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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Odessa.

Im nordwestlichsten Theile des Schwarzen Meeres, 150 km nörd-
lich der Donau-Mündungen, bildet die Küste den prächtigen Golf von
Odessa mit der gleichnamigen, an dessen Ostseite liegenden Bai, auf
welche die malerischen Bauwerke des südrussischen Haupthafens
von stolzer Höhe herabblicken. Die nahen Mündungen der mächtigen
schiffbaren Flüsse Dnjepr, Bug und Dnjestr erheben Odessa zum
Ausbruchshafen eines weiten bis nach Central-Russland reichenden
Productionsgebietes.

Die Küstenformation ist eigenthümlich. An den zahlreichen Mündungen der
Haupt- und Küstenflüsse bildeten sich seichte seenartige Salzwasseransammlungen
(Limane), welche meist durch einen niedrigen, von den Wellen angeschwemmten
Sand- oder Schotterstreifen (Nehrung, Peresyp) vom Meere getrennt sind. Nur bei
den Mündungen der grösseren Flüsse bleibt der Liman geöffnet, wogegen bei
kleineren die Verdunstung auf der Oberfläche des Limans den Zufluss aufzehrt
und keine Wasserzuströmung in das Meer stattfindet.

Zwischen den erwähnten Salzseen tritt ein mässig hohes, schluchtenreiches
Hügelland, die letzten Ausläufer eines Plateaus, das in die Karpathen übergeht,
hart an die Küste und bildet hier steile Böschungen. Jedoch ist die Meerestiefe
in diesem Theil des Schwarzen Meeres keine bedeutende, denn selbe überschreitet
an keinem Punkte das Mass von 20 m, beträgt aber an der bessarabischen Küste
auf 2 km Abstand vom Lande noch immer nur 7 m.

In der halbmondförmigen, 7·5 km breiten und 4 km eingebogenen Bai von
Odessa überschreitet die Wassertiefe bei gleichmässig verlaufendem Grunde an
keiner Stelle 15 m, und am Wellenbrecher des Hafens findet man nur eine solche
von 10 m.

Starke Südostwinde erzeugen im Golfe von Odessa durch die Rückstauung
und Reflexion der schweren Wellen an der Küste sowie durch die entgegen-
stehende Strömung der Wasserzuflüsse eine hochgehende, für kleinere Fahrzeuge
mitunter gefährliche, aber auch grösseren Schiffen lästige Widersee.

Odessa bietet dem zur See Ankommenden ein überraschendes
Panorama dar. Von einem gegen 50 m hoch gelegenen Plateau, das
mit steilen, oft senkrechten und zerrissenen Rändern zum Meere ab-

Odessa.

Im nordwestlichsten Theile des Schwarzen Meeres, 150 km nörd-
lich der Donau-Mündungen, bildet die Küste den prächtigen Golf von
Odessa mit der gleichnamigen, an dessen Ostseite liegenden Bai, auf
welche die malerischen Bauwerke des südrussischen Haupthafens
von stolzer Höhe herabblicken. Die nahen Mündungen der mächtigen
schiffbaren Flüsse Dnjepr, Bug und Dnjestr erheben Odessa zum
Ausbruchshafen eines weiten bis nach Central-Russland reichenden
Productionsgebietes.

Die Küstenformation ist eigenthümlich. An den zahlreichen Mündungen der
Haupt- und Küstenflüsse bildeten sich seichte seenartige Salzwasseransammlungen
(Limane), welche meist durch einen niedrigen, von den Wellen angeschwemmten
Sand- oder Schotterstreifen (Nehrung, Peresyp) vom Meere getrennt sind. Nur bei
den Mündungen der grösseren Flüsse bleibt der Liman geöffnet, wogegen bei
kleineren die Verdunstung auf der Oberfläche des Limans den Zufluss aufzehrt
und keine Wasserzuströmung in das Meer stattfindet.

Zwischen den erwähnten Salzseen tritt ein mässig hohes, schluchtenreiches
Hügelland, die letzten Ausläufer eines Plateaus, das in die Karpathen übergeht,
hart an die Küste und bildet hier steile Böschungen. Jedoch ist die Meerestiefe
in diesem Theil des Schwarzen Meeres keine bedeutende, denn selbe überschreitet
an keinem Punkte das Mass von 20 m, beträgt aber an der bessarabischen Küste
auf 2 km Abstand vom Lande noch immer nur 7 m.

In der halbmondförmigen, 7·5 km breiten und 4 km eingebogenen Bai von
Odessa überschreitet die Wassertiefe bei gleichmässig verlaufendem Grunde an
keiner Stelle 15 m, und am Wellenbrecher des Hafens findet man nur eine solche
von 10 m.

Starke Südostwinde erzeugen im Golfe von Odessa durch die Rückstauung
und Reflexion der schweren Wellen an der Küste sowie durch die entgegen-
stehende Strömung der Wasserzuflüsse eine hochgehende, für kleinere Fahrzeuge
mitunter gefährliche, aber auch grösseren Schiffen lästige Widersee.

Odessa bietet dem zur See Ankommenden ein überraschendes
Panorama dar. Von einem gegen 50 m hoch gelegenen Plateau, das
mit steilen, oft senkrechten und zerrissenen Rändern zum Meere ab-

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[[166]/0186] Odessa. Im nordwestlichsten Theile des Schwarzen Meeres, 150 km nörd- lich der Donau-Mündungen, bildet die Küste den prächtigen Golf von Odessa mit der gleichnamigen, an dessen Ostseite liegenden Bai, auf welche die malerischen Bauwerke des südrussischen Haupthafens von stolzer Höhe herabblicken. Die nahen Mündungen der mächtigen schiffbaren Flüsse Dnjepr, Bug und Dnjestr erheben Odessa zum Ausbruchshafen eines weiten bis nach Central-Russland reichenden Productionsgebietes. Die Küstenformation ist eigenthümlich. An den zahlreichen Mündungen der Haupt- und Küstenflüsse bildeten sich seichte seenartige Salzwasseransammlungen (Limane), welche meist durch einen niedrigen, von den Wellen angeschwemmten Sand- oder Schotterstreifen (Nehrung, Peresyp) vom Meere getrennt sind. Nur bei den Mündungen der grösseren Flüsse bleibt der Liman geöffnet, wogegen bei kleineren die Verdunstung auf der Oberfläche des Limans den Zufluss aufzehrt und keine Wasserzuströmung in das Meer stattfindet. Zwischen den erwähnten Salzseen tritt ein mässig hohes, schluchtenreiches Hügelland, die letzten Ausläufer eines Plateaus, das in die Karpathen übergeht, hart an die Küste und bildet hier steile Böschungen. Jedoch ist die Meerestiefe in diesem Theil des Schwarzen Meeres keine bedeutende, denn selbe überschreitet an keinem Punkte das Mass von 20 m, beträgt aber an der bessarabischen Küste auf 2 km Abstand vom Lande noch immer nur 7 m. In der halbmondförmigen, 7·5 km breiten und 4 km eingebogenen Bai von Odessa überschreitet die Wassertiefe bei gleichmässig verlaufendem Grunde an keiner Stelle 15 m, und am Wellenbrecher des Hafens findet man nur eine solche von 10 m. Starke Südostwinde erzeugen im Golfe von Odessa durch die Rückstauung und Reflexion der schweren Wellen an der Küste sowie durch die entgegen- stehende Strömung der Wasserzuflüsse eine hochgehende, für kleinere Fahrzeuge mitunter gefährliche, aber auch grösseren Schiffen lästige Widersee. Odessa bietet dem zur See Ankommenden ein überraschendes Panorama dar. Von einem gegen 50 m hoch gelegenen Plateau, das mit steilen, oft senkrechten und zerrissenen Rändern zum Meere ab-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [166]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/186>, abgerufen am 26.04.2024.