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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Reykjavik.

Im fernen Nordmeere, dort wo Eis und Schnee weithin das
Scepter führen und die Natur nur unter schwerer Mühe zu einiger
Entfaltung gelangt, liegt Island, das Land des Eises, des feuerspeien-
den Hekla und der wunderbaren Geyserquelle, die Ultima Thule
alter Geographen. Skandinavische Männer, auf abenteuerlicher und
bisweilen auch räuberischer Seefahrt begriffen, haben die Besiedelung
dieser grössten europäischen Insel veranlasst, eine Besiedelung, der
freilich durch die Beschaffenheit des Bodens enge Grenzen gezogen
sind. Kennt man doch auf Island keinen Baumwuchs! Von hier aus
ward schon in früher Zeit Grönland entdeckt; von hier aus hat man
die Küste Nordamerikas, wenn auch nur vorübergehend, besucht, ehe
noch Columbus dahin seine Fahrt mit spanischen Schiffen antrat. Island
lag abseits von dem Treiben der übrigen Welt, und nur der Umstand,
dass es nach einer mehr als dreihundertjährigen Selbständigkeit in-
folge innerer Streitigkeiten fremde Intervention anrief, brachte es
unter norwegische Oberhoheit und damit später mit Norwegen unter
die dänische Herrschaft. Die Dänen haben die Insel eigentlich bis
herauf in die allerjüngsten Tage nicht günstig behandelt, indem sie
die Freiheit ihres Handels beschränkten und die Isländer zwangen,
ihre Bedürfnisse nur von dänischen Importeuren zu nehmen. Unter
König Christian IX. wurden diese Beschränkungen beseitigt und bekam
die Insel zugleich mit einer ganz selbständigen Verfassung auch volle
Freiheit ihrer commerziellen Bewegung.

Island ist 105.000 km2 gross, zählt aber bloss 72.000 Ein-
wohner, welche zumeist an den Küsten in Einzelhäfen leben, darum
hat die Insel eigentlich nur einen Ort von Bedeutung, das an der
Westküste in dem Faxa-Fjord gelegene Reykjavik.

Diese Stadt schreibt ihre Gründung der Fahrt norwegischer Edlen unter
Ingolf zu, welche um das Jahr 874 vor heimischer Bedrückung fliehend sich
nach dem bereits durch frühere Fahrten von Landsleuten bekannten Island be-
gaben. Ingolf gelobte hiebei, so wird von der Sage erzählt, eine Stadt an jener

Reykjavik.

Im fernen Nordmeere, dort wo Eis und Schnee weithin das
Scepter führen und die Natur nur unter schwerer Mühe zu einiger
Entfaltung gelangt, liegt Island, das Land des Eises, des feuerspeien-
den Hekla und der wunderbaren Geyserquelle, die Ultima Thule
alter Geographen. Skandinavische Männer, auf abenteuerlicher und
bisweilen auch räuberischer Seefahrt begriffen, haben die Besiedelung
dieser grössten europäischen Insel veranlasst, eine Besiedelung, der
freilich durch die Beschaffenheit des Bodens enge Grenzen gezogen
sind. Kennt man doch auf Island keinen Baumwuchs! Von hier aus
ward schon in früher Zeit Grönland entdeckt; von hier aus hat man
die Küste Nordamerikas, wenn auch nur vorübergehend, besucht, ehe
noch Columbus dahin seine Fahrt mit spanischen Schiffen antrat. Island
lag abseits von dem Treiben der übrigen Welt, und nur der Umstand,
dass es nach einer mehr als dreihundertjährigen Selbständigkeit in-
folge innerer Streitigkeiten fremde Intervention anrief, brachte es
unter norwegische Oberhoheit und damit später mit Norwegen unter
die dänische Herrschaft. Die Dänen haben die Insel eigentlich bis
herauf in die allerjüngsten Tage nicht günstig behandelt, indem sie
die Freiheit ihres Handels beschränkten und die Isländer zwangen,
ihre Bedürfnisse nur von dänischen Importeuren zu nehmen. Unter
König Christian IX. wurden diese Beschränkungen beseitigt und bekam
die Insel zugleich mit einer ganz selbständigen Verfassung auch volle
Freiheit ihrer commerziellen Bewegung.

Island ist 105.000 km2 gross, zählt aber bloss 72.000 Ein-
wohner, welche zumeist an den Küsten in Einzelhäfen leben, darum
hat die Insel eigentlich nur einen Ort von Bedeutung, das an der
Westküste in dem Faxa-Fjord gelegene Reykjavik.

Diese Stadt schreibt ihre Gründung der Fahrt norwegischer Edlen unter
Ingolf zu, welche um das Jahr 874 vor heimischer Bedrückung fliehend sich
nach dem bereits durch frühere Fahrten von Landsleuten bekannten Island be-
gaben. Ingolf gelobte hiebei, so wird von der Sage erzählt, eine Stadt an jener

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[[1096]/1116] Reykjavik. Im fernen Nordmeere, dort wo Eis und Schnee weithin das Scepter führen und die Natur nur unter schwerer Mühe zu einiger Entfaltung gelangt, liegt Island, das Land des Eises, des feuerspeien- den Hekla und der wunderbaren Geyserquelle, die Ultima Thule alter Geographen. Skandinavische Männer, auf abenteuerlicher und bisweilen auch räuberischer Seefahrt begriffen, haben die Besiedelung dieser grössten europäischen Insel veranlasst, eine Besiedelung, der freilich durch die Beschaffenheit des Bodens enge Grenzen gezogen sind. Kennt man doch auf Island keinen Baumwuchs! Von hier aus ward schon in früher Zeit Grönland entdeckt; von hier aus hat man die Küste Nordamerikas, wenn auch nur vorübergehend, besucht, ehe noch Columbus dahin seine Fahrt mit spanischen Schiffen antrat. Island lag abseits von dem Treiben der übrigen Welt, und nur der Umstand, dass es nach einer mehr als dreihundertjährigen Selbständigkeit in- folge innerer Streitigkeiten fremde Intervention anrief, brachte es unter norwegische Oberhoheit und damit später mit Norwegen unter die dänische Herrschaft. Die Dänen haben die Insel eigentlich bis herauf in die allerjüngsten Tage nicht günstig behandelt, indem sie die Freiheit ihres Handels beschränkten und die Isländer zwangen, ihre Bedürfnisse nur von dänischen Importeuren zu nehmen. Unter König Christian IX. wurden diese Beschränkungen beseitigt und bekam die Insel zugleich mit einer ganz selbständigen Verfassung auch volle Freiheit ihrer commerziellen Bewegung. Island ist 105.000 km2 gross, zählt aber bloss 72.000 Ein- wohner, welche zumeist an den Küsten in Einzelhäfen leben, darum hat die Insel eigentlich nur einen Ort von Bedeutung, das an der Westküste in dem Faxa-Fjord gelegene Reykjavik. Diese Stadt schreibt ihre Gründung der Fahrt norwegischer Edlen unter Ingolf zu, welche um das Jahr 874 vor heimischer Bedrückung fliehend sich nach dem bereits durch frühere Fahrten von Landsleuten bekannten Island be- gaben. Ingolf gelobte hiebei, so wird von der Sage erzählt, eine Stadt an jener

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [1096]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/1116>, abgerufen am 26.04.2024.