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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

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Das Haus GOTTES,
dem Weg zu hindern, als der Mensch, der auch Fleisch ist, wach-
sam ist, dessen Anfälle zu überwinden, ihn als einen Feind auszuwei-
chen, und sein Eingeben ohne Aufhören zu verwerffen, auch den Fuß
in keinen Strick hinein zu setzen.

Das neunte Capitel.
Der elende Zustand der Unwiedergebohrnen. Ein neuer Beweggrund
der neuen Geburt nachzutrachten.
Vermah-
nung
zur Be-
trachtung
des Elen-
den Zu-
stands der
Unwieder-
gebohr-
nen.

§. 1. Aber wie kanst du dich selbst in einem so elenden Zustand
anschauen, der mit blutigen Thränen wohl zu betrauren. Ach! so
du auch im Stand wärest einig Mitleiden zu haben mit dir selbst,
und nicht unempfindlicher wärest als ein harter Stein, Vieh und
Wahnsinniger, diese Sachen würden dir je nicht so gleichgültig seyn
wie bißher, du solltest dir selbst zusprechen und fragen, was mache
ich, handle ich auch weißlich und vernünfftig? um GOttes und dei-
ner Seelen willen, laß dich einen heiligen Schrecken ergreiffen, der
dich jage und treibe zu JEsu Christo, dich zu retiriren in die Schoos
seines Reichs, da Gerechtigkeit, Fried und Freud im H. Geist wohnet:
Die Haar sollten einem wohl gen Berge stehen, wann man sich zu
Hertzen zoge, was man auch nur in einer eintzigen Stund vor eine
Seeligkeit verabsaumen kan, wie viel mehr durch eine beharrliche
Abkehr von JEsu, auf sich selbst und die Creatur; Das Hertz soll-
te je zu Erfüllung alles Willens GOttes eben so bereitwillig und
wachtbar seyn, als Herren und Frauen wünschen von ihren Knech-
ten und Mägden, und wie Bediente thun, die einem Monarchen
aufwarten; Aber da kan und mag es nicht bleiben im Glauben und
in der Liebe, als dem Ort, da GOttes Zug und Ruf vornehmlich
ist, laufft von GOttes Gegenwart weg ins weite Feld einer unseeli-
gen Freyheit, wo die Winde des eitelen Sinnes die Gedancken hin-
wehen, und da überleget das Gemüth offt gar unnützer Weise, ent-
weder vergangene Ding, die nicht wieder zu bringen und zu ände-
ren, oder zukünfftige, die sich vielleicht nimmermehr zutragen, es
seye nun dieses Andencken widrig, und gebähre Forcht, Angst,
Verdruß, Reu, Schrecken, Grißgrammen, und tausenderley
Angstlichkeiten, oder dieses Andencken seye lustig, und gebähre ei-
tele Hoffnung, falsche Zuversicht, Vermessenheit, Hoffart, Erhe-
bung über andere, Belustigung an sich selbst, seinen eigenen Ga-

ben

Das Haus GOTTES,
dem Weg zu hindern, als der Menſch, der auch Fleiſch iſt, wach-
ſam iſt, deſſen Anfaͤlle zu uͤberwinden, ihn als einen Feind auszuwei-
chen, und ſein Eingeben ohne Aufhoͤren zu verwerffen, auch den Fuß
in keinen Strick hinein zu ſetzen.

Das neunte Capitel.
Der elende Zuſtand der Unwiedergebohrnen. Ein neuer Beweggrund
der neuen Geburt nachzutrachten.
Vermah-
nung
zur Be-
trachtung
des Elen-
den Zu-
ſtands der
Unwieder-
gebohr-
nen.

§. 1. Aber wie kanſt du dich ſelbſt in einem ſo elenden Zuſtand
anſchauen, der mit blutigen Thraͤnen wohl zu betrauren. Ach! ſo
du auch im Stand waͤreſt einig Mitleiden zu haben mit dir ſelbſt,
und nicht unempfindlicher waͤreſt als ein harter Stein, Vieh und
Wahnſinniger, dieſe Sachen wuͤrden dir je nicht ſo gleichguͤltig ſeyn
wie bißher, du ſollteſt dir ſelbſt zuſprechen und fragen, was mache
ich, handle ich auch weißlich und vernuͤnfftig? um GOttes und dei-
ner Seelen willen, laß dich einen heiligen Schrecken ergreiffen, der
dich jage und treibe zu JEſu Chriſto, dich zu retiriren in die Schoos
ſeines Reichs, da Gerechtigkeit, Fried und Freud im H. Geiſt wohnet:
Die Haar ſollten einem wohl gen Berge ſtehen, wann man ſich zu
Hertzen zoge, was man auch nur in einer eintzigen Stund vor eine
Seeligkeit verabſaumen kan, wie viel mehr durch eine beharrliche
Abkehr von JEſu, auf ſich ſelbſt und die Creatur; Das Hertz ſoll-
te je zu Erfuͤllung alles Willens GOttes eben ſo bereitwillig und
wachtbar ſeyn, als Herren und Frauen wuͤnſchen von ihren Knech-
ten und Maͤgden, und wie Bediente thun, die einem Monarchen
aufwarten; Aber da kan und mag es nicht bleiben im Glauben und
in der Liebe, als dem Ort, da GOttes Zug und Ruf vornehmlich
iſt, laufft von GOttes Gegenwart weg ins weite Feld einer unſeeli-
gen Freyheit, wo die Winde des eitelen Sinnes die Gedancken hin-
wehen, und da uͤberleget das Gemuͤth offt gar unnuͤtzer Weiſe, ent-
weder vergangene Ding, die nicht wieder zu bringen und zu aͤnde-
ren, oder zukuͤnfftige, die ſich vielleicht nimmermehr zutragen, es
ſeye nun dieſes Andencken widrig, und gebaͤhre Forcht, Angſt,
Verdruß, Reu, Schrecken, Grißgrammen, und tauſenderley
Angſtlichkeiten, oder dieſes Andencken ſeye luſtig, und gebaͤhre ei-
tele Hoffnung, falſche Zuverſicht, Vermeſſenheit, Hoffart, Erhe-
bung uͤber andere, Beluſtigung an ſich ſelbſt, ſeinen eigenen Ga-

ben
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[228/0324] Das Haus GOTTES, dem Weg zu hindern, als der Menſch, der auch Fleiſch iſt, wach- ſam iſt, deſſen Anfaͤlle zu uͤberwinden, ihn als einen Feind auszuwei- chen, und ſein Eingeben ohne Aufhoͤren zu verwerffen, auch den Fuß in keinen Strick hinein zu ſetzen. Das neunte Capitel. Der elende Zuſtand der Unwiedergebohrnen. Ein neuer Beweggrund der neuen Geburt nachzutrachten. §. 1. Aber wie kanſt du dich ſelbſt in einem ſo elenden Zuſtand anſchauen, der mit blutigen Thraͤnen wohl zu betrauren. Ach! ſo du auch im Stand waͤreſt einig Mitleiden zu haben mit dir ſelbſt, und nicht unempfindlicher waͤreſt als ein harter Stein, Vieh und Wahnſinniger, dieſe Sachen wuͤrden dir je nicht ſo gleichguͤltig ſeyn wie bißher, du ſollteſt dir ſelbſt zuſprechen und fragen, was mache ich, handle ich auch weißlich und vernuͤnfftig? um GOttes und dei- ner Seelen willen, laß dich einen heiligen Schrecken ergreiffen, der dich jage und treibe zu JEſu Chriſto, dich zu retiriren in die Schoos ſeines Reichs, da Gerechtigkeit, Fried und Freud im H. Geiſt wohnet: Die Haar ſollten einem wohl gen Berge ſtehen, wann man ſich zu Hertzen zoge, was man auch nur in einer eintzigen Stund vor eine Seeligkeit verabſaumen kan, wie viel mehr durch eine beharrliche Abkehr von JEſu, auf ſich ſelbſt und die Creatur; Das Hertz ſoll- te je zu Erfuͤllung alles Willens GOttes eben ſo bereitwillig und wachtbar ſeyn, als Herren und Frauen wuͤnſchen von ihren Knech- ten und Maͤgden, und wie Bediente thun, die einem Monarchen aufwarten; Aber da kan und mag es nicht bleiben im Glauben und in der Liebe, als dem Ort, da GOttes Zug und Ruf vornehmlich iſt, laufft von GOttes Gegenwart weg ins weite Feld einer unſeeli- gen Freyheit, wo die Winde des eitelen Sinnes die Gedancken hin- wehen, und da uͤberleget das Gemuͤth offt gar unnuͤtzer Weiſe, ent- weder vergangene Ding, die nicht wieder zu bringen und zu aͤnde- ren, oder zukuͤnfftige, die ſich vielleicht nimmermehr zutragen, es ſeye nun dieſes Andencken widrig, und gebaͤhre Forcht, Angſt, Verdruß, Reu, Schrecken, Grißgrammen, und tauſenderley Angſtlichkeiten, oder dieſes Andencken ſeye luſtig, und gebaͤhre ei- tele Hoffnung, falſche Zuverſicht, Vermeſſenheit, Hoffart, Erhe- bung uͤber andere, Beluſtigung an ſich ſelbſt, ſeinen eigenen Ga- ben

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Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/324>, abgerufen am 26.04.2024.