom Reichskanzler ertheilte Anordnung mit den
für die Anlage, Verrechnung und Verwaltung des Reichs-Invali-
den-Fonds gegebenen geſetzlichen Beſtimmungen vereinbar iſt. Nur
wenn dieſe Frage bejahend entſchieden wird, iſt die Anordnung des
Reichskanzlers von der Verwaltung des Reichs-Invaliden-Fonds
zur Ausführung zu bringen. Es ergiebt ſich hieraus zugleich, daß
der Reichskanzler für die Verwaltung des Reichs-Invaliden-Fonds
die Verantwortlichkeit nur in demſelben Umfange trägt wie hin-
ſichtlich der Verwaltung der Reichsſchulden.

Im Einklang mit dieſer Unabhängigkeit der Verwaltung des
Reichs-Invaliden-Fonds ſteht die Regel, daß für die Beſchlüſſe
dieſer Behörde das Collegialſyſtem gilt, d. h. daß ſie nach Stim-
menmehrheit gefaßt werden und der Vorſitzende nur im Falle der
Stimmengleichheit den Ausſchlag giebt 2).

Der Vorſitzende wird vom Kaiſer auf Lebenszeit ernannt.
Sein Amt iſt ein beſoldetes Berufsamt und es iſt ihm die Ueber-
nahme von Nebenämtern oder mit Remunerationen verbundenen
Nebenbeſchäftigungen unterſagt. Die Mitglieder werden vom Bun-
desrath jedesmal auf 3 Jahre gewählt; es ſind Bundesraths-Mit-
glieder, welche das Amt als beſoldetes Nebenamt verwalten 3).
Die Ernennung des Bureauperſonals iſt dem Vorſitzenden über-
tragen.

Die Geſchäfts-Inſtruktion, welche nach §. 11 des Geſetzes

1) Fälle dieſer Art ergeben ſich aus §. 5 u. 8 des Geſetzes vom 23. Mai
1873 ſelbſt; ferner aus §. 10 Abſ. 2; §. 11. 12. 13. 14 Abſ. 3 des Regula-
tivs vom 11. Juni 1874. (R.-G.-Bl. S. 104.)
2) Geſetz §. 11 Abſ. 2. Vgl. Regulativ §. 4.
3) Vgl. Etat für 1874 Anlage XIV., für 1875 Anlage X.
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[352/0372] §. 35. Die ſelbſtſtändigen Reichs-Finanzbehörden. Das Geſetz v. 23. Mai 1873 ſchließt ſich demnach vollkommen an die Grundſätze an, welche das Preuß. Geſetz v. 23. Februar 1850 ſanktionirt hat, und der Verwaltung des Reichs-Inva- lidenfonds iſt eine durchaus ähnliche Stellung wie der Reichs- Schuldenverwaltung gegeben worden. Die „obere Leitung“ des Reichskanzlers ermächtigt denſelben, verbindliche Anordnungen und Verfügungen zu erlaſſen, welche die Verwaltung des Reichs-In- validen-Fonds befolgen muß 1); aber die „unbedingte Verant- wortlichkeit“ der Verwaltung des Reichs-Invaliden-Fonds ermäch- tigt und verpflichtet dieſelbe, zunächſt unabhängig und ſelbſtſtändig zu prüfen, ob die vom Reichskanzler ertheilte Anordnung mit den für die Anlage, Verrechnung und Verwaltung des Reichs-Invali- den-Fonds gegebenen geſetzlichen Beſtimmungen vereinbar iſt. Nur wenn dieſe Frage bejahend entſchieden wird, iſt die Anordnung des Reichskanzlers von der Verwaltung des Reichs-Invaliden-Fonds zur Ausführung zu bringen. Es ergiebt ſich hieraus zugleich, daß der Reichskanzler für die Verwaltung des Reichs-Invaliden-Fonds die Verantwortlichkeit nur in demſelben Umfange trägt wie hin- ſichtlich der Verwaltung der Reichsſchulden. Im Einklang mit dieſer Unabhängigkeit der Verwaltung des Reichs-Invaliden-Fonds ſteht die Regel, daß für die Beſchlüſſe dieſer Behörde das Collegialſyſtem gilt, d. h. daß ſie nach Stim- menmehrheit gefaßt werden und der Vorſitzende nur im Falle der Stimmengleichheit den Ausſchlag giebt 2). Der Vorſitzende wird vom Kaiſer auf Lebenszeit ernannt. Sein Amt iſt ein beſoldetes Berufsamt und es iſt ihm die Ueber- nahme von Nebenämtern oder mit Remunerationen verbundenen Nebenbeſchäftigungen unterſagt. Die Mitglieder werden vom Bun- desrath jedesmal auf 3 Jahre gewählt; es ſind Bundesraths-Mit- glieder, welche das Amt als beſoldetes Nebenamt verwalten 3). Die Ernennung des Bureauperſonals iſt dem Vorſitzenden über- tragen. Die Geſchäfts-Inſtruktion, welche nach §. 11 des Geſetzes 1) Fälle dieſer Art ergeben ſich aus §. 5 u. 8 des Geſetzes vom 23. Mai 1873 ſelbſt; ferner aus §. 10 Abſ. 2; §. 11. 12. 13. 14 Abſ. 3 des Regula- tivs vom 11. Juni 1874. (R.-G.-Bl. S. 104.) 2) Geſetz §. 11 Abſ. 2. Vgl. Regulativ §. 4. 3) Vgl. Etat für 1874 Anlage XIV., für 1875 Anlage X.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/372>, abgerufen am 27.04.2024.