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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.

Umgekehrt kann auch ein belastender Verwaltungsakt ergehen
ohne gesetzliche Grundlage auf Grund der Einwilligung des
Betroffenen
. Der Vorbehalt des Gesetzes, wie er namentlich in
den sogenannten Freiheitsrechten formuliert wird, ist zu Gunsten des
Einzelnen gemeint und wirkt für ihn; eine Verletzung dieses Vor-
behaltes zu seinem Nachteil ist ein Unrecht gegen ihn. Die Freiheit
selbst wäre aber verleugnet, wenn dieser Schutz unbedingt gemeint
wäre; eine Verfügungsfähigkeit des Geschützten muss bestehen bleiben,
die denn auch in gewissen Grenzen anerkannt ist behufs Übernahme
von persönlichen Pflichten, Zahlungsverbindlichkeiten und dgl. In-
sofern haben die verfassungsmässigen Vorbehalte, welche die Be-
lastung ohne Gesetz ausschliessen, die stillschweigende Klausel: es
sei denn, dass der Betroffene zulässiger Weise seine Einwilligung
erklärt. So entstehen die Verwaltungsakte auf Unter-
werfung
. Die Unterwerfung ersetzt lediglich die Ermächtigung des
Gesetzes und räumt damit die Rechtsschranke weg, welche der ver-
fassungsmässige Vorbehalt sonst entgegen gestellt hätte. Der Ver-
waltungsakt wird frei und wirkt nun wieder bindend durch sich
selbst5.

5 Hauptbeispiel: die Anstellung im Staatsdienst. Grotefend, Preuss. St.R.
I S. 53, drückt das wieder so aus: "Es giebt eine ganze Reihe von Rechtssätzen
auf dem Gebiete der Staatsverwaltung, welche ... Pflichten nur demjenigen auf-
erlegen, welcher in das Rechtsverhältnis eintreten will, z. B. das Beamtenverhältnis".
Aber nicht der Rechtssatz legt die Pflicht auf, sondern der Verwaltungsakt der
Anstellung, der stattfinden kann, auch ohne eine gesetzliche Ordnung der Begrün-
dung des Staatsdienstverhältnisses hinter sich zu haben. Die Grenze der Zulässig-
keit solcher Unterwerfungen ist insofern wichtig, als der Akt, der den Einzelnen
belastet, trotz der Unterwerfung als gegen den verfassungsmässigen Vorbehalt ver-
stossend und ungültig anzusehen wäre, wenn er diese Grenze überschreitet. Dass
eine Grenze besteht, ist offenbar; ein Beispiel unten § 21 Note 19. Aber wo liegt
sie? Da ist nun folgendes zu beachten. Eine Grenze, bis zu welcher der Einzelne
über seine Freiheit verfügen kann, kennt auch der civilrechtliche Vertrag. Lebens-
längliche Dienstmiete z. B. wäre ungültig, und auch sonst würden Verpflichtungen,
die von dem Üblichen ausschweifend abwichen, als contra bonos mores nicht an-
erkannt werden. Die öffentlichrechtlichen Verwaltungsakte auf Unterwerfung halten
sich nun in ihrem stofflichen Inhalt durchweg an das, was auch ein civilrecht-
licher Vertrag an Verpflichtungen, Belastungen, Abtretungen auferlegen könnte.
Deshalb führen sie die Bezeichnung Vertrag, obwohl sie ja keine Verträge im
strengen Sinne des Wortes sind. Zum Unterschied von den echten Verträgen des
Civilrechts spricht man von einem öffentlichrechtlichen Vertrag. Soweit
eine solche stoffliche Anlehnung an einen entsprechenden civilrechtlichen Vertrag
nicht möglich wäre, müsste auch die Zulässigkeit einer Unterwerfung und somit
die Gültigkeit eines Aktes auf Unterwerfung bestritten werden können. Darin liegt
die Wichtigkeit des Begriffes des öffentlichrechtlichen Vertrags. Vgl. übrigens
unten § 11 Note 3.
Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.

Umgekehrt kann auch ein belastender Verwaltungsakt ergehen
ohne gesetzliche Grundlage auf Grund der Einwilligung des
Betroffenen
. Der Vorbehalt des Gesetzes, wie er namentlich in
den sogenannten Freiheitsrechten formuliert wird, ist zu Gunsten des
Einzelnen gemeint und wirkt für ihn; eine Verletzung dieses Vor-
behaltes zu seinem Nachteil ist ein Unrecht gegen ihn. Die Freiheit
selbst wäre aber verleugnet, wenn dieser Schutz unbedingt gemeint
wäre; eine Verfügungsfähigkeit des Geschützten muſs bestehen bleiben,
die denn auch in gewissen Grenzen anerkannt ist behufs Übernahme
von persönlichen Pflichten, Zahlungsverbindlichkeiten und dgl. In-
sofern haben die verfassungsmäſsigen Vorbehalte, welche die Be-
lastung ohne Gesetz ausschlieſsen, die stillschweigende Klausel: es
sei denn, daſs der Betroffene zulässiger Weise seine Einwilligung
erklärt. So entstehen die Verwaltungsakte auf Unter-
werfung
. Die Unterwerfung ersetzt lediglich die Ermächtigung des
Gesetzes und räumt damit die Rechtsschranke weg, welche der ver-
fassungsmäſsige Vorbehalt sonst entgegen gestellt hätte. Der Ver-
waltungsakt wird frei und wirkt nun wieder bindend durch sich
selbst5.

5 Hauptbeispiel: die Anstellung im Staatsdienst. Grotefend, Preuſs. St.R.
I S. 53, drückt das wieder so aus: „Es giebt eine ganze Reihe von Rechtssätzen
auf dem Gebiete der Staatsverwaltung, welche … Pflichten nur demjenigen auf-
erlegen, welcher in das Rechtsverhältnis eintreten will, z. B. das Beamtenverhältnis“.
Aber nicht der Rechtssatz legt die Pflicht auf, sondern der Verwaltungsakt der
Anstellung, der stattfinden kann, auch ohne eine gesetzliche Ordnung der Begrün-
dung des Staatsdienstverhältnisses hinter sich zu haben. Die Grenze der Zulässig-
keit solcher Unterwerfungen ist insofern wichtig, als der Akt, der den Einzelnen
belastet, trotz der Unterwerfung als gegen den verfassungsmäſsigen Vorbehalt ver-
stoſsend und ungültig anzusehen wäre, wenn er diese Grenze überschreitet. Daſs
eine Grenze besteht, ist offenbar; ein Beispiel unten § 21 Note 19. Aber wo liegt
sie? Da ist nun folgendes zu beachten. Eine Grenze, bis zu welcher der Einzelne
über seine Freiheit verfügen kann, kennt auch der civilrechtliche Vertrag. Lebens-
längliche Dienstmiete z. B. wäre ungültig, und auch sonst würden Verpflichtungen,
die von dem Üblichen ausschweifend abwichen, als contra bonos mores nicht an-
erkannt werden. Die öffentlichrechtlichen Verwaltungsakte auf Unterwerfung halten
sich nun in ihrem stofflichen Inhalt durchweg an das, was auch ein civilrecht-
licher Vertrag an Verpflichtungen, Belastungen, Abtretungen auferlegen könnte.
Deshalb führen sie die Bezeichnung Vertrag, obwohl sie ja keine Verträge im
strengen Sinne des Wortes sind. Zum Unterschied von den echten Verträgen des
Civilrechts spricht man von einem öffentlichrechtlichen Vertrag. Soweit
eine solche stoffliche Anlehnung an einen entsprechenden civilrechtlichen Vertrag
nicht möglich wäre, müſste auch die Zulässigkeit einer Unterwerfung und somit
die Gültigkeit eines Aktes auf Unterwerfung bestritten werden können. Darin liegt
die Wichtigkeit des Begriffes des öffentlichrechtlichen Vertrags. Vgl. übrigens
unten § 11 Note 3.
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[98/0118] Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. Umgekehrt kann auch ein belastender Verwaltungsakt ergehen ohne gesetzliche Grundlage auf Grund der Einwilligung des Betroffenen. Der Vorbehalt des Gesetzes, wie er namentlich in den sogenannten Freiheitsrechten formuliert wird, ist zu Gunsten des Einzelnen gemeint und wirkt für ihn; eine Verletzung dieses Vor- behaltes zu seinem Nachteil ist ein Unrecht gegen ihn. Die Freiheit selbst wäre aber verleugnet, wenn dieser Schutz unbedingt gemeint wäre; eine Verfügungsfähigkeit des Geschützten muſs bestehen bleiben, die denn auch in gewissen Grenzen anerkannt ist behufs Übernahme von persönlichen Pflichten, Zahlungsverbindlichkeiten und dgl. In- sofern haben die verfassungsmäſsigen Vorbehalte, welche die Be- lastung ohne Gesetz ausschlieſsen, die stillschweigende Klausel: es sei denn, daſs der Betroffene zulässiger Weise seine Einwilligung erklärt. So entstehen die Verwaltungsakte auf Unter- werfung. Die Unterwerfung ersetzt lediglich die Ermächtigung des Gesetzes und räumt damit die Rechtsschranke weg, welche der ver- fassungsmäſsige Vorbehalt sonst entgegen gestellt hätte. Der Ver- waltungsakt wird frei und wirkt nun wieder bindend durch sich selbst 5. 5 Hauptbeispiel: die Anstellung im Staatsdienst. Grotefend, Preuſs. St.R. I S. 53, drückt das wieder so aus: „Es giebt eine ganze Reihe von Rechtssätzen auf dem Gebiete der Staatsverwaltung, welche … Pflichten nur demjenigen auf- erlegen, welcher in das Rechtsverhältnis eintreten will, z. B. das Beamtenverhältnis“. Aber nicht der Rechtssatz legt die Pflicht auf, sondern der Verwaltungsakt der Anstellung, der stattfinden kann, auch ohne eine gesetzliche Ordnung der Begrün- dung des Staatsdienstverhältnisses hinter sich zu haben. Die Grenze der Zulässig- keit solcher Unterwerfungen ist insofern wichtig, als der Akt, der den Einzelnen belastet, trotz der Unterwerfung als gegen den verfassungsmäſsigen Vorbehalt ver- stoſsend und ungültig anzusehen wäre, wenn er diese Grenze überschreitet. Daſs eine Grenze besteht, ist offenbar; ein Beispiel unten § 21 Note 19. Aber wo liegt sie? Da ist nun folgendes zu beachten. Eine Grenze, bis zu welcher der Einzelne über seine Freiheit verfügen kann, kennt auch der civilrechtliche Vertrag. Lebens- längliche Dienstmiete z. B. wäre ungültig, und auch sonst würden Verpflichtungen, die von dem Üblichen ausschweifend abwichen, als contra bonos mores nicht an- erkannt werden. Die öffentlichrechtlichen Verwaltungsakte auf Unterwerfung halten sich nun in ihrem stofflichen Inhalt durchweg an das, was auch ein civilrecht- licher Vertrag an Verpflichtungen, Belastungen, Abtretungen auferlegen könnte. Deshalb führen sie die Bezeichnung Vertrag, obwohl sie ja keine Verträge im strengen Sinne des Wortes sind. Zum Unterschied von den echten Verträgen des Civilrechts spricht man von einem öffentlichrechtlichen Vertrag. Soweit eine solche stoffliche Anlehnung an einen entsprechenden civilrechtlichen Vertrag nicht möglich wäre, müſste auch die Zulässigkeit einer Unterwerfung und somit die Gültigkeit eines Aktes auf Unterwerfung bestritten werden können. Darin liegt die Wichtigkeit des Begriffes des öffentlichrechtlichen Vertrags. Vgl. übrigens unten § 11 Note 3.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/118>, abgerufen am 26.04.2024.