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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 53. Die Unentgeltlichkeit der Reichstags-Mitgliedschaft.
Verein, eine einzelne Person u. s. w. einem Mitgliede des Reichs-
tages in der juristischen Form einer Schenkung oder irgend eines
anderen Rechtsgeschäfts eine Vermögenszuwendung als Entgelt
für die Thätigkeit desselben im Reichstage machen und das Reichs-
tagsmitglied diese Vermögenszuwendung annimmt, so knüpfen sich
an diesen Vorgang weitere Rechtsfolgen nicht an als die in dem
Civilrecht begründeten 1).

Dessen ungeachtet ist die Vorschrift des Art. 32 keine wirkungs-
lose. Aus ihr ergeben sich vielmehr folgende Rechtssätze:

1) Ein civilrechtlicher Vertrag, durch welchen einem Reichstags-
Mitgliede eine Besoldung oder Entschädigung für seine Thätigkeit
im Reichstage versprochen oder zugesichert wird, ist rechts-
unwirksam und klaglos. Dasselbe gilt von testamentarischen An-
ordnungen oder von Stiftungen zu dem Zwecke, um Reichstags-
Mitgliedern als solchen Besoldungen oder Entschädigungen zu ge-
währen.

2) Die Regierungen der Einzelstaaten sind nicht befugt, aus
Staatsmitteln den in ihren Gebieten gewählten Reichstagsmitgliedern
eine Besoldung oder Entschädigung zu gewähren. Denn hierzu
könnte die Regierung nur ermächtigt werden entweder dauernd
durch ein specielles Landesgesetz oder für eine einzelne Wirthschafts-

daß ein Abgeordneter, welcher eine ihm angebotene Besoldung oder Entschä-
digung nicht zurückgewiesen hat, als auf sein Mandat verzichtend ange-
sehen werden müsse. Ein stillschweigender Verzicht auf das Mandat existirt
überhaupt nicht, (siehe oben S. 554 Note 5) und überdies widerstreitet diese
Fiction der wahren Sachlage durchaus. Ein solcher Abgeordneter will erst
recht sein Mandat behalten und er will zugleich, was er freilich nicht soll, eine
Besoldung dafür erhalten. Noch weiter verirrt sich v. Mohl Reichsstaatsr.
S. 369, welcher Annahme und Anerbieten von Entschädigungen oder Besol-
dungen für strafbar hält und die §§. 332. 333 des R.-St.-G.-B.'s darauf an-
wenden will. Denn diese Bestimmungen des Reichsstrafgesetzbuches handeln,
ganz abgesehen von allen anderen, ihre Anwendbarkeit ausschließenden Gründen,
nur von Beamten, und zwar von Bestechung derselben, Reichstags-Mitglieder
sind aber keine Beamte und die Zahlung von Entschädigungen oder Diäten ist
keine Bestechung.
1) Sehr treffend sagte in dieser Beziehung Fürst Bismarck im ver-
fassungsgeb. Reichstage (Stenogr. Ber. S. 727), "daß die Regierungen ohne
eine strafgesetzliche Unterlage nur denen etwas verbieten können, denen sie über-
haupt zu befehlen haben." Nur hinsichtlich der Beamten ist diese Erklärung
wie Hiersemenzel I. S. 102 sagt, "nicht eindeutig."

§. 53. Die Unentgeltlichkeit der Reichstags-Mitgliedſchaft.
Verein, eine einzelne Perſon u. ſ. w. einem Mitgliede des Reichs-
tages in der juriſtiſchen Form einer Schenkung oder irgend eines
anderen Rechtsgeſchäfts eine Vermögenszuwendung als Entgelt
für die Thätigkeit deſſelben im Reichstage machen und das Reichs-
tagsmitglied dieſe Vermögenszuwendung annimmt, ſo knüpfen ſich
an dieſen Vorgang weitere Rechtsfolgen nicht an als die in dem
Civilrecht begründeten 1).

Deſſen ungeachtet iſt die Vorſchrift des Art. 32 keine wirkungs-
loſe. Aus ihr ergeben ſich vielmehr folgende Rechtsſätze:

1) Ein civilrechtlicher Vertrag, durch welchen einem Reichstags-
Mitgliede eine Beſoldung oder Entſchädigung für ſeine Thätigkeit
im Reichstage verſprochen oder zugeſichert wird, iſt rechts-
unwirkſam und klaglos. Daſſelbe gilt von teſtamentariſchen An-
ordnungen oder von Stiftungen zu dem Zwecke, um Reichstags-
Mitgliedern als ſolchen Beſoldungen oder Entſchädigungen zu ge-
währen.

2) Die Regierungen der Einzelſtaaten ſind nicht befugt, aus
Staatsmitteln den in ihren Gebieten gewählten Reichstagsmitgliedern
eine Beſoldung oder Entſchädigung zu gewähren. Denn hierzu
könnte die Regierung nur ermächtigt werden entweder dauernd
durch ein ſpecielles Landesgeſetz oder für eine einzelne Wirthſchafts-

daß ein Abgeordneter, welcher eine ihm angebotene Beſoldung oder Entſchä-
digung nicht zurückgewieſen hat, als auf ſein Mandat verzichtend ange-
ſehen werden müſſe. Ein ſtillſchweigender Verzicht auf das Mandat exiſtirt
überhaupt nicht, (ſiehe oben S. 554 Note 5) und überdies widerſtreitet dieſe
Fiction der wahren Sachlage durchaus. Ein ſolcher Abgeordneter will erſt
recht ſein Mandat behalten und er will zugleich, was er freilich nicht ſoll, eine
Beſoldung dafür erhalten. Noch weiter verirrt ſich v. Mohl Reichsſtaatsr.
S. 369, welcher Annahme und Anerbieten von Entſchädigungen oder Beſol-
dungen für ſtrafbar hält und die §§. 332. 333 des R.-St.-G.-B.’s darauf an-
wenden will. Denn dieſe Beſtimmungen des Reichsſtrafgeſetzbuches handeln,
ganz abgeſehen von allen anderen, ihre Anwendbarkeit ausſchließenden Gründen,
nur von Beamten, und zwar von Beſtechung derſelben, Reichstags-Mitglieder
ſind aber keine Beamte und die Zahlung von Entſchädigungen oder Diäten iſt
keine Beſtechung.
1) Sehr treffend ſagte in dieſer Beziehung Fürſt Bismarck im ver-
faſſungsgeb. Reichstage (Stenogr. Ber. S. 727), „daß die Regierungen ohne
eine ſtrafgeſetzliche Unterlage nur denen etwas verbieten können, denen ſie über-
haupt zu befehlen haben.“ Nur hinſichtlich der Beamten iſt dieſe Erklärung
wie Hierſemenzel I. S. 102 ſagt, „nicht eindeutig.“
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[576/0596] §. 53. Die Unentgeltlichkeit der Reichstags-Mitgliedſchaft. Verein, eine einzelne Perſon u. ſ. w. einem Mitgliede des Reichs- tages in der juriſtiſchen Form einer Schenkung oder irgend eines anderen Rechtsgeſchäfts eine Vermögenszuwendung als Entgelt für die Thätigkeit deſſelben im Reichstage machen und das Reichs- tagsmitglied dieſe Vermögenszuwendung annimmt, ſo knüpfen ſich an dieſen Vorgang weitere Rechtsfolgen nicht an als die in dem Civilrecht begründeten 1). Deſſen ungeachtet iſt die Vorſchrift des Art. 32 keine wirkungs- loſe. Aus ihr ergeben ſich vielmehr folgende Rechtsſätze: 1) Ein civilrechtlicher Vertrag, durch welchen einem Reichstags- Mitgliede eine Beſoldung oder Entſchädigung für ſeine Thätigkeit im Reichstage verſprochen oder zugeſichert wird, iſt rechts- unwirkſam und klaglos. Daſſelbe gilt von teſtamentariſchen An- ordnungen oder von Stiftungen zu dem Zwecke, um Reichstags- Mitgliedern als ſolchen Beſoldungen oder Entſchädigungen zu ge- währen. 2) Die Regierungen der Einzelſtaaten ſind nicht befugt, aus Staatsmitteln den in ihren Gebieten gewählten Reichstagsmitgliedern eine Beſoldung oder Entſchädigung zu gewähren. Denn hierzu könnte die Regierung nur ermächtigt werden entweder dauernd durch ein ſpecielles Landesgeſetz oder für eine einzelne Wirthſchafts- 3) 1) Sehr treffend ſagte in dieſer Beziehung Fürſt Bismarck im ver- faſſungsgeb. Reichstage (Stenogr. Ber. S. 727), „daß die Regierungen ohne eine ſtrafgeſetzliche Unterlage nur denen etwas verbieten können, denen ſie über- haupt zu befehlen haben.“ Nur hinſichtlich der Beamten iſt dieſe Erklärung wie Hierſemenzel I. S. 102 ſagt, „nicht eindeutig.“ 3) daß ein Abgeordneter, welcher eine ihm angebotene Beſoldung oder Entſchä- digung nicht zurückgewieſen hat, als auf ſein Mandat verzichtend ange- ſehen werden müſſe. Ein ſtillſchweigender Verzicht auf das Mandat exiſtirt überhaupt nicht, (ſiehe oben S. 554 Note 5) und überdies widerſtreitet dieſe Fiction der wahren Sachlage durchaus. Ein ſolcher Abgeordneter will erſt recht ſein Mandat behalten und er will zugleich, was er freilich nicht ſoll, eine Beſoldung dafür erhalten. Noch weiter verirrt ſich v. Mohl Reichsſtaatsr. S. 369, welcher Annahme und Anerbieten von Entſchädigungen oder Beſol- dungen für ſtrafbar hält und die §§. 332. 333 des R.-St.-G.-B.’s darauf an- wenden will. Denn dieſe Beſtimmungen des Reichsſtrafgeſetzbuches handeln, ganz abgeſehen von allen anderen, ihre Anwendbarkeit ausſchließenden Gründen, nur von Beamten, und zwar von Beſtechung derſelben, Reichstags-Mitglieder ſind aber keine Beamte und die Zahlung von Entſchädigungen oder Diäten iſt keine Beſtechung.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/596>, abgerufen am 26.04.2024.