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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Sie zerrt ein Mägdlein an das Licht,
Es kämpft ins dunkle Haus zurück,
Im jungen bangen Angesicht
Erräth er aller Himmel Glück.
"Hinweg! Die Amidei harrt!
Hinweg! Mein Kind ist keine Dirn!
Ihr blicket frech!" Der Jüngling starrt
Auf die gesenkte Mädchenstirn.
Der Wunsch ist Glut! Die Scham ist Glut!
Die hohe Doppelflamme loht!
Er streckt die Hand. Das höchste Gut
Ergreift er und ergreift den Tod.
"Frau, strafet mich nicht allzuschwer!
Das süße Haupt! Das blonde Haar!
Gewähret sie mir!" stammelt er.
"Ich führe stracks sie zum Altar!"
Den Ring der ihm die Hand bereift,
Der Amidei Trauungsring,
Hat rasend er sich abgestreift
Und schleudert ihn. Da rollt er. Kling ...
Jetzt kniet er im Capellenraum,
An Freveln und an Wonnen reich,
Zur Linken kniet sein sünd'ger Traum,
Wie Engel schön, wie Todte bleich.
Sie zerrt ein Mägdlein an das Licht,
Es kämpft ins dunkle Haus zurück,
Im jungen bangen Angeſicht
Erräth er aller Himmel Glück.
„Hinweg! Die Amidei harrt!
Hinweg! Mein Kind iſt keine Dirn!
Ihr blicket frech!“ Der Jüngling ſtarrt
Auf die geſenkte Mädchenſtirn.
Der Wunſch iſt Glut! Die Scham iſt Glut!
Die hohe Doppelflamme loht!
Er ſtreckt die Hand. Das höchſte Gut
Ergreift er und ergreift den Tod.
„Frau, ſtrafet mich nicht allzuſchwer!
Das ſüße Haupt! Das blonde Haar!
Gewähret ſie mir!“ ſtammelt er.
„Ich führe ſtracks ſie zum Altar!“
Den Ring der ihm die Hand bereift,
Der Amidei Trauungsring,
Hat raſend er ſich abgeſtreift
Und ſchleudert ihn. Da rollt er. Kling ...
Jetzt kniet er im Capellenraum,
An Freveln und an Wonnen reich,
Zur Linken kniet ſein ſünd'ger Traum,
Wie Engel ſchön, wie Todte bleich.
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[245/0259] Sie zerrt ein Mägdlein an das Licht, Es kämpft ins dunkle Haus zurück, Im jungen bangen Angeſicht Erräth er aller Himmel Glück. „Hinweg! Die Amidei harrt! Hinweg! Mein Kind iſt keine Dirn! Ihr blicket frech!“ Der Jüngling ſtarrt Auf die geſenkte Mädchenſtirn. Der Wunſch iſt Glut! Die Scham iſt Glut! Die hohe Doppelflamme loht! Er ſtreckt die Hand. Das höchſte Gut Ergreift er und ergreift den Tod. „Frau, ſtrafet mich nicht allzuſchwer! Das ſüße Haupt! Das blonde Haar! Gewähret ſie mir!“ ſtammelt er. „Ich führe ſtracks ſie zum Altar!“ Den Ring der ihm die Hand bereift, Der Amidei Trauungsring, Hat raſend er ſich abgeſtreift Und ſchleudert ihn. Da rollt er. Kling ... Jetzt kniet er im Capellenraum, An Freveln und an Wonnen reich, Zur Linken kniet ſein ſünd'ger Traum, Wie Engel ſchön, wie Todte bleich.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/259>, abgerufen am 26.04.2024.