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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

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Achtes Buch. Siebentes Hauptstück.
neutraler Ort Feindseeligkeiten zu üben, so scheint es daß er
auch nach dem natürlichen Völkerrecht nicht aus neutralen
Schiffen feindliche Güter dieser Art wegnehmen dürfe a),
noch weniger darf er die Schiffe confisciren; und da neutrale
Güter auch aus feindlichem Gebiet nicht geraubt werden dür-
fen, so darf er auch die auf feindlichen Schiffen geladene neu-
trale Güter nicht, sondern die Schiffe allein sich zueignen,
so daß nach dem natürlichen Völkerrecht freyes Schiff,
freyes Gut, hingegen verfallenes Schiff, nicht verfalle-
nes Gut macht.

a) Dieser von den Schriftstellern des Völkerrechts überhaupt und
der Neutralität insbesondere so sehr verschieden beurtheilte
Satzhat indeß so viel Gründe für und wider sich, daß die Wahr-
heit durch bloß allgemeine Schlüsse schwerlich je wird zur Evidenz
gebracht werden. Grotius L. III. c. 6. § 26. n. 3. behauptete daß
es erlaubt sey feindliche Güter aus neutralen Schiffen wegzuneh-
men, welcher Satz damahls auch in der Praxis befolgt wurde.
Unter den späteren behauptet diesen vielleicht am scheinbarsten Jen-
kinson
discourse on the conduct of the governement of Great Bri-
tain in respect to neutral nations
in dem supplement to the collection
of treaties
1781. 8. S. 101 u. f.; unter den neuesten hat auch
Lampredi del commercio dei popoli neutrali T. I. §. 10. 11. ihn
vertheidiget.
§. 312.
Entscheidung streitiger Prisen-Fälle.

Entsteht endlich über die Rechtmäßigkeit einer auf offe-
nen See gemachten Prise ein Streit zwischen den Eigenthü-
mern des Schiffs oder der Waaren und den Nehmern, so
hat nach dem äußeren Völkerrecht keiner der beyden Souve-
raine ein ausschließliches Recht sich darüber eine Erkenntniß
anzumaßen, sondern dieser Streit sollte als eine Angelegen-
heit zweyer Völker entweder durch gütlichen Vergleich beyge-
legt, oder durch von beyden Theilen erwählte Richter entschie-
den werden a).

a) Hübner l. c. Th. II. P. I. chap 2. §. 2. vergebens bemühet sich
Lampredi die ausschließliche Gerichtbarkeit des Souverains des

Achtes Buch. Siebentes Hauptſtuͤck.
neutraler Ort Feindſeeligkeiten zu uͤben, ſo ſcheint es daß er
auch nach dem natuͤrlichen Voͤlkerrecht nicht aus neutralen
Schiffen feindliche Guͤter dieſer Art wegnehmen duͤrfe a),
noch weniger darf er die Schiffe confiſciren; und da neutrale
Guͤter auch aus feindlichem Gebiet nicht geraubt werden duͤr-
fen, ſo darf er auch die auf feindlichen Schiffen geladene neu-
trale Guͤter nicht, ſondern die Schiffe allein ſich zueignen,
ſo daß nach dem natuͤrlichen Voͤlkerrecht freyes Schiff,
freyes Gut, hingegen verfallenes Schiff, nicht verfalle-
nes Gut macht.

a) Dieſer von den Schriftſtellern des Voͤlkerrechts uͤberhaupt und
der Neutralitaͤt insbeſondere ſo ſehr verſchieden beurtheilte
Satzhat indeß ſo viel Gruͤnde fuͤr und wider ſich, daß die Wahr-
heit durch bloß allgemeine Schluͤſſe ſchwerlich je wird zur Evidenz
gebracht werden. Grotius L. III. c. 6. § 26. n. 3. behauptete daß
es erlaubt ſey feindliche Guͤter aus neutralen Schiffen wegzuneh-
men, welcher Satz damahls auch in der Praxis befolgt wurde.
Unter den ſpaͤteren behauptet dieſen vielleicht am ſcheinbarſten Jen-
kinson
diſcourſe on the conduct of the governement of Great Bri-
tain in reſpect to neutral nations
in dem ſupplement to the collection
of treaties
1781. 8. S. 101 u. f.; unter den neueſten hat auch
Lampredi del commercio dei popoli neutrali T. I. §. 10. 11. ihn
vertheidiget.
§. 312.
Entſcheidung ſtreitiger Priſen-Faͤlle.

Entſteht endlich uͤber die Rechtmaͤßigkeit einer auf offe-
nen See gemachten Priſe ein Streit zwiſchen den Eigenthuͤ-
mern des Schiffs oder der Waaren und den Nehmern, ſo
hat nach dem aͤußeren Voͤlkerrecht keiner der beyden Souve-
raine ein ausſchließliches Recht ſich daruͤber eine Erkenntniß
anzumaßen, ſondern dieſer Streit ſollte als eine Angelegen-
heit zweyer Voͤlker entweder durch guͤtlichen Vergleich beyge-
legt, oder durch von beyden Theilen erwaͤhlte Richter entſchie-
den werden a).

a) Hübner l. c. Th. II. P. I. chap 2. §. 2. vergebens bemuͤhet ſich
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[352/0380] Achtes Buch. Siebentes Hauptſtuͤck. neutraler Ort Feindſeeligkeiten zu uͤben, ſo ſcheint es daß er auch nach dem natuͤrlichen Voͤlkerrecht nicht aus neutralen Schiffen feindliche Guͤter dieſer Art wegnehmen duͤrfe a), noch weniger darf er die Schiffe confiſciren; und da neutrale Guͤter auch aus feindlichem Gebiet nicht geraubt werden duͤr- fen, ſo darf er auch die auf feindlichen Schiffen geladene neu- trale Guͤter nicht, ſondern die Schiffe allein ſich zueignen, ſo daß nach dem natuͤrlichen Voͤlkerrecht freyes Schiff, freyes Gut, hingegen verfallenes Schiff, nicht verfalle- nes Gut macht. a⁾ Dieſer von den Schriftſtellern des Voͤlkerrechts uͤberhaupt und der Neutralitaͤt insbeſondere ſo ſehr verſchieden beurtheilte Satzhat indeß ſo viel Gruͤnde fuͤr und wider ſich, daß die Wahr- heit durch bloß allgemeine Schluͤſſe ſchwerlich je wird zur Evidenz gebracht werden. Grotius L. III. c. 6. § 26. n. 3. behauptete daß es erlaubt ſey feindliche Guͤter aus neutralen Schiffen wegzuneh- men, welcher Satz damahls auch in der Praxis befolgt wurde. Unter den ſpaͤteren behauptet dieſen vielleicht am ſcheinbarſten Jen- kinson diſcourſe on the conduct of the governement of Great Bri- tain in reſpect to neutral nations in dem ſupplement to the collection of treaties 1781. 8. S. 101 u. f.; unter den neueſten hat auch Lampredi del commercio dei popoli neutrali T. I. §. 10. 11. ihn vertheidiget. §. 312. Entſcheidung ſtreitiger Priſen-Faͤlle. Entſteht endlich uͤber die Rechtmaͤßigkeit einer auf offe- nen See gemachten Priſe ein Streit zwiſchen den Eigenthuͤ- mern des Schiffs oder der Waaren und den Nehmern, ſo hat nach dem aͤußeren Voͤlkerrecht keiner der beyden Souve- raine ein ausſchließliches Recht ſich daruͤber eine Erkenntniß anzumaßen, ſondern dieſer Streit ſollte als eine Angelegen- heit zweyer Voͤlker entweder durch guͤtlichen Vergleich beyge- legt, oder durch von beyden Theilen erwaͤhlte Richter entſchie- den werden a). a⁾ Hübner l. c. Th. II. P. I. chap 2. §. 2. vergebens bemuͤhet ſich Lampredi die ausſchließliche Gerichtbarkeit des Souverains des Erobe-

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Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/380>, abgerufen am 26.04.2024.