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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 82. Die Festungen und Kriegshäfen.

Die Voraussetzungen, unter denen das Militair zur Aufrecht-
haltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit einschreiten
und von den Waffen Gebrauch machen darf, sowie die übrigen
Fälle, in denen Waffengewalt Seitens des Militairs angewendet
werden darf, sind normirt in der Preuß. Verordn. zur Aufrecht-
haltung der öffentlichen Ordnung etc. vom 17. Aug. 1835 und in
dem Preuß. Ges. vom 20. März 1837. Beide Gesetze sind auch
in Württemberg durch Erlaß vom 27. Mai 1878 eingeführt
worden 1).

§. 82. Die Festungen und Kriegshäfen.

Die staatsrechtlichen Regeln über Festungen und Kriegshäfen
im Bundesgebiete erhalten dadurch einen eigenthümlichen Charakter,
daß hier nicht blos die Grundsätze über die Militairverfassung,
sondern auch diejenigen über die Gebietshoheit in Betracht kommen
und daß dadurch das Rechtsverhältniß zwischen dem Reich und den
Einzelstaaten bestimmt wird. Die in der Reichsverfassung enthal-
tenen Vorschriften sind sehr unvollständig und bedürfen in ver-
schiedenen Richtungen der Ergänzung.

1. Den Ausgangspunkt bildet der Satz, daß den Einzelstaaten
an den Festungen und Kriegshäfen die Gebietshoheit in dem Um-
fange zukommt, welcher oben Bd. I §. 20 ff. dargelegt worden
ist. Alle in der Landeshoheit begründeten Rechte stehen ihnen so-
weit zu, als sie nicht durch Reichsgesetze entzogen oder beschränkt
sind, insbesondere Gerichtsbarkeit, Polizeigewalt und Besteuerungs-
recht. Eine direkte Anerkennung hat dies, wenn auch nicht in der
R.V. selbst, so doch in der gleichzeitig mit ihr abgefaßten Militair-
Konvention mit Sachsen Art. 8 erhalten, woselbst es heißt:

"Die territorialen Souveränetätsrechte sollen durch
diese Bestimmung ebensowenig wie die ferner geltenden Privatbesitz-
verhältnisse eine Aenderung erleiden."

Die Festungen und Kriegshäfen sind demnach integrirende
Bestandtheile der Gebiete der Einzelstaaten, und das Reich ist nicht
befugt, dieselben der Landeshoheit der Einzelstaaten zu entziehen.

1) Württemb. Regierungsbl. 1878 S. 125. (Auch abgedruckt im Mil.V.Bl.
S. 101.) Die Einführung ist erfolgt "in Vollzug des Art. 10 der Mil.Konv."
§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.

Die Vorausſetzungen, unter denen das Militair zur Aufrecht-
haltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit einſchreiten
und von den Waffen Gebrauch machen darf, ſowie die übrigen
Fälle, in denen Waffengewalt Seitens des Militairs angewendet
werden darf, ſind normirt in der Preuß. Verordn. zur Aufrecht-
haltung der öffentlichen Ordnung ꝛc. vom 17. Aug. 1835 und in
dem Preuß. Geſ. vom 20. März 1837. Beide Geſetze ſind auch
in Württemberg durch Erlaß vom 27. Mai 1878 eingeführt
worden 1).

§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.

Die ſtaatsrechtlichen Regeln über Feſtungen und Kriegshäfen
im Bundesgebiete erhalten dadurch einen eigenthümlichen Charakter,
daß hier nicht blos die Grundſätze über die Militairverfaſſung,
ſondern auch diejenigen über die Gebietshoheit in Betracht kommen
und daß dadurch das Rechtsverhältniß zwiſchen dem Reich und den
Einzelſtaaten beſtimmt wird. Die in der Reichsverfaſſung enthal-
tenen Vorſchriften ſind ſehr unvollſtändig und bedürfen in ver-
ſchiedenen Richtungen der Ergänzung.

1. Den Ausgangspunkt bildet der Satz, daß den Einzelſtaaten
an den Feſtungen und Kriegshäfen die Gebietshoheit in dem Um-
fange zukommt, welcher oben Bd. I §. 20 ff. dargelegt worden
iſt. Alle in der Landeshoheit begründeten Rechte ſtehen ihnen ſo-
weit zu, als ſie nicht durch Reichsgeſetze entzogen oder beſchränkt
ſind, insbeſondere Gerichtsbarkeit, Polizeigewalt und Beſteuerungs-
recht. Eine direkte Anerkennung hat dies, wenn auch nicht in der
R.V. ſelbſt, ſo doch in der gleichzeitig mit ihr abgefaßten Militair-
Konvention mit Sachſen Art. 8 erhalten, woſelbſt es heißt:

„Die territorialen Souveränetätsrechte ſollen durch
dieſe Beſtimmung ebenſowenig wie die ferner geltenden Privatbeſitz-
verhältniſſe eine Aenderung erleiden.“

Die Feſtungen und Kriegshäfen ſind demnach integrirende
Beſtandtheile der Gebiete der Einzelſtaaten, und das Reich iſt nicht
befugt, dieſelben der Landeshoheit der Einzelſtaaten zu entziehen.

1) Württemb. Regierungsbl. 1878 S. 125. (Auch abgedruckt im Mil.V.Bl.
S. 101.) Die Einführung iſt erfolgt „in Vollzug des Art. 10 der Mil.Konv.“
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[72/0082] §. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen. Die Vorausſetzungen, unter denen das Militair zur Aufrecht- haltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit einſchreiten und von den Waffen Gebrauch machen darf, ſowie die übrigen Fälle, in denen Waffengewalt Seitens des Militairs angewendet werden darf, ſind normirt in der Preuß. Verordn. zur Aufrecht- haltung der öffentlichen Ordnung ꝛc. vom 17. Aug. 1835 und in dem Preuß. Geſ. vom 20. März 1837. Beide Geſetze ſind auch in Württemberg durch Erlaß vom 27. Mai 1878 eingeführt worden 1). §. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen. Die ſtaatsrechtlichen Regeln über Feſtungen und Kriegshäfen im Bundesgebiete erhalten dadurch einen eigenthümlichen Charakter, daß hier nicht blos die Grundſätze über die Militairverfaſſung, ſondern auch diejenigen über die Gebietshoheit in Betracht kommen und daß dadurch das Rechtsverhältniß zwiſchen dem Reich und den Einzelſtaaten beſtimmt wird. Die in der Reichsverfaſſung enthal- tenen Vorſchriften ſind ſehr unvollſtändig und bedürfen in ver- ſchiedenen Richtungen der Ergänzung. 1. Den Ausgangspunkt bildet der Satz, daß den Einzelſtaaten an den Feſtungen und Kriegshäfen die Gebietshoheit in dem Um- fange zukommt, welcher oben Bd. I §. 20 ff. dargelegt worden iſt. Alle in der Landeshoheit begründeten Rechte ſtehen ihnen ſo- weit zu, als ſie nicht durch Reichsgeſetze entzogen oder beſchränkt ſind, insbeſondere Gerichtsbarkeit, Polizeigewalt und Beſteuerungs- recht. Eine direkte Anerkennung hat dies, wenn auch nicht in der R.V. ſelbſt, ſo doch in der gleichzeitig mit ihr abgefaßten Militair- Konvention mit Sachſen Art. 8 erhalten, woſelbſt es heißt: „Die territorialen Souveränetätsrechte ſollen durch dieſe Beſtimmung ebenſowenig wie die ferner geltenden Privatbeſitz- verhältniſſe eine Aenderung erleiden.“ Die Feſtungen und Kriegshäfen ſind demnach integrirende Beſtandtheile der Gebiete der Einzelſtaaten, und das Reich iſt nicht befugt, dieſelben der Landeshoheit der Einzelſtaaten zu entziehen. 1) Württemb. Regierungsbl. 1878 S. 125. (Auch abgedruckt im Mil.V.Bl. S. 101.) Die Einführung iſt erfolgt „in Vollzug des Art. 10 der Mil.Konv.“

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/82>, abgerufen am 26.04.2024.