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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Das Mittelmeerbecken.

Nordwärts der Stadt erblickt man über der sanft geneigten
Fläche der zum Theil bewaldeten Küstenebene die Thürme von Pisa,
und südwärts von Livorno ist mit den blühenden Anlagen des Viale
Regina Margherita eine reizende durch Villen und schöne Gärten ge-
zierte Strandpromenade entstanden, würdig des hohen Namens, den
sie trägt.

Die Anlagen reichen südwärts an der königlichen Marine-Aka-
demie und dem Lazareth S. Leopoldo vorbei bis nach Ardenza (3 km),
einem lachenden Cottageviertel der Stadt.

Livorno, von Montesquieu "das Meisterwerk der Mediceischen
Dynastie" genannt, ist eine staatskluge Schöpfung dieser Herrscher-
familie, welche mit der Aufrichtung des Seeplatzes Livorno einerseits
die alte Rivalin Pisa tödlich trafen, anderseits Florenz einen eigenen
Hafen gaben, der es unabhängig von Genua, Venedig und Pisa
machte.

Obzwar im IX. Jahrhundert gegründet, kam die Stadt, welche zu Pisa ge-
hörte, im August 1405 an Genua, gerade als die Florentiner sich anschickten, Pisa,
das längst von seiner Höhe herabgestiegen war, zu unterwerfen. Sie besetzten am
5. October 1406 Pisa; den Porto Pisano an der Mündung des Arno und Livorno
kauften sie erst 15 Jahre später, am 27. Juni 1421, von dem geldbedürftigen
Genua um den Preis von 100.000 Goldgulden. Werthvoller als der alte Hafen der
Pisaner, welcher der Versandung entgegenging, war der neben ihm aufblühende,
zu seinem Ersatze bestimmte Hafen Livorno.

Noch im selben Jahre, am 28. November, wurden die Consoli del mare
ernannt, der Bau eines Seearsenals, die Ausrüstung von Handelsgaleeren begonnen:
Florenz hatte endlich seinen eigenen Hafen, seine eigenen Schiffe. Kaufmännische
Niederlassungen brauchte man nicht erst zu gründen, sie bestanden bereits in den
meisten Stapelplätzen der Levante. Auch erhob die Republik Florenz als Rechts-
nachfolgerin des unterjochten Pisa Anspruch auf alles, was jener Stadt an Besitz-
thümern und Rechten in der Levante zugestanden war.

So trat Livorno als Hafenplatz die Erbschaft Pisas in der Levante an.

Als dann im XVI. Jahrhundert auch der Levantehandel Livornos verfiel,
erlebte die Stadt einen neuen Aufschwung durch die Fürsorge der weitblickenden
Mediceer. Cosimo I., der erste Grossherzog v. Toscana (1569), ertheilte der Stadt
reiche Privilegien; Francesco I. befestigte die Stadt und Ferdinand I. trachtete,
die Industrie zu heben, und ebenso bestrebt war Cosimo II., den Handel zu
beleben. Ueberhaupt wussten die Medici vielen in anderen Staaten Unterdrückten
und Unzufriedenen, wie den Katholiken aus England, den Juden und Mauren aus
Spanien, den Kaufleuten aus Marseille, welche den Bürgerkriegen entflohen, eine
zweite Heimat in Livorno zu gründen und den Glanz der Stadt zu heben. Ebenso
waren diese Fürsten die Erbauer des alten Hafens, der noch heute ihren
Namen führt.

Auch unter den Lothringern würde die Entwicklung angehalten haben,
wenn nicht die blutigen und langen Kämpfe der französischen Republik und des
napoleonischen Kaiserreiches einen jähen Stillstand herbeigeführt hätten. Livorno

Das Mittelmeerbecken.

Nordwärts der Stadt erblickt man über der sanft geneigten
Fläche der zum Theil bewaldeten Küstenebene die Thürme von Pisa,
und südwärts von Livorno ist mit den blühenden Anlagen des Viale
Regina Margherita eine reizende durch Villen und schöne Gärten ge-
zierte Strandpromenade entstanden, würdig des hohen Namens, den
sie trägt.

Die Anlagen reichen südwärts an der königlichen Marine-Aka-
demie und dem Lazareth S. Leopoldo vorbei bis nach Ardenza (3 km),
einem lachenden Cottageviertel der Stadt.

Livorno, von Montesquieu „das Meisterwerk der Mediceischen
Dynastie“ genannt, ist eine staatskluge Schöpfung dieser Herrscher-
familie, welche mit der Aufrichtung des Seeplatzes Livorno einerseits
die alte Rivalin Pisa tödlich trafen, anderseits Florenz einen eigenen
Hafen gaben, der es unabhängig von Genua, Venedig und Pisa
machte.

Obzwar im IX. Jahrhundert gegründet, kam die Stadt, welche zu Pisa ge-
hörte, im August 1405 an Genua, gerade als die Florentiner sich anschickten, Pisa,
das längst von seiner Höhe herabgestiegen war, zu unterwerfen. Sie besetzten am
5. October 1406 Pisa; den Porto Pisano an der Mündung des Arno und Livorno
kauften sie erst 15 Jahre später, am 27. Juni 1421, von dem geldbedürftigen
Genua um den Preis von 100.000 Goldgulden. Werthvoller als der alte Hafen der
Pisaner, welcher der Versandung entgegenging, war der neben ihm aufblühende,
zu seinem Ersatze bestimmte Hafen Livorno.

Noch im selben Jahre, am 28. November, wurden die Consoli del mare
ernannt, der Bau eines Seearsenals, die Ausrüstung von Handelsgaleeren begonnen:
Florenz hatte endlich seinen eigenen Hafen, seine eigenen Schiffe. Kaufmännische
Niederlassungen brauchte man nicht erst zu gründen, sie bestanden bereits in den
meisten Stapelplätzen der Levante. Auch erhob die Republik Florenz als Rechts-
nachfolgerin des unterjochten Pisa Anspruch auf alles, was jener Stadt an Besitz-
thümern und Rechten in der Levante zugestanden war.

So trat Livorno als Hafenplatz die Erbschaft Pisas in der Levante an.

Als dann im XVI. Jahrhundert auch der Levantehandel Livornos verfiel,
erlebte die Stadt einen neuen Aufschwung durch die Fürsorge der weitblickenden
Mediceer. Cosimo I., der erste Grossherzog v. Toscana (1569), ertheilte der Stadt
reiche Privilegien; Francesco I. befestigte die Stadt und Ferdinand I. trachtete,
die Industrie zu heben, und ebenso bestrebt war Cosimo II., den Handel zu
beleben. Ueberhaupt wussten die Medici vielen in anderen Staaten Unterdrückten
und Unzufriedenen, wie den Katholiken aus England, den Juden und Mauren aus
Spanien, den Kaufleuten aus Marseille, welche den Bürgerkriegen entflohen, eine
zweite Heimat in Livorno zu gründen und den Glanz der Stadt zu heben. Ebenso
waren diese Fürsten die Erbauer des alten Hafens, der noch heute ihren
Namen führt.

Auch unter den Lothringern würde die Entwicklung angehalten haben,
wenn nicht die blutigen und langen Kämpfe der französischen Republik und des
napoleonischen Kaiserreiches einen jähen Stillstand herbeigeführt hätten. Livorno

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[356/0376] Das Mittelmeerbecken. Nordwärts der Stadt erblickt man über der sanft geneigten Fläche der zum Theil bewaldeten Küstenebene die Thürme von Pisa, und südwärts von Livorno ist mit den blühenden Anlagen des Viale Regina Margherita eine reizende durch Villen und schöne Gärten ge- zierte Strandpromenade entstanden, würdig des hohen Namens, den sie trägt. Die Anlagen reichen südwärts an der königlichen Marine-Aka- demie und dem Lazareth S. Leopoldo vorbei bis nach Ardenza (3 km), einem lachenden Cottageviertel der Stadt. Livorno, von Montesquieu „das Meisterwerk der Mediceischen Dynastie“ genannt, ist eine staatskluge Schöpfung dieser Herrscher- familie, welche mit der Aufrichtung des Seeplatzes Livorno einerseits die alte Rivalin Pisa tödlich trafen, anderseits Florenz einen eigenen Hafen gaben, der es unabhängig von Genua, Venedig und Pisa machte. Obzwar im IX. Jahrhundert gegründet, kam die Stadt, welche zu Pisa ge- hörte, im August 1405 an Genua, gerade als die Florentiner sich anschickten, Pisa, das längst von seiner Höhe herabgestiegen war, zu unterwerfen. Sie besetzten am 5. October 1406 Pisa; den Porto Pisano an der Mündung des Arno und Livorno kauften sie erst 15 Jahre später, am 27. Juni 1421, von dem geldbedürftigen Genua um den Preis von 100.000 Goldgulden. Werthvoller als der alte Hafen der Pisaner, welcher der Versandung entgegenging, war der neben ihm aufblühende, zu seinem Ersatze bestimmte Hafen Livorno. Noch im selben Jahre, am 28. November, wurden die Consoli del mare ernannt, der Bau eines Seearsenals, die Ausrüstung von Handelsgaleeren begonnen: Florenz hatte endlich seinen eigenen Hafen, seine eigenen Schiffe. Kaufmännische Niederlassungen brauchte man nicht erst zu gründen, sie bestanden bereits in den meisten Stapelplätzen der Levante. Auch erhob die Republik Florenz als Rechts- nachfolgerin des unterjochten Pisa Anspruch auf alles, was jener Stadt an Besitz- thümern und Rechten in der Levante zugestanden war. So trat Livorno als Hafenplatz die Erbschaft Pisas in der Levante an. Als dann im XVI. Jahrhundert auch der Levantehandel Livornos verfiel, erlebte die Stadt einen neuen Aufschwung durch die Fürsorge der weitblickenden Mediceer. Cosimo I., der erste Grossherzog v. Toscana (1569), ertheilte der Stadt reiche Privilegien; Francesco I. befestigte die Stadt und Ferdinand I. trachtete, die Industrie zu heben, und ebenso bestrebt war Cosimo II., den Handel zu beleben. Ueberhaupt wussten die Medici vielen in anderen Staaten Unterdrückten und Unzufriedenen, wie den Katholiken aus England, den Juden und Mauren aus Spanien, den Kaufleuten aus Marseille, welche den Bürgerkriegen entflohen, eine zweite Heimat in Livorno zu gründen und den Glanz der Stadt zu heben. Ebenso waren diese Fürsten die Erbauer des alten Hafens, der noch heute ihren Namen führt. Auch unter den Lothringern würde die Entwicklung angehalten haben, wenn nicht die blutigen und langen Kämpfe der französischen Republik und des napoleonischen Kaiserreiches einen jähen Stillstand herbeigeführt hätten. Livorno

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/376>, abgerufen am 26.04.2024.