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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Es lächelt still, von schwerem Bann befreit,
In unverlorner erster Lieblichkeit.

Der Mörder tritt an ihre Seite dicht
Und dunkler träumt Medusens Angesicht.
Ihr ist, sie habe Haß empfunden schon,
Vor sich geschaudert, dumpf und bang gelitten,
Die Menschen habe scheu sie erst geflohn,
Dann ihnen nachgestellt mit Meuchlerschritten --
Sie sinnt was Unheilbares sie gequält,
Daß sie dem eignen Leben feind geworden
Und andres Leben sich ergötzt zu morden --
Sie sinnt umsonst. Ihr hält's der Traum verhehlt.
Die grause Larve, die sie lang geschreckt,
Ist wie mit einem Purpurtuch bedeckt.
Das Graun ist aufgelöst in Seligkeit,
Begonnen hat der Seele Feierzeit.
Der Dämmer herrscht. Das harte Licht verblich.
Als eine der Erlösten fühlt sie sich.
Sie fürchtet keines Schreckens Wiederkehr,
Sie weiß, die Qualen kommen nimmermehr,
Nein, nimmermehr, und nun ist Alles gut!
Sie liegt, den Hals gebogen, auf dem Rasen,
Sie hört die Hirtenflöte wieder blasen
Und lauscht. Sie zuckt. Sie windet sich. Sie ruht.

Es lächelt ſtill, von ſchwerem Bann befreit,
In unverlorner erſter Lieblichkeit.

Der Mörder tritt an ihre Seite dicht
Und dunkler träumt Meduſens Angeſicht.
Ihr iſt, ſie habe Haß empfunden ſchon,
Vor ſich geſchaudert, dumpf und bang gelitten,
Die Menſchen habe ſcheu ſie erſt geflohn,
Dann ihnen nachgeſtellt mit Meuchlerſchritten —
Sie ſinnt was Unheilbares ſie gequält,
Daß ſie dem eignen Leben feind geworden
Und andres Leben ſich ergötzt zu morden —
Sie ſinnt umſonſt. Ihr hält's der Traum verhehlt.
Die grauſe Larve, die ſie lang geſchreckt,
Iſt wie mit einem Purpurtuch bedeckt.
Das Graun iſt aufgelöſt in Seligkeit,
Begonnen hat der Seele Feierzeit.
Der Dämmer herrſcht. Das harte Licht verblich.
Als eine der Erlöſten fühlt ſie ſich.
Sie fürchtet keines Schreckens Wiederkehr,
Sie weiß, die Qualen kommen nimmermehr,
Nein, nimmermehr, und nun iſt Alles gut!
Sie liegt, den Hals gebogen, auf dem Raſen,
Sie hört die Hirtenflöte wieder blaſen
Und lauſcht. Sie zuckt. Sie windet ſich. Sie ruht.

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[189/0203] Es lächelt ſtill, von ſchwerem Bann befreit, In unverlorner erſter Lieblichkeit. Der Mörder tritt an ihre Seite dicht Und dunkler träumt Meduſens Angeſicht. Ihr iſt, ſie habe Haß empfunden ſchon, Vor ſich geſchaudert, dumpf und bang gelitten, Die Menſchen habe ſcheu ſie erſt geflohn, Dann ihnen nachgeſtellt mit Meuchlerſchritten — Sie ſinnt was Unheilbares ſie gequält, Daß ſie dem eignen Leben feind geworden Und andres Leben ſich ergötzt zu morden — Sie ſinnt umſonſt. Ihr hält's der Traum verhehlt. Die grauſe Larve, die ſie lang geſchreckt, Iſt wie mit einem Purpurtuch bedeckt. Das Graun iſt aufgelöſt in Seligkeit, Begonnen hat der Seele Feierzeit. Der Dämmer herrſcht. Das harte Licht verblich. Als eine der Erlöſten fühlt ſie ſich. Sie fürchtet keines Schreckens Wiederkehr, Sie weiß, die Qualen kommen nimmermehr, Nein, nimmermehr, und nun iſt Alles gut! Sie liegt, den Hals gebogen, auf dem Raſen, Sie hört die Hirtenflöte wieder blaſen Und lauſcht. Sie zuckt. Sie windet ſich. Sie ruht.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/203>, abgerufen am 26.04.2024.