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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Erstes Buch. III. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl.
Rechtes, dauernd oder vorübergehend, von dem Berechtigten
dritten Personen (von den Eltern dem Dienstmädchen) über-
tragen, daß ferner in manchen Fällen (Züchtigung eines
mutwilligen Knaben durch belästigte Vorbeigehende) die Zu-
stimmung des Berechtigten vorausgesetzt werden kann.

c) Die in der StPO. §. 127 ausgesprochene Ermächti-
gung zur vorläufigen Festnahme eines auf frischer That
betroffenen oder verfolgten Verbrechers.

d) Die aus der gesetzmäßigen Ausübung eines öffent-
lichen Berufes
sich ergebende Berechtigung zu Vornahme der-
jenigen Handlungen, welche nach den Regeln der betreffenden
Kunst oder Wissenschaft im konkreten Falle geboten sind.
Nach diesem Gesichtspunkte sind chirurgische Operationen
überhaupt, ist insbes. die vielbesprochene Perforation4 (Zerstück-
lung der Frucht im Mutterleibe) zu beurteilen. Doch wäre
gerade für diese Fälle gesetzliche Abgrenzung die Berechtigung
dringend wünschenswert.

3. Die von dem Träger eines Rechtsgutes gegebene
Einwilligung zur Verletzung desselben schließt die Rechts-
widrigkeit der Verletzung nur dann und nur soweit aus,
wenn und soweit die öffentliche Rechtsordnung dem Träger
des Rechtsgutes die Disposition über dasselbe eingeräumt
hat.5 Sie wird die Disposition versagen, wenn sie dem
betreffenden Rechtsgute eine über die Person seines Trägers
hinausreichende Bedeutung beilegt. Ob sie es gethan, ist
aus dem ganzen Zusammenhange der gesetzlichen Bestim-
mungen, nicht nur aus den Verbrechens-Definitionen zu ent-
nehmen. So bleibt die Tötung, auch wenn der Getötete

4 [Spaltenumbruch] Lit. bei Meyer Lehrbuch
S. 246 N. 8, dazu Janka
Notstand S. 262.
5 [Spaltenumbruch] Lit. bei Binding Grund-
riß S. 153.

Erſtes Buch. III. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl.
Rechtes, dauernd oder vorübergehend, von dem Berechtigten
dritten Perſonen (von den Eltern dem Dienſtmädchen) über-
tragen, daß ferner in manchen Fällen (Züchtigung eines
mutwilligen Knaben durch beläſtigte Vorbeigehende) die Zu-
ſtimmung des Berechtigten vorausgeſetzt werden kann.

c) Die in der StPO. §. 127 ausgeſprochene Ermächti-
gung zur vorläufigen Feſtnahme eines auf friſcher That
betroffenen oder verfolgten Verbrechers.

d) Die aus der geſetzmäßigen Ausübung eines öffent-
lichen Berufes
ſich ergebende Berechtigung zu Vornahme der-
jenigen Handlungen, welche nach den Regeln der betreffenden
Kunſt oder Wiſſenſchaft im konkreten Falle geboten ſind.
Nach dieſem Geſichtspunkte ſind chirurgiſche Operationen
überhaupt, iſt insbeſ. die vielbeſprochene Perforation4 (Zerſtück-
lung der Frucht im Mutterleibe) zu beurteilen. Doch wäre
gerade für dieſe Fälle geſetzliche Abgrenzung die Berechtigung
dringend wünſchenswert.

3. Die von dem Träger eines Rechtsgutes gegebene
Einwilligung zur Verletzung desſelben ſchließt die Rechts-
widrigkeit der Verletzung nur dann und nur ſoweit aus,
wenn und ſoweit die öffentliche Rechtsordnung dem Träger
des Rechtsgutes die Dispoſition über dasſelbe eingeräumt
hat.5 Sie wird die Dispoſition verſagen, wenn ſie dem
betreffenden Rechtsgute eine über die Perſon ſeines Trägers
hinausreichende Bedeutung beilegt. Ob ſie es gethan, iſt
aus dem ganzen Zuſammenhange der geſetzlichen Beſtim-
mungen, nicht nur aus den Verbrechens-Definitionen zu ent-
nehmen. So bleibt die Tötung, auch wenn der Getötete

4 [Spaltenumbruch] Lit. bei Meyer Lehrbuch
S. 246 N. 8, dazu Janka
Notſtand S. 262.
5 [Spaltenumbruch] Lit. bei Binding Grund-
riß S. 153.
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[86/0112] Erſtes Buch. III. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl. Rechtes, dauernd oder vorübergehend, von dem Berechtigten dritten Perſonen (von den Eltern dem Dienſtmädchen) über- tragen, daß ferner in manchen Fällen (Züchtigung eines mutwilligen Knaben durch beläſtigte Vorbeigehende) die Zu- ſtimmung des Berechtigten vorausgeſetzt werden kann. c) Die in der StPO. §. 127 ausgeſprochene Ermächti- gung zur vorläufigen Feſtnahme eines auf friſcher That betroffenen oder verfolgten Verbrechers. d) Die aus der geſetzmäßigen Ausübung eines öffent- lichen Berufes ſich ergebende Berechtigung zu Vornahme der- jenigen Handlungen, welche nach den Regeln der betreffenden Kunſt oder Wiſſenſchaft im konkreten Falle geboten ſind. Nach dieſem Geſichtspunkte ſind chirurgiſche Operationen überhaupt, iſt insbeſ. die vielbeſprochene Perforation 4 (Zerſtück- lung der Frucht im Mutterleibe) zu beurteilen. Doch wäre gerade für dieſe Fälle geſetzliche Abgrenzung die Berechtigung dringend wünſchenswert. 3. Die von dem Träger eines Rechtsgutes gegebene Einwilligung zur Verletzung desſelben ſchließt die Rechts- widrigkeit der Verletzung nur dann und nur ſoweit aus, wenn und ſoweit die öffentliche Rechtsordnung dem Träger des Rechtsgutes die Dispoſition über dasſelbe eingeräumt hat. 5 Sie wird die Dispoſition verſagen, wenn ſie dem betreffenden Rechtsgute eine über die Perſon ſeines Trägers hinausreichende Bedeutung beilegt. Ob ſie es gethan, iſt aus dem ganzen Zuſammenhange der geſetzlichen Beſtim- mungen, nicht nur aus den Verbrechens-Definitionen zu ent- nehmen. So bleibt die Tötung, auch wenn der Getötete 4 Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 246 N. 8, dazu Janka Notſtand S. 262. 5 Lit. bei Binding Grund- riß S. 153.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/112>, abgerufen am 26.04.2024.