Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

keinen Sprung wagen darf, ohne fürchten zu müssen,
daß sie platzen. Und das kommt daher, weil Alles
an ihnen auf die Oberfläche, auf die Erscheinung
berechnet ist; sie schätzen Alles nach dem, wie es in
die Augen fällt, wie es scheint, niemals nach dem
wie es ist; daher ihr oberflächliches Wissen, daher die
historische Erscheinung, daß fast alle gesellschaftlichen
und sonstigen Entdeckungen von der nicht vornehmen
Klasse ausgegangen sind. Daher ihr Wohnen, ihre
Kleider, Formen, die sogenannten seinen Manieren --
es ist Alles heller Sonnenschein auf einer Schneeflur;
es sieht Alles glatt, weiß, glänzend, ja schimmernd aus,
und ist doch unerquicklich, kalt und unbequem. Es
fehlt in diesem Ganzen das Innerliche, das Herz. Sie
bringen's, wenn es hoch kommt, bis zum Geist, nim¬
mer bis zur Seele; das liegt am ganzen Zuschnitt:
sie wollen von Jugend auf glänzen, nicht aber wärmen.
Hyppolit setzte hinzu, daß die eigentlich vornehmen Leute
nur die Staffage der Welt seien, und daß darum die
Ausnahmen unter ihnen, welche tiefer gehen und fühlen
und ausfühlen wollen, meist unglücklich würden. Al¬
berta schrack zusammen, und sah den Sprecher, mit einem
Blick schneidenden Schmerzes an. Fips machte ein

II. 2

keinen Sprung wagen darf, ohne fürchten zu müſſen,
daß ſie platzen. Und das kommt daher, weil Alles
an ihnen auf die Oberfläche, auf die Erſcheinung
berechnet iſt; ſie ſchätzen Alles nach dem, wie es in
die Augen fällt, wie es ſcheint, niemals nach dem
wie es iſt; daher ihr oberflächliches Wiſſen, daher die
hiſtoriſche Erſcheinung, daß faſt alle geſellſchaftlichen
und ſonſtigen Entdeckungen von der nicht vornehmen
Klaſſe ausgegangen ſind. Daher ihr Wohnen, ihre
Kleider, Formen, die ſogenannten ſeinen Manieren —
es iſt Alles heller Sonnenſchein auf einer Schneeflur;
es ſieht Alles glatt, weiß, glänzend, ja ſchimmernd aus,
und iſt doch unerquicklich, kalt und unbequem. Es
fehlt in dieſem Ganzen das Innerliche, das Herz. Sie
bringen’s, wenn es hoch kommt, bis zum Geiſt, nim¬
mer bis zur Seele; das liegt am ganzen Zuſchnitt:
ſie wollen von Jugend auf glänzen, nicht aber wärmen.
Hyppolit ſetzte hinzu, daß die eigentlich vornehmen Leute
nur die Staffage der Welt ſeien, und daß darum die
Ausnahmen unter ihnen, welche tiefer gehen und fühlen
und ausfühlen wollen, meiſt unglücklich würden. Al¬
berta ſchrack zuſammen, und ſah den Sprecher, mit einem
Blick ſchneidenden Schmerzes an. Fips machte ein

II. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0037" n="25"/>
keinen Sprung wagen darf, ohne fürchten zu mü&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß &#x017F;ie platzen. Und das kommt daher, weil Alles<lb/>
an ihnen auf die Oberfläche, auf die <hi rendition="#g">Er&#x017F;cheinung</hi><lb/>
berechnet i&#x017F;t; &#x017F;ie &#x017F;chätzen Alles nach dem, wie es in<lb/>
die Augen fällt, wie es <hi rendition="#g">&#x017F;cheint</hi>, niemals nach dem<lb/>
wie es <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi>; daher ihr oberflächliches Wi&#x017F;&#x017F;en, daher die<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;che Er&#x017F;cheinung, daß fa&#x017F;t alle ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen<lb/>
und &#x017F;on&#x017F;tigen Entdeckungen von der nicht vornehmen<lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;e ausgegangen &#x017F;ind. Daher ihr Wohnen, ihre<lb/>
Kleider, Formen, die &#x017F;ogenannten &#x017F;einen Manieren &#x2014;<lb/>
es i&#x017F;t Alles heller Sonnen&#x017F;chein auf einer Schneeflur;<lb/>
es &#x017F;ieht Alles glatt, weiß, glänzend, ja &#x017F;chimmernd aus,<lb/>
und i&#x017F;t doch unerquicklich, kalt und unbequem. Es<lb/>
fehlt in die&#x017F;em Ganzen das Innerliche, das Herz. Sie<lb/>
bringen&#x2019;s, wenn es hoch kommt, bis zum Gei&#x017F;t, nim¬<lb/>
mer bis zur Seele; das liegt am ganzen Zu&#x017F;chnitt:<lb/>
&#x017F;ie wollen von Jugend auf glänzen, nicht aber wärmen.<lb/>
Hyppolit &#x017F;etzte hinzu, daß die eigentlich vornehmen Leute<lb/>
nur die Staffage der Welt &#x017F;eien, und daß darum die<lb/>
Ausnahmen unter ihnen, welche tiefer gehen und fühlen<lb/>
und ausfühlen wollen, mei&#x017F;t unglücklich würden. Al¬<lb/>
berta &#x017F;chrack zu&#x017F;ammen, und &#x017F;ah den Sprecher, mit einem<lb/>
Blick &#x017F;chneidenden Schmerzes an. Fips machte ein<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II</hi>. 2<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0037] keinen Sprung wagen darf, ohne fürchten zu müſſen, daß ſie platzen. Und das kommt daher, weil Alles an ihnen auf die Oberfläche, auf die Erſcheinung berechnet iſt; ſie ſchätzen Alles nach dem, wie es in die Augen fällt, wie es ſcheint, niemals nach dem wie es iſt; daher ihr oberflächliches Wiſſen, daher die hiſtoriſche Erſcheinung, daß faſt alle geſellſchaftlichen und ſonſtigen Entdeckungen von der nicht vornehmen Klaſſe ausgegangen ſind. Daher ihr Wohnen, ihre Kleider, Formen, die ſogenannten ſeinen Manieren — es iſt Alles heller Sonnenſchein auf einer Schneeflur; es ſieht Alles glatt, weiß, glänzend, ja ſchimmernd aus, und iſt doch unerquicklich, kalt und unbequem. Es fehlt in dieſem Ganzen das Innerliche, das Herz. Sie bringen’s, wenn es hoch kommt, bis zum Geiſt, nim¬ mer bis zur Seele; das liegt am ganzen Zuſchnitt: ſie wollen von Jugend auf glänzen, nicht aber wärmen. Hyppolit ſetzte hinzu, daß die eigentlich vornehmen Leute nur die Staffage der Welt ſeien, und daß darum die Ausnahmen unter ihnen, welche tiefer gehen und fühlen und ausfühlen wollen, meiſt unglücklich würden. Al¬ berta ſchrack zuſammen, und ſah den Sprecher, mit einem Blick ſchneidenden Schmerzes an. Fips machte ein II. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/37
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/37>, abgerufen am 26.04.2024.