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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

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Von der Verjährung.
Viertes Hauptstück.
Von der Verjährung.
§. 63.
Ob die Verjährung in dem allgemeinen V. R. gegründet sey.

Eine der streitigsten Fragen des Völkerrechts ist die,
ob die Verjährung a) mit unter die Quellen des Völker-
rechts gezählet werden könne; ob durch sie Rechte erworben
und verloren werden können; ob sie in dem allgemeinen,
oder doch in dem positiven Völkerrecht ihren Grund habe.

Daß man seinem Eigenthum oder einem andren
Rechte das man besaß, nicht nur ausdrücklich, sondern auch
stillschweigend, durch Handlungen entsagen könne, welche
den Beweiß dieser Verzichtleistung enthalten, und dadurch
andere berechtigen könne diese Güter, oder Rechte oder Be-
freyungen zu erwerben, wird nicht bezweifelt. Ob aber
der bloße Nicht-Gebrauch des Eigenthums, oder eines an-
dren Rechts, ob das freywillig und wissentlich beobachtete
Stillschweigen, wenn wir sehn, daß ein anderer unser Gut
besitzt oder un fren Rechten entgegen handelt, dann, wenn
dieser Nicht Gebrauch oder dieses Stillschweigen lange fort-
gesetzt worden, uns um unser Eigenthum oder um unsere
Rechte bringen, und hinreichen kann um dem Besitzer ein
unanfechtbares Recht zu erwerben, das ist es, worauf es
bey Bestimmung der Frage ankommt, ob die Verjährung
zwischen freyen Völkern statt habe. Nun hat der bloße
Nicht-Gebrauch, das bloße Stillschweigen, für sich betrach-
tet, nicht die Kraft der Verzichtleistung oder Einwilligung,
sofern wir nicht verbunden sind uns unsres Rechts zu be-
dienen, oder zu reden. Eine solche Verbindlichkeit ist aber
nach dem absoluten natürlichen Völkerrecht nicht vorhanden;
wir begehn auch dadurch keine strafbare Nachlässigkeit; die
bloße unläugbare Vermuthung aber, die aus unsrem Still-

schweigen
Von der Verjaͤhrung.
Viertes Hauptſtuͤck.
Von der Verjaͤhrung.
§. 63.
Ob die Verjaͤhrung in dem allgemeinen V. R. gegruͤndet ſey.

Eine der ſtreitigſten Fragen des Voͤlkerrechts iſt die,
ob die Verjaͤhrung a) mit unter die Quellen des Voͤlker-
rechts gezaͤhlet werden koͤnne; ob durch ſie Rechte erworben
und verloren werden koͤnnen; ob ſie in dem allgemeinen,
oder doch in dem poſitiven Voͤlkerrecht ihren Grund habe.

Daß man ſeinem Eigenthum oder einem andren
Rechte das man beſaß, nicht nur ausdruͤcklich, ſondern auch
ſtillſchweigend, durch Handlungen entſagen koͤnne, welche
den Beweiß dieſer Verzichtleiſtung enthalten, und dadurch
andere berechtigen koͤnne dieſe Guͤter, oder Rechte oder Be-
freyungen zu erwerben, wird nicht bezweifelt. Ob aber
der bloße Nicht-Gebrauch des Eigenthums, oder eines an-
dren Rechts, ob das freywillig und wiſſentlich beobachtete
Stillſchweigen, wenn wir ſehn, daß ein anderer unſer Gut
beſitzt oder un fren Rechten entgegen handelt, dann, wenn
dieſer Nicht Gebrauch oder dieſes Stillſchweigen lange fort-
geſetzt worden, uns um unſer Eigenthum oder um unſere
Rechte bringen, und hinreichen kann um dem Beſitzer ein
unanfechtbares Recht zu erwerben, das iſt es, worauf es
bey Beſtimmung der Frage ankommt, ob die Verjaͤhrung
zwiſchen freyen Voͤlkern ſtatt habe. Nun hat der bloße
Nicht-Gebrauch, das bloße Stillſchweigen, fuͤr ſich betrach-
tet, nicht die Kraft der Verzichtleiſtung oder Einwilligung,
ſofern wir nicht verbunden ſind uns unſres Rechts zu be-
dienen, oder zu reden. Eine ſolche Verbindlichkeit iſt aber
nach dem abſoluten natuͤrlichen Voͤlkerrecht nicht vorhanden;
wir begehn auch dadurch keine ſtrafbare Nachlaͤſſigkeit; die
bloße unlaͤugbare Vermuthung aber, die aus unſrem Still-

ſchweigen
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[75/0103] Von der Verjaͤhrung. Viertes Hauptſtuͤck. Von der Verjaͤhrung. §. 63. Ob die Verjaͤhrung in dem allgemeinen V. R. gegruͤndet ſey. Eine der ſtreitigſten Fragen des Voͤlkerrechts iſt die, ob die Verjaͤhrung a) mit unter die Quellen des Voͤlker- rechts gezaͤhlet werden koͤnne; ob durch ſie Rechte erworben und verloren werden koͤnnen; ob ſie in dem allgemeinen, oder doch in dem poſitiven Voͤlkerrecht ihren Grund habe. Daß man ſeinem Eigenthum oder einem andren Rechte das man beſaß, nicht nur ausdruͤcklich, ſondern auch ſtillſchweigend, durch Handlungen entſagen koͤnne, welche den Beweiß dieſer Verzichtleiſtung enthalten, und dadurch andere berechtigen koͤnne dieſe Guͤter, oder Rechte oder Be- freyungen zu erwerben, wird nicht bezweifelt. Ob aber der bloße Nicht-Gebrauch des Eigenthums, oder eines an- dren Rechts, ob das freywillig und wiſſentlich beobachtete Stillſchweigen, wenn wir ſehn, daß ein anderer unſer Gut beſitzt oder un fren Rechten entgegen handelt, dann, wenn dieſer Nicht Gebrauch oder dieſes Stillſchweigen lange fort- geſetzt worden, uns um unſer Eigenthum oder um unſere Rechte bringen, und hinreichen kann um dem Beſitzer ein unanfechtbares Recht zu erwerben, das iſt es, worauf es bey Beſtimmung der Frage ankommt, ob die Verjaͤhrung zwiſchen freyen Voͤlkern ſtatt habe. Nun hat der bloße Nicht-Gebrauch, das bloße Stillſchweigen, fuͤr ſich betrach- tet, nicht die Kraft der Verzichtleiſtung oder Einwilligung, ſofern wir nicht verbunden ſind uns unſres Rechts zu be- dienen, oder zu reden. Eine ſolche Verbindlichkeit iſt aber nach dem abſoluten natuͤrlichen Voͤlkerrecht nicht vorhanden; wir begehn auch dadurch keine ſtrafbare Nachlaͤſſigkeit; die bloße unlaͤugbare Vermuthung aber, die aus unſrem Still- ſchweigen

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Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/103>, abgerufen am 26.04.2024.