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[N. N.]: Hofzimmer der Klugen. Übers. v. Georg Martzi. Frankfurt (Main), 1692.

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Zeit hat er allen Schein eines warhafften
Freundes/ nichts defloweniger thut er alles
böse/ so viel ihm möglich ist.

LIX.

Es ist ein sehr gemeines Sprichwort/
daß die Lügen keine Füsse haben/ aber ich
halte davor/ man könne sagen/ die Lügen
haben Flügel/ und der Lügner habe keine
Füsse: Dann wir sehen/ daß eine Lüge sehr
schnell durchlaufft/ und sich in einem Augen-
blick an vielen Orten befindet: Hergegen
ertappet man einen Lügener eben so leicht/
als einen Mann/ der mit einem zerbroche-
nen Bein darvon fliehen will.

LX.

Man ist niemals beredter/ als wann
man sich in der Noth befindet/ und wann
der Mensch jemals fähig ist/ sich seltner und
ungemeiner Sprüche zu bedienen/ so ist es
zu der Zeit/ da er seine Noth vorbringen
soll. Die Warheit ist viel stärcker/ als alle
Vernunffts-Gründe/ und sie ists/ eigent-
lich zu reden/ welche die Krafft des Geistes
unterhält. Unterdessen so sind die Men-
schen gemeiniglich so übel beschaffen/ daß sie
die Warheit nicht verdauen/ ja auch nicht
schmecken können/ wann sie nicht ein wenig
verdeckt ist

LXI.

Zeit hat er allen Schein eines warhafften
Freundes/ nichts defloweniger thut er alles
boͤſe/ ſo viel ihm moͤglich iſt.

LIX.

Es iſt ein ſehr gemeines Sprichwort/
daß die Luͤgen keine Fuͤſſe haben/ aber ich
halte davor/ man koͤnne ſagen/ die Luͤgen
haben Fluͤgel/ und der Luͤgner habe keine
Fuͤſſe: Dann wir ſehen/ daß eine Luͤge ſehr
ſchnell durchlaufft/ und ſich in einem Augen-
blick an vielen Orten befindet: Hergegen
ertappet man einen Luͤgener eben ſo leicht/
als einen Mann/ der mit einem zerbroche-
nen Bein darvon fliehen will.

LX.

Man iſt niemals beredter/ als wann
man ſich in der Noth befindet/ und wann
der Menſch jemals faͤhig iſt/ ſich ſeltner und
ungemeiner Spruͤche zu bedienen/ ſo iſt es
zu der Zeit/ da er ſeine Noth vorbringen
ſoll. Die Warheit iſt viel ſtaͤrcker/ als alle
Vernunffts-Gruͤnde/ und ſie iſts/ eigent-
lich zu reden/ welche die Krafft des Geiſtes
unterhaͤlt. Unterdeſſen ſo ſind die Men-
ſchen gemeiniglich ſo uͤbel beſchaffen/ daß ſie
die Warheit nicht verdauen/ ja auch nicht
ſchmecken koͤnnen/ wann ſie nicht ein wenig
verdeckt iſt

LXI.
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[84[74]/0085] Zeit hat er allen Schein eines warhafften Freundes/ nichts defloweniger thut er alles boͤſe/ ſo viel ihm moͤglich iſt. LIX. Es iſt ein ſehr gemeines Sprichwort/ daß die Luͤgen keine Fuͤſſe haben/ aber ich halte davor/ man koͤnne ſagen/ die Luͤgen haben Fluͤgel/ und der Luͤgner habe keine Fuͤſſe: Dann wir ſehen/ daß eine Luͤge ſehr ſchnell durchlaufft/ und ſich in einem Augen- blick an vielen Orten befindet: Hergegen ertappet man einen Luͤgener eben ſo leicht/ als einen Mann/ der mit einem zerbroche- nen Bein darvon fliehen will. LX. Man iſt niemals beredter/ als wann man ſich in der Noth befindet/ und wann der Menſch jemals faͤhig iſt/ ſich ſeltner und ungemeiner Spruͤche zu bedienen/ ſo iſt es zu der Zeit/ da er ſeine Noth vorbringen ſoll. Die Warheit iſt viel ſtaͤrcker/ als alle Vernunffts-Gruͤnde/ und ſie iſts/ eigent- lich zu reden/ welche die Krafft des Geiſtes unterhaͤlt. Unterdeſſen ſo ſind die Men- ſchen gemeiniglich ſo uͤbel beſchaffen/ daß ſie die Warheit nicht verdauen/ ja auch nicht ſchmecken koͤnnen/ wann ſie nicht ein wenig verdeckt iſt LXI.

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Zitationshilfe: [N. N.]: Hofzimmer der Klugen. Übers. v. Georg Martzi. Frankfurt (Main), 1692, S. 84[74]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martzi_klugen_1692/85>, abgerufen am 26.04.2024.