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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Venedig.

Wir sind aus dem Quarnero wieder in das nördlichste Gebiet
der Adria eingedrungen. Das dunkle Azur des Meeres, die undurch-
dringliche Decke über dem Geheimnisse der Tiefe, ist allmälig einer
gründlichen Färbung gewichen. Algenbüschel und Gräser, hin und
wieder der laublose Zweig eines Baumes schwimmen träge auf der
endlosen Wasserfläche. Ueber uns in ätherklaren Lüften tummeln sich,
das Schiff geleitend, kreischende Möven in lustigem Spiele.

Alle Anzeichen des nahen Landes sind vorhanden und mehren
sich, je weiter wir westwärts vordringen; ja selbst kühne Fischer
auf eigenthümlich gebauten Fahrzeugen, über welchen roth und gelb
bemalte Segel in gefälligem Schwunge sich blähen, erblicken wir,
allein noch immer kein Land.

Doch plötzlich schimmert und leuchtet es am westlichen Hori-
zont. Im Sonnenscheine erglänzende Kuppeln und Thürme, grosse
palastähnliche Bauwerke mit geheimnissvoll bewegten Formen tauchen
dort, von magischem Lichte umflossen, wie eine trügerische Fata Mor-
gana auf.

Seitlich und davor scheinen dunkle, wie aus dem Buschwerke
hoher Bäume geformte Gebilde sich zu drängen.

Ernst und gross und doch so luftig und zart blicken die zackigen
Höhen der fernen Alpen -- rechts der vielbesungene Triglav, links
die aus gottgesegneten Fluren aufsteigenden vulkanischen Colli Euganei
und Monti Berici -- herab zu uns, und von dem Hauche sanfter Meeres-
lüfte erfrischt, erhält die Phantasie weiten Raum, das zaubervolle Bild
auszugestalten.

Die Stadt der Paläste, das gold'ne Venedig, liegt vor uns, und
es ist, als leuchte eine glänzende geistige Corona über den fernen
Umrissen der altehrwürdigen Metropole eines entschwundenen, mehr
als tausendjährigen Staatsgebildes.


Venedig.

Wir sind aus dem Quarnero wieder in das nördlichste Gebiet
der Adria eingedrungen. Das dunkle Azur des Meeres, die undurch-
dringliche Decke über dem Geheimnisse der Tiefe, ist allmälig einer
gründlichen Färbung gewichen. Algenbüschel und Gräser, hin und
wieder der laublose Zweig eines Baumes schwimmen träge auf der
endlosen Wasserfläche. Ueber uns in ätherklaren Lüften tummeln sich,
das Schiff geleitend, kreischende Möven in lustigem Spiele.

Alle Anzeichen des nahen Landes sind vorhanden und mehren
sich, je weiter wir westwärts vordringen; ja selbst kühne Fischer
auf eigenthümlich gebauten Fahrzeugen, über welchen roth und gelb
bemalte Segel in gefälligem Schwunge sich blähen, erblicken wir,
allein noch immer kein Land.

Doch plötzlich schimmert und leuchtet es am westlichen Hori-
zont. Im Sonnenscheine erglänzende Kuppeln und Thürme, grosse
palastähnliche Bauwerke mit geheimnissvoll bewegten Formen tauchen
dort, von magischem Lichte umflossen, wie eine trügerische Fata Mor-
gana auf.

Seitlich und davor scheinen dunkle, wie aus dem Buschwerke
hoher Bäume geformte Gebilde sich zu drängen.

Ernst und gross und doch so luftig und zart blicken die zackigen
Höhen der fernen Alpen — rechts der vielbesungene Triglav, links
die aus gottgesegneten Fluren aufsteigenden vulkanischen Colli Euganei
und Monti Berici — herab zu uns, und von dem Hauche sanfter Meeres-
lüfte erfrischt, erhält die Phantasie weiten Raum, das zaubervolle Bild
auszugestalten.

Die Stadt der Paläste, das gold’ne Venedig, liegt vor uns, und
es ist, als leuchte eine glänzende geistige Corona über den fernen
Umrissen der altehrwürdigen Metropole eines entschwundenen, mehr
als tausendjährigen Staatsgebildes.


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[[31]/0051] Venedig. Wir sind aus dem Quarnero wieder in das nördlichste Gebiet der Adria eingedrungen. Das dunkle Azur des Meeres, die undurch- dringliche Decke über dem Geheimnisse der Tiefe, ist allmälig einer gründlichen Färbung gewichen. Algenbüschel und Gräser, hin und wieder der laublose Zweig eines Baumes schwimmen träge auf der endlosen Wasserfläche. Ueber uns in ätherklaren Lüften tummeln sich, das Schiff geleitend, kreischende Möven in lustigem Spiele. Alle Anzeichen des nahen Landes sind vorhanden und mehren sich, je weiter wir westwärts vordringen; ja selbst kühne Fischer auf eigenthümlich gebauten Fahrzeugen, über welchen roth und gelb bemalte Segel in gefälligem Schwunge sich blähen, erblicken wir, allein noch immer kein Land. Doch plötzlich schimmert und leuchtet es am westlichen Hori- zont. Im Sonnenscheine erglänzende Kuppeln und Thürme, grosse palastähnliche Bauwerke mit geheimnissvoll bewegten Formen tauchen dort, von magischem Lichte umflossen, wie eine trügerische Fata Mor- gana auf. Seitlich und davor scheinen dunkle, wie aus dem Buschwerke hoher Bäume geformte Gebilde sich zu drängen. Ernst und gross und doch so luftig und zart blicken die zackigen Höhen der fernen Alpen — rechts der vielbesungene Triglav, links die aus gottgesegneten Fluren aufsteigenden vulkanischen Colli Euganei und Monti Berici — herab zu uns, und von dem Hauche sanfter Meeres- lüfte erfrischt, erhält die Phantasie weiten Raum, das zaubervolle Bild auszugestalten. Die Stadt der Paläste, das gold’ne Venedig, liegt vor uns, und es ist, als leuchte eine glänzende geistige Corona über den fernen Umrissen der altehrwürdigen Metropole eines entschwundenen, mehr als tausendjährigen Staatsgebildes.

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [31]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/51>, abgerufen am 27.04.2024.