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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

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Achtes Buch. Viertes Hauptstück.
kein Verbrechen begangen haben ihre Freyheit zu lassen,
und begnüget sich bey entstehender Veranlassung einige der-
selben als Geissel sich geben zu lassen, oder sie mit Gewalt
wegzuführen.

a) Moser Versuch B. IX. Th. I. S. 299.
§. 273.
Von dem feindlichen Regenten und dessen Familie.

Nach dem allgemeinen Völkerrecht kann zwar der
feindliche Souverain für sich und seine Familie keine Be-
freyung von den Gewaltthätigkeiten des Feindes begehren.
Vielmehr kann jeder von ihnen der sich bewaffnet, so wie
jeder andere Feind getödtet, und außer diesem Fall gefan-
gen genommen werden. Aber unter den gesitteten Europäi-
schen Völkern wird 1) für der Kriegsmanier entgegen ange-
sehn, absichtlich auf einen feindlichen Souverain oder auf
dessen Prinzen das Geschütz zu richten a). 2) Die Familie
des feindlichen Souverains wird, wenn der Feind sie in seine
Gewalt bekommt, nicht nur glimpflicher behandelt, sondern
auch gemeiniglich von aller Gefangenschaft befreyet b). 3)
Ueberhaupt suchen feindliche Souveraine sich in dem was
auf das Schicksal des Kriegs keinen Einfluß hat, die Last
desselben zu erleichtern. Man läßt dasjenige was für die
Tafel des feindlichen Souverains bestimmt ist frey passiren,
macht auch wohl einander Geschenke, und befolget den ange-
nommenen Grundsatz, daß der Krieg nur die Staaten, nicht
die Person der Souveraine entzweye c).

a) Ausnahme von diesem Grundsatz als Carl XII. Thorn belagerte;
Moser Versuch B. IX. Th. I. S. 130. Elliot beobachtete ihn
genau während der Belagerung von Gibraltar.
b) Moser Versuch Th. IX. S. 146 u. f. Adelung Staats-
geschichte
Th. VIII. S. 274.
c) Daß in dem gegenwärtigen Kriege die französischen Patrioten alle
diese Gewohnheiten aus den Augen setzten und sich selbst zu den
gröbesten Unanständigkeiten gegen fremde Fürsten erniedrigten,
hing zum Theil mit ihrem schlecht erfüllten Vorgeben zusammen,

Achtes Buch. Viertes Hauptſtuͤck.
kein Verbrechen begangen haben ihre Freyheit zu laſſen,
und begnuͤget ſich bey entſtehender Veranlaſſung einige der-
ſelben als Geiſſel ſich geben zu laſſen, oder ſie mit Gewalt
wegzufuͤhren.

a) Moſer Verſuch B. IX. Th. I. S. 299.
§. 273.
Von dem feindlichen Regenten und deſſen Familie.

Nach dem allgemeinen Voͤlkerrecht kann zwar der
feindliche Souverain fuͤr ſich und ſeine Familie keine Be-
freyung von den Gewaltthaͤtigkeiten des Feindes begehren.
Vielmehr kann jeder von ihnen der ſich bewaffnet, ſo wie
jeder andere Feind getoͤdtet, und außer dieſem Fall gefan-
gen genommen werden. Aber unter den geſitteten Europaͤi-
ſchen Voͤlkern wird 1) fuͤr der Kriegsmanier entgegen ange-
ſehn, abſichtlich auf einen feindlichen Souverain oder auf
deſſen Prinzen das Geſchuͤtz zu richten a). 2) Die Familie
des feindlichen Souverains wird, wenn der Feind ſie in ſeine
Gewalt bekommt, nicht nur glimpflicher behandelt, ſondern
auch gemeiniglich von aller Gefangenſchaft befreyet b). 3)
Ueberhaupt ſuchen feindliche Souveraine ſich in dem was
auf das Schickſal des Kriegs keinen Einfluß hat, die Laſt
deſſelben zu erleichtern. Man laͤßt dasjenige was fuͤr die
Tafel des feindlichen Souverains beſtimmt iſt frey paſſiren,
macht auch wohl einander Geſchenke, und befolget den ange-
nommenen Grundſatz, daß der Krieg nur die Staaten, nicht
die Perſon der Souveraine entzweye c).

a) Ausnahme von dieſem Grundſatz als Carl XII. Thorn belagerte;
Moſer Verſuch B. IX. Th. I. S. 130. Elliot beobachtete ihn
genau waͤhrend der Belagerung von Gibraltar.
b) Moſer Verſuch Th. IX. S. 146 u. f. Adelung Staats-
geſchichte
Th. VIII. S. 274.
c) Daß in dem gegenwaͤrtigen Kriege die franzoͤſiſchen Patrioten alle
dieſe Gewohnheiten aus den Augen ſetzten und ſich ſelbſt zu den
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[312/0340] Achtes Buch. Viertes Hauptſtuͤck. kein Verbrechen begangen haben ihre Freyheit zu laſſen, und begnuͤget ſich bey entſtehender Veranlaſſung einige der- ſelben als Geiſſel ſich geben zu laſſen, oder ſie mit Gewalt wegzufuͤhren. a⁾ Moſer Verſuch B. IX. Th. I. S. 299. §. 273. Von dem feindlichen Regenten und deſſen Familie. Nach dem allgemeinen Voͤlkerrecht kann zwar der feindliche Souverain fuͤr ſich und ſeine Familie keine Be- freyung von den Gewaltthaͤtigkeiten des Feindes begehren. Vielmehr kann jeder von ihnen der ſich bewaffnet, ſo wie jeder andere Feind getoͤdtet, und außer dieſem Fall gefan- gen genommen werden. Aber unter den geſitteten Europaͤi- ſchen Voͤlkern wird 1) fuͤr der Kriegsmanier entgegen ange- ſehn, abſichtlich auf einen feindlichen Souverain oder auf deſſen Prinzen das Geſchuͤtz zu richten a). 2) Die Familie des feindlichen Souverains wird, wenn der Feind ſie in ſeine Gewalt bekommt, nicht nur glimpflicher behandelt, ſondern auch gemeiniglich von aller Gefangenſchaft befreyet b). 3) Ueberhaupt ſuchen feindliche Souveraine ſich in dem was auf das Schickſal des Kriegs keinen Einfluß hat, die Laſt deſſelben zu erleichtern. Man laͤßt dasjenige was fuͤr die Tafel des feindlichen Souverains beſtimmt iſt frey paſſiren, macht auch wohl einander Geſchenke, und befolget den ange- nommenen Grundſatz, daß der Krieg nur die Staaten, nicht die Perſon der Souveraine entzweye c). a⁾ Ausnahme von dieſem Grundſatz als Carl XII. Thorn belagerte; Moſer Verſuch B. IX. Th. I. S. 130. Elliot beobachtete ihn genau waͤhrend der Belagerung von Gibraltar. b⁾ Moſer Verſuch Th. IX. S. 146 u. f. Adelung Staats- geſchichte Th. VIII. S. 274. c⁾ Daß in dem gegenwaͤrtigen Kriege die franzoͤſiſchen Patrioten alle dieſe Gewohnheiten aus den Augen ſetzten und ſich ſelbſt zu den groͤbeſten Unanſtaͤndigkeiten gegen fremde Fuͤrſten erniedrigten, hing zum Theil mit ihrem ſchlecht erfuͤllten Vorgeben zuſammen, daß

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Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/340>, abgerufen am 27.04.2024.