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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Der atlantische Ocean.

Im Jahre 1158 entdeckten durch Zufall bremische Kaufleute die Mündung
der Düna und erkannten alsbald den Productenreichthum des neuentdeckten
Landes, das ein günstiges Feld für den Fleiss der Kaufleute und den Bekehrungs-
eifer der Geistlichkeit von Bremen bot.

Der hier auf einer Insel der Düna 1186 errichtete Bischofssitz Ykeskola
musste 1199 von den Feinden durch Kreuzfahrer aus Lübeck errettet werden.
Viele blieben ihrer hier, und 1201 entstand bei jener "Riege" (Schuppen zur
Trocknung und Lagerung des Getreides) am Strome die Stadt Riga. Die dankbare
Tochter deutscher Pflege, welche Bremen heraldisch als Mutter bekannte, bürger-
lich dagegen Lübeck zum Vorbilde nahm, wurde von Bischof Albrecht, dem
Stifter des Ordens der Schwertbrüder, im Jahre 1201 an einem jetzt vertrock-
neten Arme der Düna, Riga genannt, gegründet. Die ersten Ansiedler kamen aus
Bremen und Lübeck. Die Stadt erhielt wichtige Privilegien und Besitzungen und
erwarb sich infolge dessen bald eine hervorragende Bedeutung als Handelsplatz.
Schon im XIII. Jahrhundert schloss sich Riga der deutschen Hansa an. Im
XIV. Jahrhundert entstanden die grosse Gilde (Verein der Kaufleute) und die
kleine Gilde (Verein der Handwerkerzünfte).

Im Jahre 1237 vereinigte sich der Orden der Schwertbrüder, der seinen
Sitz in Wenden hatte, mit dem deutschen Ritterorden in Preussen, wodurch Riga
zu einer erhöhten Bedeutung gelangte, indem nun die Schwertbrüder durch einen
in Riga residirenden Landmeister (magister provincialis) geleitet wurden, der,
obwohl er dem Heermeister des deutschen Ordens unterstand, doch ziemlich selb-
ständig war. Jedoch fanden in der Folgezeit fortdauernd Streitigkeiten zwischen
den Bischöfen, dem Orden der Schwertbrüder und der Bürgerschaft statt.

Später litt Riga durch die Kriege zwischen dem Orden, den Russen, Polen
und Schweden um den Besitz des Landes sehr und musste manche Belagerung
aushalten, sah auch oft den Feind als Sieger einziehen. Im Jahre 1581 bemäch-
tigte sich Stephan Bathory der Stadt, am 15. September 1621 eroberte sie Gustav
Adolf nach langer Belagerung, und 1710 musste sie sich nach vielen Drangsalen
Peter dem Grossen ergeben. Durch den Frieden von Nystädt 1721 gelangte Riga
mit ganz Livland an Russland. Seit dem Krimkriege erfreut sich Riga eines un-
gestörten Friedens und hat sich ungemein rasch entwickelt.

Riga hat 170.000 Einwohner, wovon gegen 67.000 Deutsche,
32.000 Russen, 50.000 Letten. Sie ist unter den russischen Städten
der Einwohnerzahl nach die fünfte. Was Riga an Sehenswürdig-
keiten besitzt, befindet sich in der alten durch die Boulevards von
den Vorstädten geschiedenen inneren Stadt. Dort wohnten auch
früher die Patrizierfamilien, auch war die Bevölkerung der Alt-
stadt überwiegend deutsch, während sich in den meist aus Holz-
bauten bestehenden Vorstädten die Russen, Esthen und Letten, die
weniger Bemittelten, ansiedelten.

Die nennenswürdigen Bauten Rigas sind fast alle in der
kleinen Altstadt zusammengedrängt. Eines der ältesten Gebäude
ist das kaiserliche Schloss, welches, im gothischen Style gehalten,
1515 vollendet wurde; im XVIII. Jahrhundert gänzlich umgebaut,

Der atlantische Ocean.

Im Jahre 1158 entdeckten durch Zufall bremische Kaufleute die Mündung
der Düna und erkannten alsbald den Productenreichthum des neuentdeckten
Landes, das ein günstiges Feld für den Fleiss der Kaufleute und den Bekehrungs-
eifer der Geistlichkeit von Bremen bot.

Der hier auf einer Insel der Düna 1186 errichtete Bischofssitz Ykeskola
musste 1199 von den Feinden durch Kreuzfahrer aus Lübeck errettet werden.
Viele blieben ihrer hier, und 1201 entstand bei jener „Riege“ (Schuppen zur
Trocknung und Lagerung des Getreides) am Strome die Stadt Riga. Die dankbare
Tochter deutscher Pflege, welche Bremen heraldisch als Mutter bekannte, bürger-
lich dagegen Lübeck zum Vorbilde nahm, wurde von Bischof Albrecht, dem
Stifter des Ordens der Schwertbrüder, im Jahre 1201 an einem jetzt vertrock-
neten Arme der Düna, Riga genannt, gegründet. Die ersten Ansiedler kamen aus
Bremen und Lübeck. Die Stadt erhielt wichtige Privilegien und Besitzungen und
erwarb sich infolge dessen bald eine hervorragende Bedeutung als Handelsplatz.
Schon im XIII. Jahrhundert schloss sich Riga der deutschen Hansa an. Im
XIV. Jahrhundert entstanden die grosse Gilde (Verein der Kaufleute) und die
kleine Gilde (Verein der Handwerkerzünfte).

Im Jahre 1237 vereinigte sich der Orden der Schwertbrüder, der seinen
Sitz in Wenden hatte, mit dem deutschen Ritterorden in Preussen, wodurch Riga
zu einer erhöhten Bedeutung gelangte, indem nun die Schwertbrüder durch einen
in Riga residirenden Landmeister (magister provincialis) geleitet wurden, der,
obwohl er dem Heermeister des deutschen Ordens unterstand, doch ziemlich selb-
ständig war. Jedoch fanden in der Folgezeit fortdauernd Streitigkeiten zwischen
den Bischöfen, dem Orden der Schwertbrüder und der Bürgerschaft statt.

Später litt Riga durch die Kriege zwischen dem Orden, den Russen, Polen
und Schweden um den Besitz des Landes sehr und musste manche Belagerung
aushalten, sah auch oft den Feind als Sieger einziehen. Im Jahre 1581 bemäch-
tigte sich Stephan Báthory der Stadt, am 15. September 1621 eroberte sie Gustav
Adolf nach langer Belagerung, und 1710 musste sie sich nach vielen Drangsalen
Peter dem Grossen ergeben. Durch den Frieden von Nystädt 1721 gelangte Riga
mit ganz Livland an Russland. Seit dem Krimkriege erfreut sich Riga eines un-
gestörten Friedens und hat sich ungemein rasch entwickelt.

Riga hat 170.000 Einwohner, wovon gegen 67.000 Deutsche,
32.000 Russen, 50.000 Letten. Sie ist unter den russischen Städten
der Einwohnerzahl nach die fünfte. Was Riga an Sehenswürdig-
keiten besitzt, befindet sich in der alten durch die Boulevards von
den Vorstädten geschiedenen inneren Stadt. Dort wohnten auch
früher die Patrizierfamilien, auch war die Bevölkerung der Alt-
stadt überwiegend deutsch, während sich in den meist aus Holz-
bauten bestehenden Vorstädten die Russen, Esthen und Letten, die
weniger Bemittelten, ansiedelten.

Die nennenswürdigen Bauten Rigas sind fast alle in der
kleinen Altstadt zusammengedrängt. Eines der ältesten Gebäude
ist das kaiserliche Schloss, welches, im gothischen Style gehalten,
1515 vollendet wurde; im XVIII. Jahrhundert gänzlich umgebaut,

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[850/0870] Der atlantische Ocean. Im Jahre 1158 entdeckten durch Zufall bremische Kaufleute die Mündung der Düna und erkannten alsbald den Productenreichthum des neuentdeckten Landes, das ein günstiges Feld für den Fleiss der Kaufleute und den Bekehrungs- eifer der Geistlichkeit von Bremen bot. Der hier auf einer Insel der Düna 1186 errichtete Bischofssitz Ykeskola musste 1199 von den Feinden durch Kreuzfahrer aus Lübeck errettet werden. Viele blieben ihrer hier, und 1201 entstand bei jener „Riege“ (Schuppen zur Trocknung und Lagerung des Getreides) am Strome die Stadt Riga. Die dankbare Tochter deutscher Pflege, welche Bremen heraldisch als Mutter bekannte, bürger- lich dagegen Lübeck zum Vorbilde nahm, wurde von Bischof Albrecht, dem Stifter des Ordens der Schwertbrüder, im Jahre 1201 an einem jetzt vertrock- neten Arme der Düna, Riga genannt, gegründet. Die ersten Ansiedler kamen aus Bremen und Lübeck. Die Stadt erhielt wichtige Privilegien und Besitzungen und erwarb sich infolge dessen bald eine hervorragende Bedeutung als Handelsplatz. Schon im XIII. Jahrhundert schloss sich Riga der deutschen Hansa an. Im XIV. Jahrhundert entstanden die grosse Gilde (Verein der Kaufleute) und die kleine Gilde (Verein der Handwerkerzünfte). Im Jahre 1237 vereinigte sich der Orden der Schwertbrüder, der seinen Sitz in Wenden hatte, mit dem deutschen Ritterorden in Preussen, wodurch Riga zu einer erhöhten Bedeutung gelangte, indem nun die Schwertbrüder durch einen in Riga residirenden Landmeister (magister provincialis) geleitet wurden, der, obwohl er dem Heermeister des deutschen Ordens unterstand, doch ziemlich selb- ständig war. Jedoch fanden in der Folgezeit fortdauernd Streitigkeiten zwischen den Bischöfen, dem Orden der Schwertbrüder und der Bürgerschaft statt. Später litt Riga durch die Kriege zwischen dem Orden, den Russen, Polen und Schweden um den Besitz des Landes sehr und musste manche Belagerung aushalten, sah auch oft den Feind als Sieger einziehen. Im Jahre 1581 bemäch- tigte sich Stephan Báthory der Stadt, am 15. September 1621 eroberte sie Gustav Adolf nach langer Belagerung, und 1710 musste sie sich nach vielen Drangsalen Peter dem Grossen ergeben. Durch den Frieden von Nystädt 1721 gelangte Riga mit ganz Livland an Russland. Seit dem Krimkriege erfreut sich Riga eines un- gestörten Friedens und hat sich ungemein rasch entwickelt. Riga hat 170.000 Einwohner, wovon gegen 67.000 Deutsche, 32.000 Russen, 50.000 Letten. Sie ist unter den russischen Städten der Einwohnerzahl nach die fünfte. Was Riga an Sehenswürdig- keiten besitzt, befindet sich in der alten durch die Boulevards von den Vorstädten geschiedenen inneren Stadt. Dort wohnten auch früher die Patrizierfamilien, auch war die Bevölkerung der Alt- stadt überwiegend deutsch, während sich in den meist aus Holz- bauten bestehenden Vorstädten die Russen, Esthen und Letten, die weniger Bemittelten, ansiedelten. Die nennenswürdigen Bauten Rigas sind fast alle in der kleinen Altstadt zusammengedrängt. Eines der ältesten Gebäude ist das kaiserliche Schloss, welches, im gothischen Style gehalten, 1515 vollendet wurde; im XVIII. Jahrhundert gänzlich umgebaut,

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 850. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/870>, abgerufen am 27.04.2024.