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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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und so wie sein Herz keinen Unterschied darunter
kennet, so weiß auch sein Mund keinen darunter
zu machen; er spricht, als ob er das nehmliche
zweymal spräche, als ob beide Sätze wahre tav-
tologische Sätze, vollkommen identische Sätze
wären; ohne das geringste Verbindungswort.
O des Elenden, der die Verbindung nicht fühlt,
dem sie eine Partikel erst fühlbar machen soll!
Und dennoch, wie glaubt man wohl, daß die
Gottschedinn jene acht Worte übersetzt hat?
"Alsdenn werde ich meiner Güter erst recht ge-
nießen, wenn ich euch beide dadurch werde glück-
lich gemacht haben."
Unerträglich! Der Sinn
ist vollkommen übergetragen, aber der Geist ist
verflogen; ein Schwall von Worten hat ihn er-
stickt. Dieses Alsdenn, mit seinem Schwanze
von Wenn; dieses Erst; dieses Recht; dieses
Dadurch: lauter Bestimmungen, die dem Aus-
bruche des Herzens alle Bedenklichkeiten der
Ueberlegung geben, und eine warme Empfin-
dung in eine frostige Schlußrede verwandeln.

Denen, die mich verstehen, darf ich nur sa-
gen, daß ungefehr auf diesen Schlag das ganze
Stück übersetzt ist. Jede feinere Gesinnung ist
in ihren gesunden Menschenverstand paraphra-
sirt, jeder affektvolle Ausdruck in die todten Be-
standtheile seiner Bedeutung aufgelöset worden.
Hierzu kömmt in vielen Stellen der häßliche Ton
des Ceremoniels; verabredete Ehrenbenennun-

gen
U 2

und ſo wie ſein Herz keinen Unterſchied darunter
kennet, ſo weiß auch ſein Mund keinen darunter
zu machen; er ſpricht, als ob er das nehmliche
zweymal ſpraͤche, als ob beide Saͤtze wahre tav-
tologiſche Saͤtze, vollkommen identiſche Saͤtze
waͤren; ohne das geringſte Verbindungswort.
O des Elenden, der die Verbindung nicht fuͤhlt,
dem ſie eine Partikel erſt fuͤhlbar machen ſoll!
Und dennoch, wie glaubt man wohl, daß die
Gottſchedinn jene acht Worte uͤberſetzt hat?
„Alsdenn werde ich meiner Guͤter erſt recht ge-
nießen, wenn ich euch beide dadurch werde gluͤck-
lich gemacht haben.„
Unertraͤglich! Der Sinn
iſt vollkommen uͤbergetragen, aber der Geiſt iſt
verflogen; ein Schwall von Worten hat ihn er-
ſtickt. Dieſes Alsdenn, mit ſeinem Schwanze
von Wenn; dieſes Erſt; dieſes Recht; dieſes
Dadurch: lauter Beſtimmungen, die dem Aus-
bruche des Herzens alle Bedenklichkeiten der
Ueberlegung geben, und eine warme Empfin-
dung in eine froſtige Schlußrede verwandeln.

Denen, die mich verſtehen, darf ich nur ſa-
gen, daß ungefehr auf dieſen Schlag das ganze
Stuͤck uͤberſetzt iſt. Jede feinere Geſinnung iſt
in ihren geſunden Menſchenverſtand paraphra-
ſirt, jeder affektvolle Ausdruck in die todten Be-
ſtandtheile ſeiner Bedeutung aufgeloͤſet worden.
Hierzu koͤmmt in vielen Stellen der haͤßliche Ton
des Ceremoniels; verabredete Ehrenbenennun-

gen
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[155/0169] und ſo wie ſein Herz keinen Unterſchied darunter kennet, ſo weiß auch ſein Mund keinen darunter zu machen; er ſpricht, als ob er das nehmliche zweymal ſpraͤche, als ob beide Saͤtze wahre tav- tologiſche Saͤtze, vollkommen identiſche Saͤtze waͤren; ohne das geringſte Verbindungswort. O des Elenden, der die Verbindung nicht fuͤhlt, dem ſie eine Partikel erſt fuͤhlbar machen ſoll! Und dennoch, wie glaubt man wohl, daß die Gottſchedinn jene acht Worte uͤberſetzt hat? „Alsdenn werde ich meiner Guͤter erſt recht ge- nießen, wenn ich euch beide dadurch werde gluͤck- lich gemacht haben.„ Unertraͤglich! Der Sinn iſt vollkommen uͤbergetragen, aber der Geiſt iſt verflogen; ein Schwall von Worten hat ihn er- ſtickt. Dieſes Alsdenn, mit ſeinem Schwanze von Wenn; dieſes Erſt; dieſes Recht; dieſes Dadurch: lauter Beſtimmungen, die dem Aus- bruche des Herzens alle Bedenklichkeiten der Ueberlegung geben, und eine warme Empfin- dung in eine froſtige Schlußrede verwandeln. Denen, die mich verſtehen, darf ich nur ſa- gen, daß ungefehr auf dieſen Schlag das ganze Stuͤck uͤberſetzt iſt. Jede feinere Geſinnung iſt in ihren geſunden Menſchenverſtand paraphra- ſirt, jeder affektvolle Ausdruck in die todten Be- ſtandtheile ſeiner Bedeutung aufgeloͤſet worden. Hierzu koͤmmt in vielen Stellen der haͤßliche Ton des Ceremoniels; verabredete Ehrenbenennun- gen U 2

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/169>, abgerufen am 26.04.2024.