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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen.
bestellt ist, Verwaltungsrechtspflege zu üben. Aus der Art, wie das Gesetz
die Verwaltungsstreitsachen bestimmt, erhalten diese ihre Besonder-
heiten nach verschiedenen Richtungen.

1. Die bürgerliche Rechtsstreitigkeit wie die Strafsache haben
ihren natürlichen selbstverständlichen Umfang: sobald die Obrigkeit
im Civil- und Strafrecht bestimmen soll, was Rechtens ist, geschieht
es in Form der Rechtspflege. Auf dem Gebiete der Verwaltung da-
gegen ist das Natürliche, von selbst Gegebene dafür der einfache Ver-
waltungsakt; er bleibt auch die Regel und das Gesetz trifft immer
nur eine Auswahl von Sachen, welche statt dessen in Form der Ver-
waltungsrechtspflege zu erledigen sind.

Diese Auswahl kann es in der Weise treffen, dass es die Ver-
waltungsstreitsachen nach gewissen allgemeinen Merkmalen
bezeichnet. Die Merkmale werden der rechtlichen Gestalt des zu be-
handelnden Verhältnisses entnommen und gern so bestimmt, dass eine
Rechtsprechung vorzunehmen ist; doch ist das keineswegs ausschliess-
lich der Fall. Es können aber auch die zur Verwaltungsrechtspflege
bestimmten Arten von Sachen bezeichnet werden nach dem be-
sonderen Inhalt des Verhältnisses. Da bekommt sie dann ihren
Stoff nicht durch einen allgemeinen Grundsatz, sondern durch eine
Aufzählung der einzelnen Gegenstände3. Auch hierbei können
die Fälle der Rechtsprechung bevorzugt werden; Fälle des freien Er-
messens mischen sich nur verhältnismässig leichter hinein. Ein tief-
gehender Gegensatz besteht zwischen den beiden Verfahrensarten nicht;
eine Auswahl bedeuten sie beide. Thatsächlich erscheinen sie in
unseren Gesetzgebungen gemischt: es wird bald diese, bald jene
bevorzugt und grundsätzlich befolgt; dazwischen aber bedient man
sich wohl auch der anderen4.

Mit diesem Gegensatz zur Civilrechtspflege, der sich in der Aus-
wahl ihres Stoffes kundgiebt, hängt eine andere Eigentümlichkeit der

3 Die sogenannte Enumerations-, Taxations-, Fixationsmethode.
4 Das preuss. Recht giebt meist Einzelaufzählung, daneben aber das allgemeine
Rechtsinstitut der Anfechtungsklage gegen polizeiliche Verfügungen (L.V.G. § 127).
Das bayr. Recht durchbricht seine Aufzählung durch den allgemeinen Satz, dass
alle diese Sachen nur soweit zur Verwaltungsrechtspflege gehören, als sie Recht-
sprechungsfragen enthalten. Umgekehrt haben württemb., österreich., franz. Recht
einen allgemeinen Grundsatz, wonach sich bestimmt, was zur Verwaltungsrechts-
pflege gehört, zählen aber daneben wieder einzelne Sachen auf, die ihr unabhängig
davon zugewiesen sind (Würt. Ges. v. 16. Dez. 1876 Art. 10; Ulbrich, Öster.
St.R. S. 449 ff.; Theorie des Franz. V.R. S. 110).
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§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen.
bestellt ist, Verwaltungsrechtspflege zu üben. Aus der Art, wie das Gesetz
die Verwaltungsstreitsachen bestimmt, erhalten diese ihre Besonder-
heiten nach verschiedenen Richtungen.

1. Die bürgerliche Rechtsstreitigkeit wie die Strafsache haben
ihren natürlichen selbstverständlichen Umfang: sobald die Obrigkeit
im Civil- und Strafrecht bestimmen soll, was Rechtens ist, geschieht
es in Form der Rechtspflege. Auf dem Gebiete der Verwaltung da-
gegen ist das Natürliche, von selbst Gegebene dafür der einfache Ver-
waltungsakt; er bleibt auch die Regel und das Gesetz trifft immer
nur eine Auswahl von Sachen, welche statt dessen in Form der Ver-
waltungsrechtspflege zu erledigen sind.

Diese Auswahl kann es in der Weise treffen, daſs es die Ver-
waltungsstreitsachen nach gewissen allgemeinen Merkmalen
bezeichnet. Die Merkmale werden der rechtlichen Gestalt des zu be-
handelnden Verhältnisses entnommen und gern so bestimmt, daſs eine
Rechtsprechung vorzunehmen ist; doch ist das keineswegs ausschlieſs-
lich der Fall. Es können aber auch die zur Verwaltungsrechtspflege
bestimmten Arten von Sachen bezeichnet werden nach dem be-
sonderen Inhalt des Verhältnisses. Da bekommt sie dann ihren
Stoff nicht durch einen allgemeinen Grundsatz, sondern durch eine
Aufzählung der einzelnen Gegenstände3. Auch hierbei können
die Fälle der Rechtsprechung bevorzugt werden; Fälle des freien Er-
messens mischen sich nur verhältnismäſsig leichter hinein. Ein tief-
gehender Gegensatz besteht zwischen den beiden Verfahrensarten nicht;
eine Auswahl bedeuten sie beide. Thatsächlich erscheinen sie in
unseren Gesetzgebungen gemischt: es wird bald diese, bald jene
bevorzugt und grundsätzlich befolgt; dazwischen aber bedient man
sich wohl auch der anderen4.

Mit diesem Gegensatz zur Civilrechtspflege, der sich in der Aus-
wahl ihres Stoffes kundgiebt, hängt eine andere Eigentümlichkeit der

3 Die sogenannte Enumerations-, Taxations-, Fixationsmethode.
4 Das preuſs. Recht giebt meist Einzelaufzählung, daneben aber das allgemeine
Rechtsinstitut der Anfechtungsklage gegen polizeiliche Verfügungen (L.V.G. § 127).
Das bayr. Recht durchbricht seine Aufzählung durch den allgemeinen Satz, daſs
alle diese Sachen nur soweit zur Verwaltungsrechtspflege gehören, als sie Recht-
sprechungsfragen enthalten. Umgekehrt haben württemb., österreich., franz. Recht
einen allgemeinen Grundsatz, wonach sich bestimmt, was zur Verwaltungsrechts-
pflege gehört, zählen aber daneben wieder einzelne Sachen auf, die ihr unabhängig
davon zugewiesen sind (Würt. Ges. v. 16. Dez. 1876 Art. 10; Ulbrich, Öster.
St.R. S. 449 ff.; Theorie des Franz. V.R. S. 110).
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[179/0199] § 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen. bestellt ist, Verwaltungsrechtspflege zu üben. Aus der Art, wie das Gesetz die Verwaltungsstreitsachen bestimmt, erhalten diese ihre Besonder- heiten nach verschiedenen Richtungen. 1. Die bürgerliche Rechtsstreitigkeit wie die Strafsache haben ihren natürlichen selbstverständlichen Umfang: sobald die Obrigkeit im Civil- und Strafrecht bestimmen soll, was Rechtens ist, geschieht es in Form der Rechtspflege. Auf dem Gebiete der Verwaltung da- gegen ist das Natürliche, von selbst Gegebene dafür der einfache Ver- waltungsakt; er bleibt auch die Regel und das Gesetz trifft immer nur eine Auswahl von Sachen, welche statt dessen in Form der Ver- waltungsrechtspflege zu erledigen sind. Diese Auswahl kann es in der Weise treffen, daſs es die Ver- waltungsstreitsachen nach gewissen allgemeinen Merkmalen bezeichnet. Die Merkmale werden der rechtlichen Gestalt des zu be- handelnden Verhältnisses entnommen und gern so bestimmt, daſs eine Rechtsprechung vorzunehmen ist; doch ist das keineswegs ausschlieſs- lich der Fall. Es können aber auch die zur Verwaltungsrechtspflege bestimmten Arten von Sachen bezeichnet werden nach dem be- sonderen Inhalt des Verhältnisses. Da bekommt sie dann ihren Stoff nicht durch einen allgemeinen Grundsatz, sondern durch eine Aufzählung der einzelnen Gegenstände 3. Auch hierbei können die Fälle der Rechtsprechung bevorzugt werden; Fälle des freien Er- messens mischen sich nur verhältnismäſsig leichter hinein. Ein tief- gehender Gegensatz besteht zwischen den beiden Verfahrensarten nicht; eine Auswahl bedeuten sie beide. Thatsächlich erscheinen sie in unseren Gesetzgebungen gemischt: es wird bald diese, bald jene bevorzugt und grundsätzlich befolgt; dazwischen aber bedient man sich wohl auch der anderen 4. Mit diesem Gegensatz zur Civilrechtspflege, der sich in der Aus- wahl ihres Stoffes kundgiebt, hängt eine andere Eigentümlichkeit der 3 Die sogenannte Enumerations-, Taxations-, Fixationsmethode. 4 Das preuſs. Recht giebt meist Einzelaufzählung, daneben aber das allgemeine Rechtsinstitut der Anfechtungsklage gegen polizeiliche Verfügungen (L.V.G. § 127). Das bayr. Recht durchbricht seine Aufzählung durch den allgemeinen Satz, daſs alle diese Sachen nur soweit zur Verwaltungsrechtspflege gehören, als sie Recht- sprechungsfragen enthalten. Umgekehrt haben württemb., österreich., franz. Recht einen allgemeinen Grundsatz, wonach sich bestimmt, was zur Verwaltungsrechts- pflege gehört, zählen aber daneben wieder einzelne Sachen auf, die ihr unabhängig davon zugewiesen sind (Würt. Ges. v. 16. Dez. 1876 Art. 10; Ulbrich, Öster. St.R. S. 449 ff.; Theorie des Franz. V.R. S. 110). 12*

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/199>, abgerufen am 26.04.2024.