Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Umständen, die nothwendige Arbeitszeit verschieden ist. Auf
die Mehrarbeit wirken sie nur als Naturschranke, d. h. durch die Bestim-
mung des Punkts, wo die Arbeit für Andre beginnen kann. In dem-
selben Mass, worin die Industrie vortritt, weicht diese Naturschranke zu-
rück. Mitten in der westeuropäischen Gesellschaft, wo der Arbeiter die
Erlaubniss für seine eigne Existenz zu arbeiten nur durch Mehrarbeit er-
kauft, wird sich leicht eingebildet, es sei eine der menschlichen Arbeit
eingeborne Qualität, ein Surplusprodukt zu liefern8). Man nehme aber
z. B. den Einwohner der östlichen Inseln des asiatischen Archipelagus,
wo der Sago wild im Walde wächst. "Wenn die Bewohner, indem sie
ein Loch in den Baum bohren, sich davon überzeugt haben, dass das
Mark reif ist, so wird der Stamm umgeschlagen und in mehrere Stücke
getheilt, das Mark wird herausgekratzt, mit Wasser gemischt und geseiht,
es ist dann vollkommen brauchbares Sagomehl. Ein Baum giebt ge-
meiniglich 300 Pfund und kann 5 bis 600 Pfund geben. Man geht dort
also in den Wald und schneidet sich sein Brod, wie man bei uns sein Brenn-
holz schlägt"9). Gesetzt ein solcher ostasiatischer Brodschneider brauche
12 Arbeitsstunden in der Woche zur Befriedigung aller seiner Bedürfnisse.
Was ihm die Gunst der Natur unmittelbar giebt, ist viel Mussezeit.
Damit er diese produktiv für sich selbst verwende, ist eine ganze Reihe
geschichtlicher Umstände, damit er sie in Mehrarbeit für fremde Personen
verausgabe, ist äusserer Zwang erheischt. Würde kapitalistische Produk-
tion eingeführt, so müsste der Brave vielleicht 6 Tage in der Woche arbeiten,
um sich selbst das Produkt eines Arbeitstags anzueignen. Die Gunst der
Natur erklärt nicht, warum er jetzt 6 Tage in der Woche arbeitet oder warum
er 5 Tage Mehrarbeit liefert. Sie erklärt nur, warum seine nothwendige
Arbeitszeit auf einen Tag in der Woche beschränkt ist. In keinem Fall

earth more cultivating than in the latter." ("An Essay on the Governing
Causes of the Natural Rate of Interest. Lond
. 1750", p. 60.) Der
Verfasser dieser epochemachenden anonymen Schrift ist J. Massey. Hume
nahm daraus seine Zinstheorie.
8) "Chaque travail doit (scheint auch zu den droits und devoirs du citoyen
zu gehören) laisser un excedant." (Proudhon.)
9) F. Shouw: "Die Erde, die Pflanze und der Mensch."
2. Aufl. Leipzig 1854, p. 148.

Umständen, die nothwendige Arbeitszeit verschieden ist. Auf
die Mehrarbeit wirken sie nur als Naturschranke, d. h. durch die Bestim-
mung des Punkts, wo die Arbeit für Andre beginnen kann. In dem-
selben Mass, worin die Industrie vortritt, weicht diese Naturschranke zu-
rück. Mitten in der westeuropäischen Gesellschaft, wo der Arbeiter die
Erlaubniss für seine eigne Existenz zu arbeiten nur durch Mehrarbeit er-
kauft, wird sich leicht eingebildet, es sei eine der menschlichen Arbeit
eingeborne Qualität, ein Surplusprodukt zu liefern8). Man nehme aber
z. B. den Einwohner der östlichen Inseln des asiatischen Archipelagus,
wo der Sago wild im Walde wächst. „Wenn die Bewohner, indem sie
ein Loch in den Baum bohren, sich davon überzeugt haben, dass das
Mark reif ist, so wird der Stamm umgeschlagen und in mehrere Stücke
getheilt, das Mark wird herausgekratzt, mit Wasser gemischt und geseiht,
es ist dann vollkommen brauchbares Sagomehl. Ein Baum giebt ge-
meiniglich 300 Pfund und kann 5 bis 600 Pfund geben. Man geht dort
also in den Wald und schneidet sich sein Brod, wie man bei uns sein Brenn-
holz schlägt“9). Gesetzt ein solcher ostasiatischer Brodschneider brauche
12 Arbeitsstunden in der Woche zur Befriedigung aller seiner Bedürfnisse.
Was ihm die Gunst der Natur unmittelbar giebt, ist viel Mussezeit.
Damit er diese produktiv für sich selbst verwende, ist eine ganze Reihe
geschichtlicher Umstände, damit er sie in Mehrarbeit für fremde Personen
verausgabe, ist äusserer Zwang erheischt. Würde kapitalistische Produk-
tion eingeführt, so müsste der Brave vielleicht 6 Tage in der Woche arbeiten,
um sich selbst das Produkt eines Arbeitstags anzueignen. Die Gunst der
Natur erklärt nicht, warum er jetzt 6 Tage in der Woche arbeitet oder warum
er 5 Tage Mehrarbeit liefert. Sie erklärt nur, warum seine nothwendige
Arbeitszeit auf einen Tag in der Woche beschränkt ist. In keinem Fall

earth more cultivating than in the latter.“ („An Essay on the Governing
Causes of the Natural Rate of Interest. Lond
. 1750“, p. 60.) Der
Verfasser dieser epochemachenden anonymen Schrift ist J. Massey. Hume
nahm daraus seine Zinstheorie.
8) „Chaque travail doit (scheint auch zu den droits und devoirs du citoyen
zu gehören) laisser un excédant.“ (Proudhon.)
9) F. Shouw: „Die Erde, die Pflanze und der Mensch.“
2. Aufl. Leipzig 1854, p. 148.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0523" n="504"/>
Umständen, die <hi rendition="#g">nothwendige Arbeitszeit</hi> verschieden ist. Auf<lb/>
die Mehrarbeit wirken sie nur als Naturschranke, d. h. durch die Bestim-<lb/>
mung des Punkts, wo <hi rendition="#g">die Arbeit für Andre beginnen kann</hi>. In dem-<lb/>
selben Mass, worin die Industrie vortritt, weicht diese Naturschranke zu-<lb/>
rück. Mitten in der westeuropäischen Gesellschaft, wo der Arbeiter die<lb/>
Erlaubniss für seine eigne Existenz zu arbeiten nur durch Mehrarbeit er-<lb/>
kauft, wird sich leicht eingebildet, es sei eine der menschlichen Arbeit<lb/>
eingeborne Qualität, ein Surplusprodukt zu liefern<note place="foot" n="8)">&#x201E;Chaque travail <hi rendition="#g">doit</hi> (scheint auch zu den droits und devoirs du citoyen<lb/>
zu gehören) laisser un excédant.&#x201C; (<hi rendition="#g">Proudhon</hi>.)</note>. Man nehme aber<lb/>
z. B. den Einwohner der östlichen Inseln des asiatischen Archipelagus,<lb/>
wo der Sago wild im Walde wächst. &#x201E;Wenn die Bewohner, indem sie<lb/>
ein Loch in den Baum bohren, sich davon überzeugt haben, dass das<lb/>
Mark reif ist, so wird der Stamm umgeschlagen und in mehrere Stücke<lb/>
getheilt, das Mark wird herausgekratzt, mit Wasser gemischt und geseiht,<lb/>
es ist dann vollkommen brauchbares Sagomehl. Ein Baum giebt ge-<lb/>
meiniglich 300 Pfund und kann 5 bis 600 Pfund geben. Man geht dort<lb/>
also in den Wald und schneidet sich sein Brod, wie man bei uns sein Brenn-<lb/>
holz schlägt&#x201C;<note place="foot" n="9)">F. <hi rendition="#g">Shouw</hi>: &#x201E;<hi rendition="#g">Die Erde, die Pflanze und der Mensch</hi>.&#x201C;<lb/>
2. <hi rendition="#g">Aufl. Leipzig</hi> 1854, p. 148.</note>. Gesetzt ein solcher ostasiatischer Brodschneider brauche<lb/>
12 Arbeitsstunden in der Woche zur Befriedigung aller seiner Bedürfnisse.<lb/>
Was ihm die Gunst der Natur unmittelbar giebt, ist viel <hi rendition="#g">Mussezeit</hi>.<lb/>
Damit er diese produktiv für sich selbst verwende, ist eine ganze Reihe<lb/>
geschichtlicher Umstände, damit er sie in Mehrarbeit für fremde Personen<lb/>
verausgabe, ist äusserer Zwang erheischt. Würde kapitalistische Produk-<lb/>
tion eingeführt, so müsste der Brave vielleicht 6 Tage in der Woche arbeiten,<lb/>
um sich selbst das Produkt <hi rendition="#g">eines</hi> Arbeitstags anzueignen. Die Gunst der<lb/>
Natur erklärt nicht, warum er jetzt 6 Tage in der Woche arbeitet oder warum<lb/>
er 5 Tage Mehrarbeit liefert. Sie erklärt nur, warum seine nothwendige<lb/>
Arbeitszeit auf einen Tag in der Woche beschränkt ist. In keinem Fall<lb/><note xml:id="seg2pn_81_2" prev="#seg2pn_81_1" place="foot" n="7)">earth more cultivating than in the latter.&#x201C; (&#x201E;<hi rendition="#g">An Essay on the Governing<lb/>
Causes of the Natural Rate of Interest. Lond</hi>. 1750&#x201C;, p. 60.) Der<lb/>
Verfasser dieser epochemachenden anonymen Schrift ist J. <hi rendition="#g">Massey</hi>. Hume<lb/>
nahm daraus seine Zinstheorie.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[504/0523] Umständen, die nothwendige Arbeitszeit verschieden ist. Auf die Mehrarbeit wirken sie nur als Naturschranke, d. h. durch die Bestim- mung des Punkts, wo die Arbeit für Andre beginnen kann. In dem- selben Mass, worin die Industrie vortritt, weicht diese Naturschranke zu- rück. Mitten in der westeuropäischen Gesellschaft, wo der Arbeiter die Erlaubniss für seine eigne Existenz zu arbeiten nur durch Mehrarbeit er- kauft, wird sich leicht eingebildet, es sei eine der menschlichen Arbeit eingeborne Qualität, ein Surplusprodukt zu liefern 8). Man nehme aber z. B. den Einwohner der östlichen Inseln des asiatischen Archipelagus, wo der Sago wild im Walde wächst. „Wenn die Bewohner, indem sie ein Loch in den Baum bohren, sich davon überzeugt haben, dass das Mark reif ist, so wird der Stamm umgeschlagen und in mehrere Stücke getheilt, das Mark wird herausgekratzt, mit Wasser gemischt und geseiht, es ist dann vollkommen brauchbares Sagomehl. Ein Baum giebt ge- meiniglich 300 Pfund und kann 5 bis 600 Pfund geben. Man geht dort also in den Wald und schneidet sich sein Brod, wie man bei uns sein Brenn- holz schlägt“ 9). Gesetzt ein solcher ostasiatischer Brodschneider brauche 12 Arbeitsstunden in der Woche zur Befriedigung aller seiner Bedürfnisse. Was ihm die Gunst der Natur unmittelbar giebt, ist viel Mussezeit. Damit er diese produktiv für sich selbst verwende, ist eine ganze Reihe geschichtlicher Umstände, damit er sie in Mehrarbeit für fremde Personen verausgabe, ist äusserer Zwang erheischt. Würde kapitalistische Produk- tion eingeführt, so müsste der Brave vielleicht 6 Tage in der Woche arbeiten, um sich selbst das Produkt eines Arbeitstags anzueignen. Die Gunst der Natur erklärt nicht, warum er jetzt 6 Tage in der Woche arbeitet oder warum er 5 Tage Mehrarbeit liefert. Sie erklärt nur, warum seine nothwendige Arbeitszeit auf einen Tag in der Woche beschränkt ist. In keinem Fall 7) 8) „Chaque travail doit (scheint auch zu den droits und devoirs du citoyen zu gehören) laisser un excédant.“ (Proudhon.) 9) F. Shouw: „Die Erde, die Pflanze und der Mensch.“ 2. Aufl. Leipzig 1854, p. 148. 7) earth more cultivating than in the latter.“ („An Essay on the Governing Causes of the Natural Rate of Interest. Lond. 1750“, p. 60.) Der Verfasser dieser epochemachenden anonymen Schrift ist J. Massey. Hume nahm daraus seine Zinstheorie.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/523
Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/523>, abgerufen am 26.04.2024.