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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

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I. Hauptstück. Erfordernisse
§. 6.

Cartesius gieng einen andern Weg. Er hatte
Dinge vorzutragen, von denen er voraus sah, daß
man ihm nicht Gehör geben würde, wenn er nicht
zeigete, daß die damalige Erkenntniß keine so durch-
gängige Gewißheit habe, daß jeder Mensch die
Wahrheit, wie von neuem suchen müsse, und daß
man damit nicht besser fortkomme, als wenn man sich
bey jedem Satze die Frage vorlege, ob er wahr
oder durchaus wahr sey? Cartesius erhielt seine
Absicht, und verwandelte die Metaphysiker in
Zweifler, die endlich auch das Kennzeichen verwar-
fen, woran man, nach Cartesens Meynung, jede
Wahrheit unmittelbar sollte erkennen können. Jn die-
ser Absicht hat Baco unstreitige Vorzüge. Er schlug
eine Probe vor, die nicht triegen kann. Versuche sind
Fragen, die man der Natur vorleget. Die Natur ant-
wortet immer richtig. Man darf sich nur versichern,
ob man nicht mehr oder minder oder anders gefraget
habe, als man hatte fragen wollen; das will sagen,
ob man die Umstände des Versuches richtig gewählet
habe? Cartesius hingegen zeigte zwar, daß man
in vielen Stücken besseres zu suchen habe: allein, was
er dafür angab, schien seinen Nachfolgern die Probe
nicht zu halten. Sie fanden Unschicklichkeiten und
Widersprüche darinn. Und dieses ist immer eine
Probe, daß man ändern müsse. Sie giebt aber
nicht an, wie oder worinn die Aenderung vorzu-
nehmen sey. Man sehe hierüber Dianoiol. §. 379.

§. 7.

Nach dem Cartesius traten Locke und Leibnitz
auf. Jch werde hier diese beyde Gelehrten nur in so
fern in Vergleichung setzen, als von den ersten Grün-

den
I. Hauptſtuͤck. Erforderniſſe
§. 6.

Carteſius gieng einen andern Weg. Er hatte
Dinge vorzutragen, von denen er voraus ſah, daß
man ihm nicht Gehoͤr geben wuͤrde, wenn er nicht
zeigete, daß die damalige Erkenntniß keine ſo durch-
gaͤngige Gewißheit habe, daß jeder Menſch die
Wahrheit, wie von neuem ſuchen muͤſſe, und daß
man damit nicht beſſer fortkomme, als wenn man ſich
bey jedem Satze die Frage vorlege, ob er wahr
oder durchaus wahr ſey? Carteſius erhielt ſeine
Abſicht, und verwandelte die Metaphyſiker in
Zweifler, die endlich auch das Kennzeichen verwar-
fen, woran man, nach Carteſens Meynung, jede
Wahrheit unmittelbar ſollte erkennen koͤnnen. Jn die-
ſer Abſicht hat Baco unſtreitige Vorzuͤge. Er ſchlug
eine Probe vor, die nicht triegen kann. Verſuche ſind
Fragen, die man der Natur vorleget. Die Natur ant-
wortet immer richtig. Man darf ſich nur verſichern,
ob man nicht mehr oder minder oder anders gefraget
habe, als man hatte fragen wollen; das will ſagen,
ob man die Umſtaͤnde des Verſuches richtig gewaͤhlet
habe? Carteſius hingegen zeigte zwar, daß man
in vielen Stuͤcken beſſeres zu ſuchen habe: allein, was
er dafuͤr angab, ſchien ſeinen Nachfolgern die Probe
nicht zu halten. Sie fanden Unſchicklichkeiten und
Widerſpruͤche darinn. Und dieſes iſt immer eine
Probe, daß man aͤndern muͤſſe. Sie giebt aber
nicht an, wie oder worinn die Aenderung vorzu-
nehmen ſey. Man ſehe hieruͤber Dianoiol. §. 379.

§. 7.

Nach dem Carteſius traten Locke und Leibnitz
auf. Jch werde hier dieſe beyde Gelehrten nur in ſo
fern in Vergleichung ſetzen, als von den erſten Gruͤn-

den
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[4/0040] I. Hauptſtuͤck. Erforderniſſe §. 6. Carteſius gieng einen andern Weg. Er hatte Dinge vorzutragen, von denen er voraus ſah, daß man ihm nicht Gehoͤr geben wuͤrde, wenn er nicht zeigete, daß die damalige Erkenntniß keine ſo durch- gaͤngige Gewißheit habe, daß jeder Menſch die Wahrheit, wie von neuem ſuchen muͤſſe, und daß man damit nicht beſſer fortkomme, als wenn man ſich bey jedem Satze die Frage vorlege, ob er wahr oder durchaus wahr ſey? Carteſius erhielt ſeine Abſicht, und verwandelte die Metaphyſiker in Zweifler, die endlich auch das Kennzeichen verwar- fen, woran man, nach Carteſens Meynung, jede Wahrheit unmittelbar ſollte erkennen koͤnnen. Jn die- ſer Abſicht hat Baco unſtreitige Vorzuͤge. Er ſchlug eine Probe vor, die nicht triegen kann. Verſuche ſind Fragen, die man der Natur vorleget. Die Natur ant- wortet immer richtig. Man darf ſich nur verſichern, ob man nicht mehr oder minder oder anders gefraget habe, als man hatte fragen wollen; das will ſagen, ob man die Umſtaͤnde des Verſuches richtig gewaͤhlet habe? Carteſius hingegen zeigte zwar, daß man in vielen Stuͤcken beſſeres zu ſuchen habe: allein, was er dafuͤr angab, ſchien ſeinen Nachfolgern die Probe nicht zu halten. Sie fanden Unſchicklichkeiten und Widerſpruͤche darinn. Und dieſes iſt immer eine Probe, daß man aͤndern muͤſſe. Sie giebt aber nicht an, wie oder worinn die Aenderung vorzu- nehmen ſey. Man ſehe hieruͤber Dianoiol. §. 379. §. 7. Nach dem Carteſius traten Locke und Leibnitz auf. Jch werde hier dieſe beyde Gelehrten nur in ſo fern in Vergleichung ſetzen, als von den erſten Gruͤn- den

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/40>, abgerufen am 27.04.2024.