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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

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Aber ich bin selbst so nördlich geworden, daß mein
Wohlwollen, was ich an solcher Schönheit empfand,
nichts als ein paar Minuten sehen, ein paar Worte
sprechen wollte, um den Gang des Ausdrucks zu be¬
obachten, aber nicht einmal im Leisesten afficirt wurde,
als ich scheiden mußte.

Ich bin reif zum Künstler.

Aber wenn ich einmal wieder poetisch werde, so
wird der schmeichelnde Effect dieser reizenden Figur viel
Einfluß gehabt haben. Ich werde sie noch lange sehen
im kurzen weißseidenen Gewande, das Haar verführerisch
natürlich und doch so kunstreich modern aufgelöst, ihre
schwarzen Locken dem Anschein nach mühsam von einer
einzigen blendenden Kamelie zusammengehalten, hinab¬
fallend auf den stolzen weißen Nacken. Ich vergesse
sie nimmer diese Figur, leicht sich wiegend und geschmei¬
dig wie eine verführerische Melodie und doch stolz und
hoch wie eine hohe Kunstidee -- hinter den breiten
Augenliedern, den langen schattigen Wimpern lag eine
südliche Nacht mit allem Verlangen und allem Reiz,
mit Schalkheit und Tönen -- sie will nächstens nach
Paris kommen. Auf Wiedersehn, mein schönes Kind!

Aber ich bin ſelbſt ſo nördlich geworden, daß mein
Wohlwollen, was ich an ſolcher Schönheit empfand,
nichts als ein paar Minuten ſehen, ein paar Worte
ſprechen wollte, um den Gang des Ausdrucks zu be¬
obachten, aber nicht einmal im Leiſeſten afficirt wurde,
als ich ſcheiden mußte.

Ich bin reif zum Künſtler.

Aber wenn ich einmal wieder poetiſch werde, ſo
wird der ſchmeichelnde Effect dieſer reizenden Figur viel
Einfluß gehabt haben. Ich werde ſie noch lange ſehen
im kurzen weißſeidenen Gewande, das Haar verführeriſch
natürlich und doch ſo kunſtreich modern aufgelöſt, ihre
ſchwarzen Locken dem Anſchein nach mühſam von einer
einzigen blendenden Kamelie zuſammengehalten, hinab¬
fallend auf den ſtolzen weißen Nacken. Ich vergeſſe
ſie nimmer dieſe Figur, leicht ſich wiegend und geſchmei¬
dig wie eine verführeriſche Melodie und doch ſtolz und
hoch wie eine hohe Kunſtidee — hinter den breiten
Augenliedern, den langen ſchattigen Wimpern lag eine
ſüdliche Nacht mit allem Verlangen und allem Reiz,
mit Schalkheit und Tönen — ſie will nächſtens nach
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[167/0177] Aber ich bin ſelbſt ſo nördlich geworden, daß mein Wohlwollen, was ich an ſolcher Schönheit empfand, nichts als ein paar Minuten ſehen, ein paar Worte ſprechen wollte, um den Gang des Ausdrucks zu be¬ obachten, aber nicht einmal im Leiſeſten afficirt wurde, als ich ſcheiden mußte. Ich bin reif zum Künſtler. Aber wenn ich einmal wieder poetiſch werde, ſo wird der ſchmeichelnde Effect dieſer reizenden Figur viel Einfluß gehabt haben. Ich werde ſie noch lange ſehen im kurzen weißſeidenen Gewande, das Haar verführeriſch natürlich und doch ſo kunſtreich modern aufgelöſt, ihre ſchwarzen Locken dem Anſchein nach mühſam von einer einzigen blendenden Kamelie zuſammengehalten, hinab¬ fallend auf den ſtolzen weißen Nacken. Ich vergeſſe ſie nimmer dieſe Figur, leicht ſich wiegend und geſchmei¬ dig wie eine verführeriſche Melodie und doch ſtolz und hoch wie eine hohe Kunſtidee — hinter den breiten Augenliedern, den langen ſchattigen Wimpern lag eine ſüdliche Nacht mit allem Verlangen und allem Reiz, mit Schalkheit und Tönen — ſie will nächſtens nach Paris kommen. Auf Wiederſehn, mein ſchönes Kind!

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/177>, abgerufen am 26.04.2024.