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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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solches Recht möglich machen können, und setzet
hinzu: "dieses alles ist neu und hart. Die er-
"sten Grundsätze werden weggeleugnet, und al-
"ler Streit hat ein Ende."

Ja wohl, gehet es um die ersten Grundsätze,
die nicht anerkannt werden wollen. -- Soll aber
deswegen aller Streit ein Ende haben? Sollen
denn Grundsätze niemals in Zweifel gezogen wer-
den? So können Männer aus der pythagori-
schen Schule in Ewigkeit streiten, woher ihr Leh-
rer zur güldenen Hüfte gekommen, wenn es nie-
mand wagen darf, zu untersuchen: ob auch Py-
thagoras überall eine güldene Hüfte habe?

Jedes Spiel hat seine Gesetze, jeder Wett-
kamf seine Regeln, nach welchen der Kampf-
richter urtheilt. Willst du den Einsatz, oder
den Kampfpreis davon tragen; so unterwirf dich
den Grundsätzen. Wer aber über die Theorie
der Spiele nachdenken will, kann allerdings die
Grundbegriffe selbst in Augenschein nehmen. So
auch vor Gericht. Jener Criminalrichter, der
einen Mörder zu richten hatte, brachte ihn zum
Geständnisse seines Verbrechens. Allein der
Ruchlose behauptete, er wisse keinen Grund,

warum

ſolches Recht moͤglich machen koͤnnen, und ſetzet
hinzu: „dieſes alles iſt neu und hart. Die er-
„ſten Grundſaͤtze werden weggeleugnet, und al-
„ler Streit hat ein Ende.“

Ja wohl, gehet es um die erſten Grundſaͤtze,
die nicht anerkannt werden wollen. — Soll aber
deswegen aller Streit ein Ende haben? Sollen
denn Grundſaͤtze niemals in Zweifel gezogen wer-
den? So koͤnnen Maͤnner aus der pythagori-
ſchen Schule in Ewigkeit ſtreiten, woher ihr Leh-
rer zur guͤldenen Huͤfte gekommen, wenn es nie-
mand wagen darf, zu unterſuchen: ob auch Py-
thagoras uͤberall eine guͤldene Huͤfte habe?

Jedes Spiel hat ſeine Geſetze, jeder Wett-
kamf ſeine Regeln, nach welchen der Kampf-
richter urtheilt. Willſt du den Einſatz, oder
den Kampfpreis davon tragen; ſo unterwirf dich
den Grundſaͤtzen. Wer aber uͤber die Theorie
der Spiele nachdenken will, kann allerdings die
Grundbegriffe ſelbſt in Augenſchein nehmen. So
auch vor Gericht. Jener Criminalrichter, der
einen Moͤrder zu richten hatte, brachte ihn zum
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[12/0114] ſolches Recht moͤglich machen koͤnnen, und ſetzet hinzu: „dieſes alles iſt neu und hart. Die er- „ſten Grundſaͤtze werden weggeleugnet, und al- „ler Streit hat ein Ende.“ Ja wohl, gehet es um die erſten Grundſaͤtze, die nicht anerkannt werden wollen. — Soll aber deswegen aller Streit ein Ende haben? Sollen denn Grundſaͤtze niemals in Zweifel gezogen wer- den? So koͤnnen Maͤnner aus der pythagori- ſchen Schule in Ewigkeit ſtreiten, woher ihr Leh- rer zur guͤldenen Huͤfte gekommen, wenn es nie- mand wagen darf, zu unterſuchen: ob auch Py- thagoras uͤberall eine guͤldene Huͤfte habe? Jedes Spiel hat ſeine Geſetze, jeder Wett- kamf ſeine Regeln, nach welchen der Kampf- richter urtheilt. Willſt du den Einſatz, oder den Kampfpreis davon tragen; ſo unterwirf dich den Grundſaͤtzen. Wer aber uͤber die Theorie der Spiele nachdenken will, kann allerdings die Grundbegriffe ſelbſt in Augenſchein nehmen. So auch vor Gericht. Jener Criminalrichter, der einen Moͤrder zu richten hatte, brachte ihn zum Geſtaͤndniſſe ſeines Verbrechens. Allein der Ruchloſe behauptete, er wiſſe keinen Grund, warum

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/114>, abgerufen am 29.04.2024.