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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Mit zwei Worten.
Am Gestade Palästina's, auf und nieder, Tag um Tag,
"London?" frug die Sarazenin, wo ein Schiff vor Anker lag.
"London!" bat sie lang vergebens, nimmer ward sie müd und zag,
Bis zuletzt an Bord sie brachte eines Bootes Ruderschlag.
Sie betrat das Deck des Seglers und ihr wurde nicht gewehrt.
Meer und Himmel. "London?" frug sie, von der Heimath abgekehrt,
Suchte, blickte, durch des Schiffers ausgestreckte Hand belehrt,
Nach den Küsten wo die Sonne sich in Abendgluth verzehrt ...
"Gilbert?" fragt die Sarazenin im Gedräng der großen Stadt,
Und die Menge lacht und spottet, bis sie dann Erbarmen hat.
"Tausend Gilbert giebt's in London!" Doch sie schreitet nimmer
matt.

"Labe dich mit Trank und Speise!" Doch sie wird von Thränen satt.
"Gilbert!" "Nichts als Gilbert? weißt du keine andern
Worte? nein?"

"Gilbert!" ... "Hört, das wird der weiland Pilger Gilbert
Becket sein --

Den gebräunt in Sklavenketten glüher Wüste Sonnenschein --
Dem die Bande löste heimlich eines Emirs Töchterlein --"
"Pilgrim Gilbert Becket!" dröhnt es, braust es längs der Themse
Strand.

Sieh, da kommt er ihr entgegen, von des Volkes Mund genannt,
Ueber seine Schwelle führt er, die das Ziel der Reise fand.
Liebe wandert mit zwei Worten gläubig über Meer und Land.

Mit zwei Worten.
Am Geſtade Paläſtina's, auf und nieder, Tag um Tag,
„London?“ frug die Sarazenin, wo ein Schiff vor Anker lag.
„London!“ bat ſie lang vergebens, nimmer ward ſie müd und zag,
Bis zuletzt an Bord ſie brachte eines Bootes Ruderſchlag.
Sie betrat das Deck des Seglers und ihr wurde nicht gewehrt.
Meer und Himmel. „London?“ frug ſie, von der Heimath abgekehrt,
Suchte, blickte, durch des Schiffers ausgeſtreckte Hand belehrt,
Nach den Küſten wo die Sonne ſich in Abendgluth verzehrt ...
„Gilbert?“ fragt die Sarazenin im Gedräng der großen Stadt,
Und die Menge lacht und ſpottet, bis ſie dann Erbarmen hat.
„Tauſend Gilbert giebt's in London!“ Doch ſie ſchreitet nimmer
matt.

„Labe dich mit Trank und Speiſe!“ Doch ſie wird von Thränen ſatt.
„Gilbert!“ „Nichts als Gilbert? weißt du keine andern
Worte? nein?“

„Gilbert!“ ... „Hört, das wird der weiland Pilger Gilbert
Becket ſein —

Den gebräunt in Sklavenketten glüher Wüſte Sonnenſchein —
Dem die Bande löste heimlich eines Emirs Töchterlein —“
„Pilgrim Gilbert Becket!“ dröhnt es, brauſt es längs der Themſe
Strand.

Sieh, da kommt er ihr entgegen, von des Volkes Mund genannt,
Ueber ſeine Schwelle führt er, die das Ziel der Reiſe fand.
Liebe wandert mit zwei Worten gläubig über Meer und Land.

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[238/0252] Mit zwei Worten. Am Geſtade Paläſtina's, auf und nieder, Tag um Tag, „London?“ frug die Sarazenin, wo ein Schiff vor Anker lag. „London!“ bat ſie lang vergebens, nimmer ward ſie müd und zag, Bis zuletzt an Bord ſie brachte eines Bootes Ruderſchlag. Sie betrat das Deck des Seglers und ihr wurde nicht gewehrt. Meer und Himmel. „London?“ frug ſie, von der Heimath abgekehrt, Suchte, blickte, durch des Schiffers ausgeſtreckte Hand belehrt, Nach den Küſten wo die Sonne ſich in Abendgluth verzehrt ... „Gilbert?“ fragt die Sarazenin im Gedräng der großen Stadt, Und die Menge lacht und ſpottet, bis ſie dann Erbarmen hat. „Tauſend Gilbert giebt's in London!“ Doch ſie ſchreitet nimmer matt. „Labe dich mit Trank und Speiſe!“ Doch ſie wird von Thränen ſatt. „Gilbert!“ „Nichts als Gilbert? weißt du keine andern Worte? nein?“ „Gilbert!“ ... „Hört, das wird der weiland Pilger Gilbert Becket ſein — Den gebräunt in Sklavenketten glüher Wüſte Sonnenſchein — Dem die Bande löste heimlich eines Emirs Töchterlein —“ „Pilgrim Gilbert Becket!“ dröhnt es, brauſt es längs der Themſe Strand. Sieh, da kommt er ihr entgegen, von des Volkes Mund genannt, Ueber ſeine Schwelle führt er, die das Ziel der Reiſe fand. Liebe wandert mit zwei Worten gläubig über Meer und Land.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/252>, abgerufen am 26.04.2024.