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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Buenos-Aires.

Buenos-Aires, die Hauptstadt der argentinischen Republik, liegt
unter 34° 39' südl. Breite und 58° 18' westl. Länge, 300 km vom Ocean
entfernt, am rechten Ufer des La Plata-Stromes, der bei Buenos-Aires
schon so breit ist, dass man das gegenüberliegende Ufer mit freiem
Auge nicht mehr wahrnimmt, gleichzeitig aber so seicht, dass Schiffe
von mehr als 5 m Tiefgang auf mindestens 7 Seemeilen von der Stadt
entfernt zu ankern gezwungen sind.

Der erste Europäer, der die Mündung des La Plata anlief, war 1515 Juan
Diaz de Solis, weshalb der Strom auch durch längere Zeit Rio de Solis genannt
wurde. Fünf Jahre später folgte Magelhaens und nach diesem Sebastian Cabot,
der die erste spanische Niederlassung mit dem Fort San Espiritu am La Plata
gründete.

Pedro de Mendoza, der erste Adelantado (Civil- und Militärgouverneur) der
spanisch-südamerikanischen Colonie, gründete am 2. Februar 1535 Buenos-
Aires, welches bald nach seiner Gründung von den Indianern zerstört und durch
Juan de Garay 1580 wieder aufgebaut wurde.

Vierzig Jahre später war Buenos-Aires bereits Hauptstadt der aus den um-
liegenden Colonien gebildeten Provinz Rio de la Plata und über Betreiben König
Philipp's III. von Spanien Sitz eines Bischofs geworden. Das drückende Monopol-
system des Mutterlandes hinderte die Entwicklung der Colonie und rief einen aus-
gedehnten Schleichhandel hervor, der insbesondere von den Portugiesen schwung-
haft betrieben wurde, welche 1680 Buenos-Aires gegenüber die Colonie von
Sacramento gründeten. Lange Jahre beherrschten die Spanier das Land mit rück-
sichtslosem Eigennutz und nur auf ihre Bereicherung bedacht; erst 1776, nach
Errichtung des spanischen Vicekönigreiches Buenos-Aires und nach Vertreibung der
Portugiesen aus der Nachbarschaft, folgte ein liberaleres Handelssystem, dessen
Vortheile insbesondere der Stadt Buenos-Aires zu Gute kamen.

Die Versuche der Engländer, die Colonie zu erobern (1806 und 1807)
wurden durch Santiago de Liniers und die damals noch treu am Mutterlande hän-
genden Colonisten zurückgewiesen. Die französische Invasion in Spanien bewirkte
aber einen grossen Umschwung der Gesinnungen wie in ganz Spanisch-Amerika
so auch in Buenos-Aires, die nationale Partei der Creolen, an deren Spitze Mariano
Moreno stand, agitirte für die Lostrennung von Spanien, für welche unter der
unklugen und willkürlichen Regierung des Vicekönigs Cisneros sich zahlreiche An-
hänger fanden. Durch Einfluss englischer Kaufleute wurde die Absetzung des Vice-

Buenos-Aires.

Buenos-Aires, die Hauptstadt der argentinischen Republik, liegt
unter 34° 39′ südl. Breite und 58° 18′ westl. Länge, 300 km vom Ocean
entfernt, am rechten Ufer des La Plata-Stromes, der bei Buenos-Aires
schon so breit ist, dass man das gegenüberliegende Ufer mit freiem
Auge nicht mehr wahrnimmt, gleichzeitig aber so seicht, dass Schiffe
von mehr als 5 m Tiefgang auf mindestens 7 Seemeilen von der Stadt
entfernt zu ankern gezwungen sind.

Der erste Europäer, der die Mündung des La Plata anlief, war 1515 Juan
Diaz de Solis, weshalb der Strom auch durch längere Zeit Rio de Solis genannt
wurde. Fünf Jahre später folgte Magelhaens und nach diesem Sebastian Cabot,
der die erste spanische Niederlassung mit dem Fort San Espiritu am La Plata
gründete.

Pedro de Mendoza, der erste Adelantado (Civil- und Militärgouverneur) der
spanisch-südamerikanischen Colonie, gründete am 2. Februar 1535 Buenos-
Aires, welches bald nach seiner Gründung von den Indianern zerstört und durch
Juan de Garay 1580 wieder aufgebaut wurde.

Vierzig Jahre später war Buenos-Aires bereits Hauptstadt der aus den um-
liegenden Colonien gebildeten Provinz Rio de la Plata und über Betreiben König
Philipp’s III. von Spanien Sitz eines Bischofs geworden. Das drückende Monopol-
system des Mutterlandes hinderte die Entwicklung der Colonie und rief einen aus-
gedehnten Schleichhandel hervor, der insbesondere von den Portugiesen schwung-
haft betrieben wurde, welche 1680 Buenos-Aires gegenüber die Colonie von
Sacramento gründeten. Lange Jahre beherrschten die Spanier das Land mit rück-
sichtslosem Eigennutz und nur auf ihre Bereicherung bedacht; erst 1776, nach
Errichtung des spanischen Vicekönigreiches Buenos-Aires und nach Vertreibung der
Portugiesen aus der Nachbarschaft, folgte ein liberaleres Handelssystem, dessen
Vortheile insbesondere der Stadt Buenos-Aires zu Gute kamen.

Die Versuche der Engländer, die Colonie zu erobern (1806 und 1807)
wurden durch Santiago de Liniers und die damals noch treu am Mutterlande hän-
genden Colonisten zurückgewiesen. Die französische Invasion in Spanien bewirkte
aber einen grossen Umschwung der Gesinnungen wie in ganz Spanisch-Amerika
so auch in Buenos-Aires, die nationale Partei der Creolen, an deren Spitze Mariano
Moreno stand, agitirte für die Lostrennung von Spanien, für welche unter der
unklugen und willkürlichen Regierung des Vicekönigs Cisneros sich zahlreiche An-
hänger fanden. Durch Einfluss englischer Kaufleute wurde die Absetzung des Vice-

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[[285]/0301] Buenos-Aires. Buenos-Aires, die Hauptstadt der argentinischen Republik, liegt unter 34° 39′ südl. Breite und 58° 18′ westl. Länge, 300 km vom Ocean entfernt, am rechten Ufer des La Plata-Stromes, der bei Buenos-Aires schon so breit ist, dass man das gegenüberliegende Ufer mit freiem Auge nicht mehr wahrnimmt, gleichzeitig aber so seicht, dass Schiffe von mehr als 5 m Tiefgang auf mindestens 7 Seemeilen von der Stadt entfernt zu ankern gezwungen sind. Der erste Europäer, der die Mündung des La Plata anlief, war 1515 Juan Diaz de Solis, weshalb der Strom auch durch längere Zeit Rio de Solis genannt wurde. Fünf Jahre später folgte Magelhaens und nach diesem Sebastian Cabot, der die erste spanische Niederlassung mit dem Fort San Espiritu am La Plata gründete. Pedro de Mendoza, der erste Adelantado (Civil- und Militärgouverneur) der spanisch-südamerikanischen Colonie, gründete am 2. Februar 1535 Buenos- Aires, welches bald nach seiner Gründung von den Indianern zerstört und durch Juan de Garay 1580 wieder aufgebaut wurde. Vierzig Jahre später war Buenos-Aires bereits Hauptstadt der aus den um- liegenden Colonien gebildeten Provinz Rio de la Plata und über Betreiben König Philipp’s III. von Spanien Sitz eines Bischofs geworden. Das drückende Monopol- system des Mutterlandes hinderte die Entwicklung der Colonie und rief einen aus- gedehnten Schleichhandel hervor, der insbesondere von den Portugiesen schwung- haft betrieben wurde, welche 1680 Buenos-Aires gegenüber die Colonie von Sacramento gründeten. Lange Jahre beherrschten die Spanier das Land mit rück- sichtslosem Eigennutz und nur auf ihre Bereicherung bedacht; erst 1776, nach Errichtung des spanischen Vicekönigreiches Buenos-Aires und nach Vertreibung der Portugiesen aus der Nachbarschaft, folgte ein liberaleres Handelssystem, dessen Vortheile insbesondere der Stadt Buenos-Aires zu Gute kamen. Die Versuche der Engländer, die Colonie zu erobern (1806 und 1807) wurden durch Santiago de Liniers und die damals noch treu am Mutterlande hän- genden Colonisten zurückgewiesen. Die französische Invasion in Spanien bewirkte aber einen grossen Umschwung der Gesinnungen wie in ganz Spanisch-Amerika so auch in Buenos-Aires, die nationale Partei der Creolen, an deren Spitze Mariano Moreno stand, agitirte für die Lostrennung von Spanien, für welche unter der unklugen und willkürlichen Regierung des Vicekönigs Cisneros sich zahlreiche An- hänger fanden. Durch Einfluss englischer Kaufleute wurde die Absetzung des Vice-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. [285]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/301>, abgerufen am 26.04.2024.