Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Seyn und das Nicht seyn.

genauer zu betrachten, merken wir an, daß eigent-
lich das Bindwörtchen ein Urtheil zum Urtheile,
und einen Satz zum Satze machet, und folglich das
Sprechen und das Widersprechen, darauf an-
kömmt, ob man ist oder ist nicht saget. Nämlich
ist widerspricht dem ist nicht, und dieses jenem, und
bey einerley Subject und Prädicat kann nicht
beydes zugleich und in | einerley Sinne statt
haben.
Nicht zugleich, so fern Verwandlungen
das ist in ist nicht, und hinwiederum das ist nicht
in ist verändern können. Nicht in einerley Sinne,
so fern in einer Absicht das ist, in einer andern Ab-
sicht das ist nicht statt haben kann. Dieses ist nun
der sogenannte Satz des Widerspruches, mit
welchem man gemeiniglich in der Metaphysic an-
fängt. Wir haben ihn auch bisher schon öfters ge-
braucht, ohne ihn eben ausdrücklich in Form eines
Grundsatzes, oder des ersten Grundsatzes der ge-
sammten Erkenntniß vorzutragen. Hier führen wir
ihn an, um seine Verbindung mit andern Wahrhei-
ten umständlicher aus einander zu setzen, und seinen
ächten Gebrauch von dem Misbrauche genauer zu
unterscheiden.

§. 240.

Das erste, was wir demnach darüber anzumerken
haben, ist, daß der Satz des Widerspruches eigent-
lich das Bindwörtchen der Sätze angeht, welches
nicht zugleich und in einerley Sinne ist und ist nicht
seyn kann. Man trägt daher diesen Satz auch meh-
rentheils ohne Prädicat vor, und da lautet er folgen-
dermaßen:

Ein und eben dasselbe Ding A kann nicht
zugleich seyn, und nicht seyn;

oder:
O 2
Das Seyn und das Nicht ſeyn.

genauer zu betrachten, merken wir an, daß eigent-
lich das Bindwoͤrtchen ein Urtheil zum Urtheile,
und einen Satz zum Satze machet, und folglich das
Sprechen und das Widerſprechen, darauf an-
koͤmmt, ob man iſt oder iſt nicht ſaget. Naͤmlich
iſt widerſpricht dem iſt nicht, und dieſes jenem, und
bey einerley Subject und Praͤdicat kann nicht
beydes zugleich und in | einerley Sinne ſtatt
haben.
Nicht zugleich, ſo fern Verwandlungen
das iſt in iſt nicht, und hinwiederum das iſt nicht
in iſt veraͤndern koͤnnen. Nicht in einerley Sinne,
ſo fern in einer Abſicht das iſt, in einer andern Ab-
ſicht das iſt nicht ſtatt haben kann. Dieſes iſt nun
der ſogenannte Satz des Widerſpruches, mit
welchem man gemeiniglich in der Metaphyſic an-
faͤngt. Wir haben ihn auch bisher ſchon oͤfters ge-
braucht, ohne ihn eben ausdruͤcklich in Form eines
Grundſatzes, oder des erſten Grundſatzes der ge-
ſammten Erkenntniß vorzutragen. Hier fuͤhren wir
ihn an, um ſeine Verbindung mit andern Wahrhei-
ten umſtaͤndlicher aus einander zu ſetzen, und ſeinen
aͤchten Gebrauch von dem Misbrauche genauer zu
unterſcheiden.

§. 240.

Das erſte, was wir demnach daruͤber anzumerken
haben, iſt, daß der Satz des Widerſpruches eigent-
lich das Bindwoͤrtchen der Saͤtze angeht, welches
nicht zugleich und in einerley Sinne iſt und iſt nicht
ſeyn kann. Man traͤgt daher dieſen Satz auch meh-
rentheils ohne Praͤdicat vor, und da lautet er folgen-
dermaßen:

Ein und eben daſſelbe Ding A kann nicht
zugleich ſeyn, und nicht ſeyn;

oder:
O 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0247" n="211"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das Seyn und das Nicht &#x017F;eyn.</hi> </fw><lb/>
            <p>genauer zu betrachten, merken wir an, daß eigent-<lb/>
lich das <hi rendition="#fr">Bindwo&#x0364;rtchen</hi> ein Urtheil zum Urtheile,<lb/>
und einen Satz zum Satze machet, und folglich das<lb/><hi rendition="#fr">Sprechen</hi> und das <hi rendition="#fr">Wider&#x017F;prechen,</hi> darauf an-<lb/>
ko&#x0364;mmt, ob man <hi rendition="#fr">i&#x017F;t</hi> oder <hi rendition="#fr">i&#x017F;t nicht</hi> &#x017F;aget. Na&#x0364;mlich<lb/><hi rendition="#fr">i&#x017F;t</hi> wider&#x017F;pricht dem <hi rendition="#fr">i&#x017F;t nicht,</hi> und die&#x017F;es jenem, und<lb/><hi rendition="#fr">bey einerley Subject und Pra&#x0364;dicat kann nicht<lb/>
beydes zugleich und in | einerley Sinne &#x017F;tatt<lb/>
haben.</hi> Nicht <hi rendition="#fr">zugleich,</hi> &#x017F;o fern Verwandlungen<lb/>
das <hi rendition="#fr">i&#x017F;t</hi> in <hi rendition="#fr">i&#x017F;t nicht,</hi> und hinwiederum das <hi rendition="#fr">i&#x017F;t nicht</hi><lb/>
in <hi rendition="#fr">i&#x017F;t</hi> vera&#x0364;ndern ko&#x0364;nnen. Nicht <hi rendition="#fr">in einerley Sinne,</hi><lb/>
&#x017F;o fern in einer Ab&#x017F;icht das <hi rendition="#fr">i&#x017F;t</hi>, in einer andern Ab-<lb/>
&#x017F;icht das <hi rendition="#fr">i&#x017F;t nicht</hi> &#x017F;tatt haben kann. Die&#x017F;es i&#x017F;t nun<lb/>
der &#x017F;ogenannte <hi rendition="#fr">Satz des Wider&#x017F;pruches,</hi> mit<lb/>
welchem man gemeiniglich in der Metaphy&#x017F;ic an-<lb/>
fa&#x0364;ngt. Wir haben ihn auch bisher &#x017F;chon o&#x0364;fters ge-<lb/>
braucht, ohne ihn eben ausdru&#x0364;cklich in Form eines<lb/>
Grund&#x017F;atzes, oder des er&#x017F;ten Grund&#x017F;atzes der ge-<lb/>
&#x017F;ammten Erkenntniß vorzutragen. Hier fu&#x0364;hren wir<lb/>
ihn an, um &#x017F;eine Verbindung mit andern Wahrhei-<lb/>
ten um&#x017F;ta&#x0364;ndlicher aus einander zu &#x017F;etzen, und &#x017F;einen<lb/>
a&#x0364;chten Gebrauch von dem Misbrauche genauer zu<lb/>
unter&#x017F;cheiden.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 240.</head><lb/>
            <p>Das er&#x017F;te, was wir demnach daru&#x0364;ber anzumerken<lb/>
haben, i&#x017F;t, daß der Satz des Wider&#x017F;pruches eigent-<lb/>
lich das <hi rendition="#fr">Bindwo&#x0364;rtchen</hi> der Sa&#x0364;tze angeht, welches<lb/>
nicht zugleich und in einerley Sinne <hi rendition="#fr">i&#x017F;t</hi> und <hi rendition="#fr">i&#x017F;t nicht</hi><lb/>
&#x017F;eyn kann. Man tra&#x0364;gt daher die&#x017F;en Satz auch meh-<lb/>
rentheils ohne Pra&#x0364;dicat vor, und da lautet er folgen-<lb/>
dermaßen:</p><lb/>
            <p> <hi rendition="#fr">Ein und eben da&#x017F;&#x017F;elbe Ding</hi> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">A</hi> </hi> <hi rendition="#fr">kann nicht<lb/><hi rendition="#et">zugleich &#x017F;eyn, und nicht &#x017F;eyn;</hi></hi> </p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">O 2</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">oder:</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0247] Das Seyn und das Nicht ſeyn. genauer zu betrachten, merken wir an, daß eigent- lich das Bindwoͤrtchen ein Urtheil zum Urtheile, und einen Satz zum Satze machet, und folglich das Sprechen und das Widerſprechen, darauf an- koͤmmt, ob man iſt oder iſt nicht ſaget. Naͤmlich iſt widerſpricht dem iſt nicht, und dieſes jenem, und bey einerley Subject und Praͤdicat kann nicht beydes zugleich und in | einerley Sinne ſtatt haben. Nicht zugleich, ſo fern Verwandlungen das iſt in iſt nicht, und hinwiederum das iſt nicht in iſt veraͤndern koͤnnen. Nicht in einerley Sinne, ſo fern in einer Abſicht das iſt, in einer andern Ab- ſicht das iſt nicht ſtatt haben kann. Dieſes iſt nun der ſogenannte Satz des Widerſpruches, mit welchem man gemeiniglich in der Metaphyſic an- faͤngt. Wir haben ihn auch bisher ſchon oͤfters ge- braucht, ohne ihn eben ausdruͤcklich in Form eines Grundſatzes, oder des erſten Grundſatzes der ge- ſammten Erkenntniß vorzutragen. Hier fuͤhren wir ihn an, um ſeine Verbindung mit andern Wahrhei- ten umſtaͤndlicher aus einander zu ſetzen, und ſeinen aͤchten Gebrauch von dem Misbrauche genauer zu unterſcheiden. §. 240. Das erſte, was wir demnach daruͤber anzumerken haben, iſt, daß der Satz des Widerſpruches eigent- lich das Bindwoͤrtchen der Saͤtze angeht, welches nicht zugleich und in einerley Sinne iſt und iſt nicht ſeyn kann. Man traͤgt daher dieſen Satz auch meh- rentheils ohne Praͤdicat vor, und da lautet er folgen- dermaßen: Ein und eben daſſelbe Ding A kann nicht zugleich ſeyn, und nicht ſeyn; oder: O 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/247
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/247>, abgerufen am 27.04.2024.