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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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Heißt sie, mit ihrer Macht, durch Thränen zu er-
götzen,
Das stumpfeste Gefühl der Menschenliebe wetzen;
Durch süße Herzensangst, und angenehmes Graun
Die Bosheit bändigen, und an den Seelen baun;
Wohlthätig für den Staat, den Wüthenden, den
Wilden,
Zum Menschen, Bürger, Freund, und Patrioten
bilden.

Gesetze stärken zwar der Staaten Sicherheit,
Als Ketten an der Hand der Ungerechtigkeit:
Doch deckt noch immer List den Bösen vor dem
Richter,
Und Macht wird oft der Schutz erhabner Böse-
wichter.
Wer rächt die Unschuld dann? Weh dem gedrückten
Staat,
Der, statt der Tugend, nichts, als ein Gesetzbuch hat!
Gesetze, nur ein Zaum der offenen Verbrechen,
Gesetze, die man lehrt des Hasses Urtheil sprechen,
Wenn ihnen Eigennutz, Stolz und Partheylichkeit
Für eines Solons Geist, den Geist der Drückung leiht!
Da lernt Bestechung bald, um Strafen zu entgehen,
Das Schwerdt der Majestät aus ihren Händen
drehen:
Da pflanzet Herrschbegier, sich freuend des Verfalls
Der Redlichkeit, den Fuß der Freyheit auf den
Hals.

Läßt
F 2

Heißt ſie, mit ihrer Macht, durch Thraͤnen zu er-
goͤtzen,
Das ſtumpfeſte Gefuͤhl der Menſchenliebe wetzen;
Durch ſuͤße Herzensangſt, und angenehmes Graun
Die Bosheit baͤndigen, und an den Seelen baun;
Wohlthaͤtig fuͤr den Staat, den Wuͤthenden, den
Wilden,
Zum Menſchen, Buͤrger, Freund, und Patrioten
bilden.

Geſetze ſtaͤrken zwar der Staaten Sicherheit,
Als Ketten an der Hand der Ungerechtigkeit:
Doch deckt noch immer Liſt den Boͤſen vor dem
Richter,
Und Macht wird oft der Schutz erhabner Boͤſe-
wichter.
Wer raͤcht die Unſchuld dann? Weh dem gedruͤckten
Staat,
Der, ſtatt der Tugend, nichts, als ein Geſetzbuch hat!
Geſetze, nur ein Zaum der offenen Verbrechen,
Geſetze, die man lehrt des Haſſes Urtheil ſprechen,
Wenn ihnen Eigennutz, Stolz und Partheylichkeit
Fuͤr eines Solons Geiſt, den Geiſt der Druͤckung leiht!
Da lernt Beſtechung bald, um Strafen zu entgehen,
Das Schwerdt der Majeſtaͤt aus ihren Haͤnden
drehen:
Da pflanzet Herrſchbegier, ſich freuend des Verfalls
Der Redlichkeit, den Fuß der Freyheit auf den
Hals.

Laͤßt
F 2
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[43/0057] Heißt ſie, mit ihrer Macht, durch Thraͤnen zu er- goͤtzen, Das ſtumpfeſte Gefuͤhl der Menſchenliebe wetzen; Durch ſuͤße Herzensangſt, und angenehmes Graun Die Bosheit baͤndigen, und an den Seelen baun; Wohlthaͤtig fuͤr den Staat, den Wuͤthenden, den Wilden, Zum Menſchen, Buͤrger, Freund, und Patrioten bilden. Geſetze ſtaͤrken zwar der Staaten Sicherheit, Als Ketten an der Hand der Ungerechtigkeit: Doch deckt noch immer Liſt den Boͤſen vor dem Richter, Und Macht wird oft der Schutz erhabner Boͤſe- wichter. Wer raͤcht die Unſchuld dann? Weh dem gedruͤckten Staat, Der, ſtatt der Tugend, nichts, als ein Geſetzbuch hat! Geſetze, nur ein Zaum der offenen Verbrechen, Geſetze, die man lehrt des Haſſes Urtheil ſprechen, Wenn ihnen Eigennutz, Stolz und Partheylichkeit Fuͤr eines Solons Geiſt, den Geiſt der Druͤckung leiht! Da lernt Beſtechung bald, um Strafen zu entgehen, Das Schwerdt der Majeſtaͤt aus ihren Haͤnden drehen: Da pflanzet Herrſchbegier, ſich freuend des Verfalls Der Redlichkeit, den Fuß der Freyheit auf den Hals. Laͤßt F 2

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/57>, abgerufen am 26.04.2024.