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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869.

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Blätter machten Anstalten um wieder zu erscheinen, die Berichte aus den De¬
partements lauteten ungünstig, die Flüchtlinge von Genf leiteten eine Ver¬
schwörung über Lyon durch ganz Südfrankreich, Frankreich stehe am Rande
einer industriellen und kommerziellen Krise, die Fabrikanten von Roubaix
hätten die Arbeitszeit vermindert, die Gefangenen von Belle Isle sich empört
-- es genügte, daß selbst nur ein Vaisse das rothe Gespenst heraufbeschwor,
damit die Partei der Ordnung ohne Diskussion einen Antrag verwarf, der
der Nationalversammlung eine ungeheure Popularität erobern und Bonaparte
in ihre Arme zurückwerfen mußte. Statt sich von der Exekutivgewalt durch
die Perspektive neuer Unruhen einschüchtern zu lassen, hätte sie vielmehr dem
Klassenkampf einen kleinen Spielraum gewähren müssen, um die Exekutive von
sich abhängig zu erhalten. Aber sie fühlte sich nicht der Aufgabe gewachsen,
mit dem Feuer zu spielen.

Unterdessen vegetirte das sogenannte Uebergangsministerium bis Mitte
April fort. Bonaparte ermüdete, foppte die Nationalversammlung mit be¬
ständig neuen Ministerkombinationen. Bald schien er ein republikanisches
Ministerium bilden zu wollen mit Lamartine und Billault, bald ein parla¬
mentarisches mit dem unvermeidlichen Odilon Barrot, dessen Name nie fehlen
darf, wenn ein Dupe nothwendig ist, bald ein legitimistisches mit Vatismenil
und Benoist d'Azy, bald ein orleanistisches mit Malleville. Während er so
die verschiedenen Fraktionen der Ordnungspartei in Spannung gegen ein¬
ander erhält und sie insgesammt mit der Aussicht auf ein republikanisches
Ministerium und die dann unvermeidlich gewordene Herstellung des allge¬
meinen Wahlrechts ängstet, bringt er gleichzeitig bei der Bourgeoisie die Ueber¬
zeugung hervor, daß seine aufrichtigen Bemühungen um ein parlamentarisches
Ministerium an der Unversöhnlichkeit der royalistischen Fraktionen scheitern.
Die Bourgeoisie schrie aber um so lauter nach einer "starken Regierung," sie
fand es um so unverzeihlicher, Frankreich "ohne Administration" zu lassen,
jemehr eine allgemeine Handelskrise nun im Anmarsche schien und in den
Städten für den Sozialismus warb, wie der ruinirend niedrige Preis des
Getreides auf dem Lande. Der Handel wurde täglich flauer, die unbeschäf¬
tigten Hände vermehrten sich zusehends, in Paris waren wenigstens 10,000
Arbeiter brodlos, in Rouen, Mühlhausen, Lyon, Roubaix, Tourcoing, St.
Etienne, Elbeuf u. s. w. standen zahllose Fabriken still. Unter diesen Um¬
ständen konnte Bonaparte es wagen, am 11. April das Ministerium vom
18. Januar zu restauriren. Die Herren Rouher, Fould, Baroche etc. verstärkt

Blätter machten Anſtalten um wieder zu erſcheinen, die Berichte aus den De¬
partements lauteten ungünſtig, die Flüchtlinge von Genf leiteten eine Ver¬
ſchwörung über Lyon durch ganz Südfrankreich, Frankreich ſtehe am Rande
einer induſtriellen und kommerziellen Kriſe, die Fabrikanten von Roubaix
hätten die Arbeitszeit vermindert, die Gefangenen von Belle Isle ſich empört
— es genügte, daß ſelbſt nur ein Vaissé das rothe Geſpenſt heraufbeſchwor,
damit die Partei der Ordnung ohne Diskuſſion einen Antrag verwarf, der
der Nationalverſammlung eine ungeheure Popularität erobern und Bonaparte
in ihre Arme zurückwerfen mußte. Statt ſich von der Exekutivgewalt durch
die Perſpektive neuer Unruhen einſchüchtern zu laſſen, hätte ſie vielmehr dem
Klaſſenkampf einen kleinen Spielraum gewähren müſſen, um die Exekutive von
ſich abhängig zu erhalten. Aber ſie fühlte ſich nicht der Aufgabe gewachſen,
mit dem Feuer zu ſpielen.

Unterdeſſen vegetirte das ſogenannte Uebergangsminiſterium bis Mitte
April fort. Bonaparte ermüdete, foppte die Nationalverſammlung mit be¬
ſtändig neuen Miniſterkombinationen. Bald ſchien er ein republikaniſches
Miniſterium bilden zu wollen mit Lamartine und Billault, bald ein parla¬
mentariſches mit dem unvermeidlichen Odilon Barrot, deſſen Name nie fehlen
darf, wenn ein Dupe nothwendig iſt, bald ein legitimiſtiſches mit Vatismenil
und Benoiſt d'Azy, bald ein orleaniſtiſches mit Malleville. Während er ſo
die verſchiedenen Fraktionen der Ordnungspartei in Spannung gegen ein¬
ander erhält und ſie insgeſammt mit der Ausſicht auf ein republikaniſches
Miniſterium und die dann unvermeidlich gewordene Herſtellung des allge¬
meinen Wahlrechts ängſtet, bringt er gleichzeitig bei der Bourgeoiſie die Ueber¬
zeugung hervor, daß ſeine aufrichtigen Bemühungen um ein parlamentariſches
Miniſterium an der Unverſöhnlichkeit der royaliſtiſchen Fraktionen ſcheitern.
Die Bourgeoiſie ſchrie aber um ſo lauter nach einer „ſtarken Regierung,“ ſie
fand es um ſo unverzeihlicher, Frankreich „ohne Adminiſtration“ zu laſſen,
jemehr eine allgemeine Handelskriſe nun im Anmarſche ſchien und in den
Städten für den Sozialismus warb, wie der ruinirend niedrige Preis des
Getreides auf dem Lande. Der Handel wurde täglich flauer, die unbeſchäf¬
tigten Hände vermehrten ſich zuſehends, in Paris waren wenigſtens 10,000
Arbeiter brodlos, in Rouen, Mühlhauſen, Lyon, Roubaix, Tourcoing, St.
Etienne, Elbeuf u. ſ. w. ſtanden zahlloſe Fabriken ſtill. Unter dieſen Um¬
ſtänden konnte Bonaparte es wagen, am 11. April das Miniſterium vom
18. Januar zu reſtauriren. Die Herren Rouher, Fould, Baroche ꝛc. verſtärkt

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[63/0075] Blätter machten Anſtalten um wieder zu erſcheinen, die Berichte aus den De¬ partements lauteten ungünſtig, die Flüchtlinge von Genf leiteten eine Ver¬ ſchwörung über Lyon durch ganz Südfrankreich, Frankreich ſtehe am Rande einer induſtriellen und kommerziellen Kriſe, die Fabrikanten von Roubaix hätten die Arbeitszeit vermindert, die Gefangenen von Belle Isle ſich empört — es genügte, daß ſelbſt nur ein Vaissé das rothe Geſpenſt heraufbeſchwor, damit die Partei der Ordnung ohne Diskuſſion einen Antrag verwarf, der der Nationalverſammlung eine ungeheure Popularität erobern und Bonaparte in ihre Arme zurückwerfen mußte. Statt ſich von der Exekutivgewalt durch die Perſpektive neuer Unruhen einſchüchtern zu laſſen, hätte ſie vielmehr dem Klaſſenkampf einen kleinen Spielraum gewähren müſſen, um die Exekutive von ſich abhängig zu erhalten. Aber ſie fühlte ſich nicht der Aufgabe gewachſen, mit dem Feuer zu ſpielen. Unterdeſſen vegetirte das ſogenannte Uebergangsminiſterium bis Mitte April fort. Bonaparte ermüdete, foppte die Nationalverſammlung mit be¬ ſtändig neuen Miniſterkombinationen. Bald ſchien er ein republikaniſches Miniſterium bilden zu wollen mit Lamartine und Billault, bald ein parla¬ mentariſches mit dem unvermeidlichen Odilon Barrot, deſſen Name nie fehlen darf, wenn ein Dupe nothwendig iſt, bald ein legitimiſtiſches mit Vatismenil und Benoiſt d'Azy, bald ein orleaniſtiſches mit Malleville. Während er ſo die verſchiedenen Fraktionen der Ordnungspartei in Spannung gegen ein¬ ander erhält und ſie insgeſammt mit der Ausſicht auf ein republikaniſches Miniſterium und die dann unvermeidlich gewordene Herſtellung des allge¬ meinen Wahlrechts ängſtet, bringt er gleichzeitig bei der Bourgeoiſie die Ueber¬ zeugung hervor, daß ſeine aufrichtigen Bemühungen um ein parlamentariſches Miniſterium an der Unverſöhnlichkeit der royaliſtiſchen Fraktionen ſcheitern. Die Bourgeoiſie ſchrie aber um ſo lauter nach einer „ſtarken Regierung,“ ſie fand es um ſo unverzeihlicher, Frankreich „ohne Adminiſtration“ zu laſſen, jemehr eine allgemeine Handelskriſe nun im Anmarſche ſchien und in den Städten für den Sozialismus warb, wie der ruinirend niedrige Preis des Getreides auf dem Lande. Der Handel wurde täglich flauer, die unbeſchäf¬ tigten Hände vermehrten ſich zuſehends, in Paris waren wenigſtens 10,000 Arbeiter brodlos, in Rouen, Mühlhauſen, Lyon, Roubaix, Tourcoing, St. Etienne, Elbeuf u. ſ. w. ſtanden zahlloſe Fabriken ſtill. Unter dieſen Um¬ ſtänden konnte Bonaparte es wagen, am 11. April das Miniſterium vom 18. Januar zu reſtauriren. Die Herren Rouher, Fould, Baroche ꝛc. verſtärkt

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/75>, abgerufen am 26.04.2024.