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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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Krystallisation fähig80). Dieselben Charaktere können aber auch von
der Waarencirculation unabhängig auftreten. Der Klassenkampf der an-
tiken Welt z. B. bewegt sich hauptsächlich in der Form eines Kampfes
zwischen Gläubiger und Schuldner, und endet in Rom mit dem Untergang
des plebejischen Schuldners, der durch den Sklaven ersetzt wird. Im
Mittelalter endet der Kampf mit dem Untergang des feudalen Schuldners,
der seine politische Macht mit ihrer ökonomischen Basis einbüsst. Indess
spiegelt die Geldform -- und das Verhältniss von Gläubiger und Schuld-
ner besitzt die Form eines Geldverhältnisses -- hier nur den Antagonis-
mus tiefer liegender ökonomischer Lebensbedingungen wieder.

Kehren wir zur Sphäre der Waarencirculation zurück. Die gleich-
zeitige Erscheinung der Aequivalente Waare und Geld auf den beiden
Polen des Verkaufsprozesses hat aufgehört. Das Geld funktionirt jetzt
erstens als Werthmass in der Preisbestimmung der verkauften Waare.
Ihr kontraktlich festgesetzter Preis misst die Obligation des Käufers, d. h.
die Geldsumme, die er an bestimmtem Zeittermin schuldet. Es funktio-
nirt zweitens als ideelles Kaufmittel. Obgleich es nur im Geld-
versprechen des Käufers existirt, bewirkt es den Händewechsel der Waare.
Erst am fälligen Zahlungstermin tritt das Zahlungsmittel wirklich in Circu-
lation, d. h. geht aus der Hand des Käufers in die des Verkäufers über.
Das Circulationsmittel verwandelte sich in Schatz, weil der Circulations-
prozess mit der ersten Phase abbrach oder die verwandelte Gestalt der
Waare der Circulation entzogen wurde. Das Zahlungsmittel tritt in
die Circulation hinein, aber nachdem die Waare bereits aus ihr ausgetre-
ten ist. Das Geld vermittelt nicht mehr den Prozess. Es schliesst ihn
selbstständig ab, als absolutes Dasein des Tauschwerths oder allgemeine
Waare. Der Verkäufer verwandelte Waare in Geld, um ein Bedürfniss
durch das Geld zu befriedigen, der Schatzbildner, um die Waare in Geld-
form zu präserviren, der schuldige Käufer, um zahlen zu können. Zahlt
er nicht, so finden Zwangsverkäufe seiner Habe statt. Die Werthgestalt

80) Ueber die Schuldner- und Gläubigerverhältnisse unter den englischen
Handelsleuten Anfang des 18. Jahrhunderts: "Such a spirit of cruelty reigns
here in England among the men of trade, that is not to be met with in any other
society of men, nor in any other kingdom of the world." ("An Essay on
Credit and the Bankrupt Act. Lond
. 1707", p. 2.)
I. 7

Krystallisation fähig80). Dieselben Charaktere können aber auch von
der Waarencirculation unabhängig auftreten. Der Klassenkampf der an-
tiken Welt z. B. bewegt sich hauptsächlich in der Form eines Kampfes
zwischen Gläubiger und Schuldner, und endet in Rom mit dem Untergang
des plebejischen Schuldners, der durch den Sklaven ersetzt wird. Im
Mittelalter endet der Kampf mit dem Untergang des feudalen Schuldners,
der seine politische Macht mit ihrer ökonomischen Basis einbüsst. Indess
spiegelt die Geldform — und das Verhältniss von Gläubiger und Schuld-
ner besitzt die Form eines Geldverhältnisses — hier nur den Antagonis-
mus tiefer liegender ökonomischer Lebensbedingungen wieder.

Kehren wir zur Sphäre der Waarencirculation zurück. Die gleich-
zeitige Erscheinung der Aequivalente Waare und Geld auf den beiden
Polen des Verkaufsprozesses hat aufgehört. Das Geld funktionirt jetzt
erstens als Werthmass in der Preisbestimmung der verkauften Waare.
Ihr kontraktlich festgesetzter Preis misst die Obligation des Käufers, d. h.
die Geldsumme, die er an bestimmtem Zeittermin schuldet. Es funktio-
nirt zweitens als ideelles Kaufmittel. Obgleich es nur im Geld-
versprechen des Käufers existirt, bewirkt es den Händewechsel der Waare.
Erst am fälligen Zahlungstermin tritt das Zahlungsmittel wirklich in Circu-
lation, d. h. geht aus der Hand des Käufers in die des Verkäufers über.
Das Circulationsmittel verwandelte sich in Schatz, weil der Circulations-
prozess mit der ersten Phase abbrach oder die verwandelte Gestalt der
Waare der Circulation entzogen wurde. Das Zahlungsmittel tritt in
die Circulation hinein, aber nachdem die Waare bereits aus ihr ausgetre-
ten ist. Das Geld vermittelt nicht mehr den Prozess. Es schliesst ihn
selbstständig ab, als absolutes Dasein des Tauschwerths oder allgemeine
Waare. Der Verkäufer verwandelte Waare in Geld, um ein Bedürfniss
durch das Geld zu befriedigen, der Schatzbildner, um die Waare in Geld-
form zu präserviren, der schuldige Käufer, um zahlen zu können. Zahlt
er nicht, so finden Zwangsverkäufe seiner Habe statt. Die Werthgestalt

80) Ueber die Schuldner- und Gläubigerverhältnisse unter den englischen
Handelsleuten Anfang des 18. Jahrhunderts: „Such a spirit of cruelty reigns
here in England among the men of trade, that is not to be met with in any other
society of men, nor in any other kingdom of the world.“ („An Essay on
Credit and the Bankrupt Act. Lond
. 1707“, p. 2.)
I. 7
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[97/0116] Krystallisation fähig 80). Dieselben Charaktere können aber auch von der Waarencirculation unabhängig auftreten. Der Klassenkampf der an- tiken Welt z. B. bewegt sich hauptsächlich in der Form eines Kampfes zwischen Gläubiger und Schuldner, und endet in Rom mit dem Untergang des plebejischen Schuldners, der durch den Sklaven ersetzt wird. Im Mittelalter endet der Kampf mit dem Untergang des feudalen Schuldners, der seine politische Macht mit ihrer ökonomischen Basis einbüsst. Indess spiegelt die Geldform — und das Verhältniss von Gläubiger und Schuld- ner besitzt die Form eines Geldverhältnisses — hier nur den Antagonis- mus tiefer liegender ökonomischer Lebensbedingungen wieder. Kehren wir zur Sphäre der Waarencirculation zurück. Die gleich- zeitige Erscheinung der Aequivalente Waare und Geld auf den beiden Polen des Verkaufsprozesses hat aufgehört. Das Geld funktionirt jetzt erstens als Werthmass in der Preisbestimmung der verkauften Waare. Ihr kontraktlich festgesetzter Preis misst die Obligation des Käufers, d. h. die Geldsumme, die er an bestimmtem Zeittermin schuldet. Es funktio- nirt zweitens als ideelles Kaufmittel. Obgleich es nur im Geld- versprechen des Käufers existirt, bewirkt es den Händewechsel der Waare. Erst am fälligen Zahlungstermin tritt das Zahlungsmittel wirklich in Circu- lation, d. h. geht aus der Hand des Käufers in die des Verkäufers über. Das Circulationsmittel verwandelte sich in Schatz, weil der Circulations- prozess mit der ersten Phase abbrach oder die verwandelte Gestalt der Waare der Circulation entzogen wurde. Das Zahlungsmittel tritt in die Circulation hinein, aber nachdem die Waare bereits aus ihr ausgetre- ten ist. Das Geld vermittelt nicht mehr den Prozess. Es schliesst ihn selbstständig ab, als absolutes Dasein des Tauschwerths oder allgemeine Waare. Der Verkäufer verwandelte Waare in Geld, um ein Bedürfniss durch das Geld zu befriedigen, der Schatzbildner, um die Waare in Geld- form zu präserviren, der schuldige Käufer, um zahlen zu können. Zahlt er nicht, so finden Zwangsverkäufe seiner Habe statt. Die Werthgestalt 80) Ueber die Schuldner- und Gläubigerverhältnisse unter den englischen Handelsleuten Anfang des 18. Jahrhunderts: „Such a spirit of cruelty reigns here in England among the men of trade, that is not to be met with in any other society of men, nor in any other kingdom of the world.“ („An Essay on Credit and the Bankrupt Act. Lond. 1707“, p. 2.) I. 7

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/116>, abgerufen am 26.04.2024.