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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 29. Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht.

Das Gesetz kann den Erlass geradezu vorschreiben für den Fall,
dass bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Es kann auch dem
freien Ermessen der Behörde Spielraum geben, um unter solchen Vor-
aussetzungen den Erlass zu gewähren oder zu versagen, nach Rück-
sichten der Billigkeit einerseits, des Finanzinteresses andererseits.

Das macht für den Steuerpflichtigen, der den Erlass be-
gehrt,
einen bedeutsamen Unterschied.

Im ersteren Fall hat er ein Recht darauf; für die Geltendmachung
des Erlassanspruches wird ein Rechtsweg in Beschwerde oder Klage
und förmlichem Prozessverfahren eröffnet sein; notwendig ist das nicht
(oben S. 148). Im zweiten Fall handelt es sich um eine blosse
Bitte, ein Anrufen der pflichtgemässen Billigkeitserwägungen der Be-
hörde, das im reinen Verwaltungsverfahren zur Erledigung zu kommen
pflegt22.

Ein Steuererlass, dem die gesetzliche Grundlage fehlt, ist rechts-
ungültig, gleichviel von welcher Stelle er ausging. Das bedeutet eine
Nichtigkeit nur dann, wenn der Akt ganz ausserhalb der allgemeinen
Zuständigkeit des Erlassenden lag. Abgesehen davon bleibt auch der
ungültige Akt rechtswirksam, bis er zuständigerweise wieder aufgehoben
wird. Dem Steuerpflichtigen wird selbstverständlich kein Rechtsmittel
gegeben sein, um diese Aufhebung zu bewirken. Und wenn der un-
gültige Erlass vom Fürsten selbst ausgegangen ist, so wird, wenn nicht
etwa besondere Nachprüfungsrechte dafür geordnet sind, niemand den
Akt für ungültig erklären können, als er selbst, indem er ihn zurück-
nimmt. Behörden und Volksvertretung können darauf hin zu wirken
suchen; der Begünstigte seinerseits hat kein Recht auf Aufrecht-
erhaltung und ist nicht verletzt durch die Zurücknahme23. Dass der

22 Über den Unterschied der beiden Fälle: Seydel, Bayr. St.R. IV S. 201 ff.
S. 207. Tabaksteuerges. § 24 Abs. 3 unterscheidet sie durch die Ausdrücke:
ein Steuererlass "soll" eintreten und "kann" eintreten. Wenn Seydel, a. a. O.
S. 207. den zweiten Fall als "gnadenweise Bewilligung" bezeichnet, so ist das zu
viel gesagt. Gnade setzt voraus, dass, der sie übt, rechtlich nicht verantwortlich ist
für diesen Akt.
23 Joel in Annalen 1891 S. 418 spricht sich dahin aus: "dass der Unterthan,
welchem dergestalt die Steuer von der Krone allein ohne rechtliche Befugnis er-
lassen ist, bei Versagung der Genehmigung des Landtages zur Zahlung der Steuer
nachträglich angehalten werden kann". Soll die gewöhnliche Steuerbehörde den
Akt des Königs als nichtig behandeln dürfen? Der König ist in allen Verwaltungs-
sachen auf dem Gebiet seiner allgemeinen Zuständigkeit; zur selbständigen Nach-
prüfung seiner Akte aber sind diese Behörden nicht berufen. Bei einem Eingriff
in die Justiz wäre es etwas anderes.
§ 29. Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht.

Das Gesetz kann den Erlaſs geradezu vorschreiben für den Fall,
daſs bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Es kann auch dem
freien Ermessen der Behörde Spielraum geben, um unter solchen Vor-
aussetzungen den Erlaſs zu gewähren oder zu versagen, nach Rück-
sichten der Billigkeit einerseits, des Finanzinteresses andererseits.

Das macht für den Steuerpflichtigen, der den Erlaſs be-
gehrt,
einen bedeutsamen Unterschied.

Im ersteren Fall hat er ein Recht darauf; für die Geltendmachung
des Erlaſsanspruches wird ein Rechtsweg in Beschwerde oder Klage
und förmlichem Prozeſsverfahren eröffnet sein; notwendig ist das nicht
(oben S. 148). Im zweiten Fall handelt es sich um eine bloſse
Bitte, ein Anrufen der pflichtgemäſsen Billigkeitserwägungen der Be-
hörde, das im reinen Verwaltungsverfahren zur Erledigung zu kommen
pflegt22.

Ein Steuererlaſs, dem die gesetzliche Grundlage fehlt, ist rechts-
ungültig, gleichviel von welcher Stelle er ausging. Das bedeutet eine
Nichtigkeit nur dann, wenn der Akt ganz auſserhalb der allgemeinen
Zuständigkeit des Erlassenden lag. Abgesehen davon bleibt auch der
ungültige Akt rechtswirksam, bis er zuständigerweise wieder aufgehoben
wird. Dem Steuerpflichtigen wird selbstverständlich kein Rechtsmittel
gegeben sein, um diese Aufhebung zu bewirken. Und wenn der un-
gültige Erlaſs vom Fürsten selbst ausgegangen ist, so wird, wenn nicht
etwa besondere Nachprüfungsrechte dafür geordnet sind, niemand den
Akt für ungültig erklären können, als er selbst, indem er ihn zurück-
nimmt. Behörden und Volksvertretung können darauf hin zu wirken
suchen; der Begünstigte seinerseits hat kein Recht auf Aufrecht-
erhaltung und ist nicht verletzt durch die Zurücknahme23. Daſs der

22 Über den Unterschied der beiden Fälle: Seydel, Bayr. St.R. IV S. 201 ff.
S. 207. Tabaksteuerges. § 24 Abs. 3 unterscheidet sie durch die Ausdrücke:
ein Steuererlaſs „soll“ eintreten und „kann“ eintreten. Wenn Seydel, a. a. O.
S. 207. den zweiten Fall als „gnadenweise Bewilligung“ bezeichnet, so ist das zu
viel gesagt. Gnade setzt voraus, daſs, der sie übt, rechtlich nicht verantwortlich ist
für diesen Akt.
23 Joël in Annalen 1891 S. 418 spricht sich dahin aus: „daſs der Unterthan,
welchem dergestalt die Steuer von der Krone allein ohne rechtliche Befugnis er-
lassen ist, bei Versagung der Genehmigung des Landtages zur Zahlung der Steuer
nachträglich angehalten werden kann“. Soll die gewöhnliche Steuerbehörde den
Akt des Königs als nichtig behandeln dürfen? Der König ist in allen Verwaltungs-
sachen auf dem Gebiet seiner allgemeinen Zuständigkeit; zur selbständigen Nach-
prüfung seiner Akte aber sind diese Behörden nicht berufen. Bei einem Eingriff
in die Justiz wäre es etwas anderes.
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[431/0451] § 29. Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht. Das Gesetz kann den Erlaſs geradezu vorschreiben für den Fall, daſs bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Es kann auch dem freien Ermessen der Behörde Spielraum geben, um unter solchen Vor- aussetzungen den Erlaſs zu gewähren oder zu versagen, nach Rück- sichten der Billigkeit einerseits, des Finanzinteresses andererseits. Das macht für den Steuerpflichtigen, der den Erlaſs be- gehrt, einen bedeutsamen Unterschied. Im ersteren Fall hat er ein Recht darauf; für die Geltendmachung des Erlaſsanspruches wird ein Rechtsweg in Beschwerde oder Klage und förmlichem Prozeſsverfahren eröffnet sein; notwendig ist das nicht (oben S. 148). Im zweiten Fall handelt es sich um eine bloſse Bitte, ein Anrufen der pflichtgemäſsen Billigkeitserwägungen der Be- hörde, das im reinen Verwaltungsverfahren zur Erledigung zu kommen pflegt 22. Ein Steuererlaſs, dem die gesetzliche Grundlage fehlt, ist rechts- ungültig, gleichviel von welcher Stelle er ausging. Das bedeutet eine Nichtigkeit nur dann, wenn der Akt ganz auſserhalb der allgemeinen Zuständigkeit des Erlassenden lag. Abgesehen davon bleibt auch der ungültige Akt rechtswirksam, bis er zuständigerweise wieder aufgehoben wird. Dem Steuerpflichtigen wird selbstverständlich kein Rechtsmittel gegeben sein, um diese Aufhebung zu bewirken. Und wenn der un- gültige Erlaſs vom Fürsten selbst ausgegangen ist, so wird, wenn nicht etwa besondere Nachprüfungsrechte dafür geordnet sind, niemand den Akt für ungültig erklären können, als er selbst, indem er ihn zurück- nimmt. Behörden und Volksvertretung können darauf hin zu wirken suchen; der Begünstigte seinerseits hat kein Recht auf Aufrecht- erhaltung und ist nicht verletzt durch die Zurücknahme 23. Daſs der 22 Über den Unterschied der beiden Fälle: Seydel, Bayr. St.R. IV S. 201 ff. S. 207. Tabaksteuerges. § 24 Abs. 3 unterscheidet sie durch die Ausdrücke: ein Steuererlaſs „soll“ eintreten und „kann“ eintreten. Wenn Seydel, a. a. O. S. 207. den zweiten Fall als „gnadenweise Bewilligung“ bezeichnet, so ist das zu viel gesagt. Gnade setzt voraus, daſs, der sie übt, rechtlich nicht verantwortlich ist für diesen Akt. 23 Joël in Annalen 1891 S. 418 spricht sich dahin aus: „daſs der Unterthan, welchem dergestalt die Steuer von der Krone allein ohne rechtliche Befugnis er- lassen ist, bei Versagung der Genehmigung des Landtages zur Zahlung der Steuer nachträglich angehalten werden kann“. Soll die gewöhnliche Steuerbehörde den Akt des Königs als nichtig behandeln dürfen? Der König ist in allen Verwaltungs- sachen auf dem Gebiet seiner allgemeinen Zuständigkeit; zur selbständigen Nach- prüfung seiner Akte aber sind diese Behörden nicht berufen. Bei einem Eingriff in die Justiz wäre es etwas anderes.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/451>, abgerufen am 27.04.2024.