Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
II. Hauptstück.


Zweytes Hauptstück.
Von
der Sprache an sich betrachtet.

§. 70.

Nach der allgemeinen Betrachtung der Zeichen über-
haupt, werden wir uns nun besonders zu der
Sprache wenden, um ihre Structur näher kennen zu
lernen. Wir haben in vorhergehendem Hauptstücke
gesehen, daß uns die symbolische Erkenntniß, und in
dieser die Rede unentbehrlich ist (§. 12. 13. 14.), und daß
die Sprache als das Behältniß unserer Begriffe und
Wahrheiten, aus vielen Gründen die Untersuchung ei-
nes Weltweisen verdiene (§. 1-4.) Man ist daher
bereits schon auf zwo Wissenschaften gefallen, deren Er-
findung von ungemeiner Wichtigkeit seyn würde, wenn
sie so leicht wären. Die eine ist die Lehre einer all-
gemeinen Sprache,
welche so wohl im Reden als
im Schreiben für sich verständlich wäre, oder wenigstens
ohne viele Mühe gelernt werden könnte. Nämlich so,
wie das Alphabet der Schlüssel zum Lesen unserer der-
maligen Sprachen ist, so würde diese gesuchte allgemeine
Sprache höchstens nur eines Schlüssels bedürfen, um
nicht nur lesbar, sondern auslegbar und verständlich zu
werden.

§. 71. Die andere Wissenschaft ist die allgemeine
Sprachlehre,
Gramatica uniuersalis, welche man
ebenfalls noch erst sucht. Wir haben oben (§. 3.) an-
gemerkt, daß in unsern Sprachen das Willkührliche,
Natürliche
und Nothwendige mit einander ver-
mengt ist. Die allgemeine Sprachlehre müßte nun
vornehmlich das Natürliche und Nothwendige in
der Sprache zum Gegenstande nehmen, und das Will-

kühr-
II. Hauptſtuͤck.


Zweytes Hauptſtuͤck.
Von
der Sprache an ſich betrachtet.

§. 70.

Nach der allgemeinen Betrachtung der Zeichen uͤber-
haupt, werden wir uns nun beſonders zu der
Sprache wenden, um ihre Structur naͤher kennen zu
lernen. Wir haben in vorhergehendem Hauptſtuͤcke
geſehen, daß uns die ſymboliſche Erkenntniß, und in
dieſer die Rede unentbehrlich iſt (§. 12. 13. 14.), und daß
die Sprache als das Behaͤltniß unſerer Begriffe und
Wahrheiten, aus vielen Gruͤnden die Unterſuchung ei-
nes Weltweiſen verdiene (§. 1-4.) Man iſt daher
bereits ſchon auf zwo Wiſſenſchaften gefallen, deren Er-
findung von ungemeiner Wichtigkeit ſeyn wuͤrde, wenn
ſie ſo leicht waͤren. Die eine iſt die Lehre einer all-
gemeinen Sprache,
welche ſo wohl im Reden als
im Schreiben fuͤr ſich verſtaͤndlich waͤre, oder wenigſtens
ohne viele Muͤhe gelernt werden koͤnnte. Naͤmlich ſo,
wie das Alphabet der Schluͤſſel zum Leſen unſerer der-
maligen Sprachen iſt, ſo wuͤrde dieſe geſuchte allgemeine
Sprache hoͤchſtens nur eines Schluͤſſels beduͤrfen, um
nicht nur lesbar, ſondern auslegbar und verſtaͤndlich zu
werden.

§. 71. Die andere Wiſſenſchaft iſt die allgemeine
Sprachlehre,
Gramatica uniuerſalis, welche man
ebenfalls noch erſt ſucht. Wir haben oben (§. 3.) an-
gemerkt, daß in unſern Sprachen das Willkuͤhrliche,
Natuͤrliche
und Nothwendige mit einander ver-
mengt iſt. Die allgemeine Sprachlehre muͤßte nun
vornehmlich das Natuͤrliche und Nothwendige in
der Sprache zum Gegenſtande nehmen, und das Will-

kuͤhr-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0050" n="44"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi> </fw><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Zweytes Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.<lb/>
Von<lb/>
der Sprache an &#x017F;ich betrachtet.</hi> </head><lb/>
          <p> <hi rendition="#c">§. 70.</hi> </p><lb/>
          <p><hi rendition="#in">N</hi>ach der allgemeinen Betrachtung der Zeichen u&#x0364;ber-<lb/>
haupt, werden wir uns nun be&#x017F;onders zu der<lb/>
Sprache wenden, um ihre Structur na&#x0364;her kennen zu<lb/>
lernen. Wir haben in vorhergehendem Haupt&#x017F;tu&#x0364;cke<lb/>
ge&#x017F;ehen, daß uns die &#x017F;ymboli&#x017F;che Erkenntniß, und in<lb/>
die&#x017F;er die Rede unentbehrlich i&#x017F;t (§. 12. 13. 14.), und daß<lb/>
die Sprache als das Beha&#x0364;ltniß un&#x017F;erer Begriffe und<lb/>
Wahrheiten, aus vielen Gru&#x0364;nden die Unter&#x017F;uchung ei-<lb/>
nes Weltwei&#x017F;en verdiene (§. 1-4.) Man i&#x017F;t daher<lb/>
bereits &#x017F;chon auf zwo Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften gefallen, deren Er-<lb/>
findung von ungemeiner Wichtigkeit &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, wenn<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;o leicht wa&#x0364;ren. Die eine i&#x017F;t <hi rendition="#fr">die Lehre einer all-<lb/>
gemeinen Sprache,</hi> welche &#x017F;o wohl im Reden als<lb/>
im Schreiben fu&#x0364;r &#x017F;ich ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich wa&#x0364;re, oder wenig&#x017F;tens<lb/>
ohne viele Mu&#x0364;he gelernt werden ko&#x0364;nnte. Na&#x0364;mlich &#x017F;o,<lb/>
wie das Alphabet der Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el zum Le&#x017F;en un&#x017F;erer der-<lb/>
maligen Sprachen i&#x017F;t, &#x017F;o wu&#x0364;rde die&#x017F;e ge&#x017F;uchte allgemeine<lb/>
Sprache ho&#x0364;ch&#x017F;tens nur eines Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;els bedu&#x0364;rfen, um<lb/>
nicht nur lesbar, &#x017F;ondern auslegbar und ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich zu<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p>§. 71. Die andere Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft i&#x017F;t die <hi rendition="#fr">allgemeine<lb/>
Sprachlehre,</hi> <hi rendition="#aq">Gramatica uniuer&#x017F;alis,</hi> welche man<lb/>
ebenfalls noch er&#x017F;t &#x017F;ucht. Wir haben oben (§. 3.) an-<lb/>
gemerkt, daß in un&#x017F;ern Sprachen das <hi rendition="#fr">Willku&#x0364;hrliche,<lb/>
Natu&#x0364;rliche</hi> und <hi rendition="#fr">Nothwendige</hi> mit einander ver-<lb/>
mengt i&#x017F;t. Die allgemeine Sprachlehre mu&#x0364;ßte nun<lb/>
vornehmlich das <hi rendition="#fr">Natu&#x0364;rliche</hi> und <hi rendition="#fr">Nothwendige</hi> in<lb/>
der Sprache zum Gegen&#x017F;tande nehmen, und das <hi rendition="#fr">Will-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">ku&#x0364;hr-</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0050] II. Hauptſtuͤck. Zweytes Hauptſtuͤck. Von der Sprache an ſich betrachtet. §. 70. Nach der allgemeinen Betrachtung der Zeichen uͤber- haupt, werden wir uns nun beſonders zu der Sprache wenden, um ihre Structur naͤher kennen zu lernen. Wir haben in vorhergehendem Hauptſtuͤcke geſehen, daß uns die ſymboliſche Erkenntniß, und in dieſer die Rede unentbehrlich iſt (§. 12. 13. 14.), und daß die Sprache als das Behaͤltniß unſerer Begriffe und Wahrheiten, aus vielen Gruͤnden die Unterſuchung ei- nes Weltweiſen verdiene (§. 1-4.) Man iſt daher bereits ſchon auf zwo Wiſſenſchaften gefallen, deren Er- findung von ungemeiner Wichtigkeit ſeyn wuͤrde, wenn ſie ſo leicht waͤren. Die eine iſt die Lehre einer all- gemeinen Sprache, welche ſo wohl im Reden als im Schreiben fuͤr ſich verſtaͤndlich waͤre, oder wenigſtens ohne viele Muͤhe gelernt werden koͤnnte. Naͤmlich ſo, wie das Alphabet der Schluͤſſel zum Leſen unſerer der- maligen Sprachen iſt, ſo wuͤrde dieſe geſuchte allgemeine Sprache hoͤchſtens nur eines Schluͤſſels beduͤrfen, um nicht nur lesbar, ſondern auslegbar und verſtaͤndlich zu werden. §. 71. Die andere Wiſſenſchaft iſt die allgemeine Sprachlehre, Gramatica uniuerſalis, welche man ebenfalls noch erſt ſucht. Wir haben oben (§. 3.) an- gemerkt, daß in unſern Sprachen das Willkuͤhrliche, Natuͤrliche und Nothwendige mit einander ver- mengt iſt. Die allgemeine Sprachlehre muͤßte nun vornehmlich das Natuͤrliche und Nothwendige in der Sprache zum Gegenſtande nehmen, und das Will- kuͤhr-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/50
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/50>, abgerufen am 26.04.2024.