Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

vielmehr, sie wisse sicher und gewiß, daß diese Nacht
sich Alles bei ihr lösen werde.

Der Präsident, der Manches zu erzählen wußte,
bemerkte etwas von Zerstreuung in den Mienen seiner
Zuhörer und vermißte Agnesen. "Schon gut," gab
er Nolten mit Lächeln zur Antwort, als dieser ihm
nur leichthin von einem kleinen Verdrusse sprach, den
er sich zugezogen, "recht so! das ist das unentbehr-
lichste Ferment der Brautzeit, das macht den süßen
Most etwas recent. Der Wein des Ehestands wird
Ihnen dadurch um nichts schlimmer gerathen."

Das Abendessen war vorbei. Man merkte nicht,
wie spät es bereits geworden. Die beiden Herren
saßen im Diskurs auf dem Sopha. Nannette und
Margot lasen zusammen in einem kleinen Kabinet,
das nur durch eine Thür von dem Zimmer geschieden
war, wo Agnes schlief.

Die Unterhaltung der Männer gerieth indeß auf
einen seltnen Gegenstand. Der Präsident nämlich
hatte gelegentlich von einem üblen Streich gesprochen,
den ihm der Aberglaube des Volks und die List eines
Pachters hätte spielen können. Es handelte sich um
ein sehr wohlerhaltenes Wohnhaus auf einem Bau-
ernhofe, den er, als Bestandherr, noch gestern einge-
sehn. Das Haus war wegen Spuckerei verrufen, so
daß Niemand mehr drin wohnen wollte. Der kluge
Pachter sah seinen Vortheil bei dieser Thorheit, er
hatte dem Gebäude längst eine andere Bestimmung

vielmehr, ſie wiſſe ſicher und gewiß, daß dieſe Nacht
ſich Alles bei ihr löſen werde.

Der Präſident, der Manches zu erzählen wußte,
bemerkte etwas von Zerſtreuung in den Mienen ſeiner
Zuhörer und vermißte Agneſen. „Schon gut,“ gab
er Nolten mit Lächeln zur Antwort, als dieſer ihm
nur leichthin von einem kleinen Verdruſſe ſprach, den
er ſich zugezogen, „recht ſo! das iſt das unentbehr-
lichſte Ferment der Brautzeit, das macht den ſüßen
Moſt etwas recent. Der Wein des Eheſtands wird
Ihnen dadurch um nichts ſchlimmer gerathen.“

Das Abendeſſen war vorbei. Man merkte nicht,
wie ſpät es bereits geworden. Die beiden Herren
ſaßen im Diskurs auf dem Sopha. Nannette und
Margot laſen zuſammen in einem kleinen Kabinet,
das nur durch eine Thür von dem Zimmer geſchieden
war, wo Agnes ſchlief.

Die Unterhaltung der Männer gerieth indeß auf
einen ſeltnen Gegenſtand. Der Präſident nämlich
hatte gelegentlich von einem üblen Streich geſprochen,
den ihm der Aberglaube des Volks und die Liſt eines
Pachters hätte ſpielen können. Es handelte ſich um
ein ſehr wohlerhaltenes Wohnhaus auf einem Bau-
ernhofe, den er, als Beſtandherr, noch geſtern einge-
ſehn. Das Haus war wegen Spuckerei verrufen, ſo
daß Niemand mehr drin wohnen wollte. Der kluge
Pachter ſah ſeinen Vortheil bei dieſer Thorheit, er
hatte dem Gebäude längſt eine andere Beſtimmung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0255" n="569"/>
vielmehr, &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;e &#x017F;icher und gewiß, daß die&#x017F;e Nacht<lb/>
&#x017F;ich Alles bei ihr lö&#x017F;en werde.</p><lb/>
          <p>Der Prä&#x017F;ident, der Manches zu erzählen wußte,<lb/>
bemerkte etwas von Zer&#x017F;treuung in den Mienen &#x017F;einer<lb/>
Zuhörer und vermißte <hi rendition="#g">Agne&#x017F;en</hi>. &#x201E;Schon gut,&#x201C; gab<lb/>
er <hi rendition="#g">Nolten</hi> mit Lächeln zur Antwort, als die&#x017F;er ihm<lb/>
nur leichthin von einem kleinen Verdru&#x017F;&#x017F;e &#x017F;prach, den<lb/>
er &#x017F;ich zugezogen, &#x201E;recht &#x017F;o! das i&#x017F;t das unentbehr-<lb/>
lich&#x017F;te Ferment der Brautzeit, das macht den &#x017F;üßen<lb/>
Mo&#x017F;t etwas recent. Der Wein des Ehe&#x017F;tands wird<lb/>
Ihnen dadurch um nichts &#x017F;chlimmer gerathen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Das Abende&#x017F;&#x017F;en war vorbei. Man merkte nicht,<lb/>
wie &#x017F;pät es bereits geworden. Die beiden Herren<lb/>
&#x017F;aßen im Diskurs auf dem Sopha. <hi rendition="#g">Nannette</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Margot</hi> la&#x017F;en zu&#x017F;ammen in einem kleinen Kabinet,<lb/>
das nur durch eine Thür von dem Zimmer ge&#x017F;chieden<lb/>
war, wo <hi rendition="#g">Agnes</hi> &#x017F;chlief.</p><lb/>
          <p>Die Unterhaltung der Männer gerieth indeß auf<lb/>
einen &#x017F;eltnen Gegen&#x017F;tand. Der Prä&#x017F;ident nämlich<lb/>
hatte gelegentlich von einem üblen Streich ge&#x017F;prochen,<lb/>
den ihm der Aberglaube des Volks und die Li&#x017F;t eines<lb/>
Pachters hätte &#x017F;pielen können. Es handelte &#x017F;ich um<lb/>
ein &#x017F;ehr wohlerhaltenes Wohnhaus auf einem Bau-<lb/>
ernhofe, den er, als Be&#x017F;tandherr, noch ge&#x017F;tern einge-<lb/>
&#x017F;ehn. Das Haus war wegen Spuckerei verrufen, &#x017F;o<lb/>
daß Niemand mehr drin wohnen wollte. Der kluge<lb/>
Pachter &#x017F;ah &#x017F;einen Vortheil bei die&#x017F;er Thorheit, er<lb/>
hatte dem Gebäude läng&#x017F;t eine andere Be&#x017F;timmung<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[569/0255] vielmehr, ſie wiſſe ſicher und gewiß, daß dieſe Nacht ſich Alles bei ihr löſen werde. Der Präſident, der Manches zu erzählen wußte, bemerkte etwas von Zerſtreuung in den Mienen ſeiner Zuhörer und vermißte Agneſen. „Schon gut,“ gab er Nolten mit Lächeln zur Antwort, als dieſer ihm nur leichthin von einem kleinen Verdruſſe ſprach, den er ſich zugezogen, „recht ſo! das iſt das unentbehr- lichſte Ferment der Brautzeit, das macht den ſüßen Moſt etwas recent. Der Wein des Eheſtands wird Ihnen dadurch um nichts ſchlimmer gerathen.“ Das Abendeſſen war vorbei. Man merkte nicht, wie ſpät es bereits geworden. Die beiden Herren ſaßen im Diskurs auf dem Sopha. Nannette und Margot laſen zuſammen in einem kleinen Kabinet, das nur durch eine Thür von dem Zimmer geſchieden war, wo Agnes ſchlief. Die Unterhaltung der Männer gerieth indeß auf einen ſeltnen Gegenſtand. Der Präſident nämlich hatte gelegentlich von einem üblen Streich geſprochen, den ihm der Aberglaube des Volks und die Liſt eines Pachters hätte ſpielen können. Es handelte ſich um ein ſehr wohlerhaltenes Wohnhaus auf einem Bau- ernhofe, den er, als Beſtandherr, noch geſtern einge- ſehn. Das Haus war wegen Spuckerei verrufen, ſo daß Niemand mehr drin wohnen wollte. Der kluge Pachter ſah ſeinen Vortheil bei dieſer Thorheit, er hatte dem Gebäude längſt eine andere Beſtimmung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/255
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/255>, abgerufen am 01.05.2024.