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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Nahrungsaequivalente.
Behauptung, dass die Eiweissstoffe nur dann in oxydirbare Atome ver-
wandelt werden könnten, wenn sie einmal die Wandungen von Zellen,
Röhren, Platten oder Fasern dargestellt hätten, ist mindestens nicht be-
weisbar, ja sogar unwahrscheinlich in Anbetracht der bekannten chemi-
schen Eigenschaften jener festgewordenen Stoffe, da sich gerade die
chondrin- und leimgebenden, die elastischen und die hornstoffigen Gebilde
durch ihren Widerstand gegen oxydirende Einflüsse auszeichnen. Erwägt
man dazu, dass der thierische Organismus nachweislich befähigt ist, Ei-
weissstoffe zu zerlegen, welche sich im flüssigen Aggregatzustande befinden,
so dürfte man eher geneigt sein, anzunehmen, dass der Uebergang der
Eiweissstoffe in den festen Aggregatzustand die Umsetzung derselben er-
schwere, statt sie zu erleichtern. Diese Betrachtung würde somit dazu
führen, dass sich behufs der Wärmebildung die Amylaceen, Fette und
Eiweissstoffe vertreten könnten; obwohl die Erfahrung dafür spricht, dass
dieses in weiten Grenzen möglich sei, so zeigt sie uns auch anderseits,
dass dieses nicht durchweg und ohne alle Einschränkung möglich. Für
diese Thatsachen liegt als ein nicht unwahrscheinlicher Grund der vor,
dass die Eiweisskörper und Fette von dem menschlichen Körper nicht
in einer zur Wärmebildung genügenden Menge verdaut und zersetzt
werden können, so dass die Amylaceen helfend mit einstehen müssen,
und dass anderseits die Vorgänge, welche die letzteren Nahrungsstoffe
oxydiren, zugleich zu einer Zerstörung der Eiweisskörper führen. Unter
dieser Einschränkung würden also behufs der Wärmebildung Aequivalente
der organischen Nahrungsstoffe aufzustellen sein, vorausgesetzt, dass man
die relative Zersetzbarkeit derselben und ihre latente Wärme kennte, was
bis dahin noch nicht der Fall ist.

Zur Erzeugung der Nerven und Muskelkräfte sind unzweifelhaft die
Eiweisskörper dienlich und wahrscheinlich auch unumgänglich nothwendig,
denn einmal sind diese Organe unter allen Umständen sehr reich an
diesen Stoffen, dann findet man in den Säften dieser Organe, namentlich
in den Muskeln, um so mehr Zersetzungsprodukte der Eiweisskörper, je
angestrengter sie gearbeitet haben, und endlich soll, gleiche Ausbildung
der Muskelmasse vorausgesetzt, ein und derselbe Mensch um so arbeits-
fähiger sein, je beträchtlicher der Fleischantheil seiner Nahrung ist. Diese
Thatsachen schliessen es aber natürlich nicht aus, dass sich nicht auch
die Fette und Kohlenhydrate an der Erzeugung von Muskelkräften bethei-
ligen könnten, hierfür spricht im Gegentheil die reichliche Anwesenheit
von Fett und seinen Umsetzungsprodukten in den Nerven und ebenso-
wohl die bedeutenden Muskelanstrengungen, welche Menschen leisten, die
sich vorzugsweise von den eiweissarmen Kartoffeln und Brod nähren.
Bei diesem Stande der Sache ist es jedenfalls besser, unentschieden zu
lassen, ob die Nahrungsstoffe sich behufs der Entwickelung von mecha-
nischen Kräften vertreten können.

Nahrungsaequivalente.
Behauptung, dass die Eiweissstoffe nur dann in oxydirbare Atome ver-
wandelt werden könnten, wenn sie einmal die Wandungen von Zellen,
Röhren, Platten oder Fasern dargestellt hätten, ist mindestens nicht be-
weisbar, ja sogar unwahrscheinlich in Anbetracht der bekannten chemi-
schen Eigenschaften jener festgewordenen Stoffe, da sich gerade die
chondrin- und leimgebenden, die elastischen und die hornstoffigen Gebilde
durch ihren Widerstand gegen oxydirende Einflüsse auszeichnen. Erwägt
man dazu, dass der thierische Organismus nachweislich befähigt ist, Ei-
weissstoffe zu zerlegen, welche sich im flüssigen Aggregatzustande befinden,
so dürfte man eher geneigt sein, anzunehmen, dass der Uebergang der
Eiweissstoffe in den festen Aggregatzustand die Umsetzung derselben er-
schwere, statt sie zu erleichtern. Diese Betrachtung würde somit dazu
führen, dass sich behufs der Wärmebildung die Amylaceen, Fette und
Eiweissstoffe vertreten könnten; obwohl die Erfahrung dafür spricht, dass
dieses in weiten Grenzen möglich sei, so zeigt sie uns auch anderseits,
dass dieses nicht durchweg und ohne alle Einschränkung möglich. Für
diese Thatsachen liegt als ein nicht unwahrscheinlicher Grund der vor,
dass die Eiweisskörper und Fette von dem menschlichen Körper nicht
in einer zur Wärmebildung genügenden Menge verdaut und zersetzt
werden können, so dass die Amylaceen helfend mit einstehen müssen,
und dass anderseits die Vorgänge, welche die letzteren Nahrungsstoffe
oxydiren, zugleich zu einer Zerstörung der Eiweisskörper führen. Unter
dieser Einschränkung würden also behufs der Wärmebildung Aequivalente
der organischen Nahrungsstoffe aufzustellen sein, vorausgesetzt, dass man
die relative Zersetzbarkeit derselben und ihre latente Wärme kennte, was
bis dahin noch nicht der Fall ist.

Zur Erzeugung der Nerven und Muskelkräfte sind unzweifelhaft die
Eiweisskörper dienlich und wahrscheinlich auch unumgänglich nothwendig,
denn einmal sind diese Organe unter allen Umständen sehr reich an
diesen Stoffen, dann findet man in den Säften dieser Organe, namentlich
in den Muskeln, um so mehr Zersetzungsprodukte der Eiweisskörper, je
angestrengter sie gearbeitet haben, und endlich soll, gleiche Ausbildung
der Muskelmasse vorausgesetzt, ein und derselbe Mensch um so arbeits-
fähiger sein, je beträchtlicher der Fleischantheil seiner Nahrung ist. Diese
Thatsachen schliessen es aber natürlich nicht aus, dass sich nicht auch
die Fette und Kohlenhydrate an der Erzeugung von Muskelkräften bethei-
ligen könnten, hierfür spricht im Gegentheil die reichliche Anwesenheit
von Fett und seinen Umsetzungsprodukten in den Nerven und ebenso-
wohl die bedeutenden Muskelanstrengungen, welche Menschen leisten, die
sich vorzugsweise von den eiweissarmen Kartoffeln und Brod nähren.
Bei diesem Stande der Sache ist es jedenfalls besser, unentschieden zu
lassen, ob die Nahrungsstoffe sich behufs der Entwickelung von mecha-
nischen Kräften vertreten können.

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[388/0404] Nahrungsaequivalente. Behauptung, dass die Eiweissstoffe nur dann in oxydirbare Atome ver- wandelt werden könnten, wenn sie einmal die Wandungen von Zellen, Röhren, Platten oder Fasern dargestellt hätten, ist mindestens nicht be- weisbar, ja sogar unwahrscheinlich in Anbetracht der bekannten chemi- schen Eigenschaften jener festgewordenen Stoffe, da sich gerade die chondrin- und leimgebenden, die elastischen und die hornstoffigen Gebilde durch ihren Widerstand gegen oxydirende Einflüsse auszeichnen. Erwägt man dazu, dass der thierische Organismus nachweislich befähigt ist, Ei- weissstoffe zu zerlegen, welche sich im flüssigen Aggregatzustande befinden, so dürfte man eher geneigt sein, anzunehmen, dass der Uebergang der Eiweissstoffe in den festen Aggregatzustand die Umsetzung derselben er- schwere, statt sie zu erleichtern. Diese Betrachtung würde somit dazu führen, dass sich behufs der Wärmebildung die Amylaceen, Fette und Eiweissstoffe vertreten könnten; obwohl die Erfahrung dafür spricht, dass dieses in weiten Grenzen möglich sei, so zeigt sie uns auch anderseits, dass dieses nicht durchweg und ohne alle Einschränkung möglich. Für diese Thatsachen liegt als ein nicht unwahrscheinlicher Grund der vor, dass die Eiweisskörper und Fette von dem menschlichen Körper nicht in einer zur Wärmebildung genügenden Menge verdaut und zersetzt werden können, so dass die Amylaceen helfend mit einstehen müssen, und dass anderseits die Vorgänge, welche die letzteren Nahrungsstoffe oxydiren, zugleich zu einer Zerstörung der Eiweisskörper führen. Unter dieser Einschränkung würden also behufs der Wärmebildung Aequivalente der organischen Nahrungsstoffe aufzustellen sein, vorausgesetzt, dass man die relative Zersetzbarkeit derselben und ihre latente Wärme kennte, was bis dahin noch nicht der Fall ist. Zur Erzeugung der Nerven und Muskelkräfte sind unzweifelhaft die Eiweisskörper dienlich und wahrscheinlich auch unumgänglich nothwendig, denn einmal sind diese Organe unter allen Umständen sehr reich an diesen Stoffen, dann findet man in den Säften dieser Organe, namentlich in den Muskeln, um so mehr Zersetzungsprodukte der Eiweisskörper, je angestrengter sie gearbeitet haben, und endlich soll, gleiche Ausbildung der Muskelmasse vorausgesetzt, ein und derselbe Mensch um so arbeits- fähiger sein, je beträchtlicher der Fleischantheil seiner Nahrung ist. Diese Thatsachen schliessen es aber natürlich nicht aus, dass sich nicht auch die Fette und Kohlenhydrate an der Erzeugung von Muskelkräften bethei- ligen könnten, hierfür spricht im Gegentheil die reichliche Anwesenheit von Fett und seinen Umsetzungsprodukten in den Nerven und ebenso- wohl die bedeutenden Muskelanstrengungen, welche Menschen leisten, die sich vorzugsweise von den eiweissarmen Kartoffeln und Brod nähren. Bei diesem Stande der Sache ist es jedenfalls besser, unentschieden zu lassen, ob die Nahrungsstoffe sich behufs der Entwickelung von mecha- nischen Kräften vertreten können.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/404>, abgerufen am 26.04.2024.