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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Die Bekehrung im Alter.
dächtig, fliehet die Sünde aufs äußerste, und giebet den
Armen nach seinem Vermögen; er dient jedermann gern,
ist gelassen, barmherzig, liebreich und freundlich; er
glaubet alles was ihm die Lehrer unser Kirche sagen, und
seine Werke stimmen mit seinem Glauben überein; was
wollt ihr denn mehr von einen Christen verlangen? Es
kann dieses alles seyn, schloß Arist; allein glaubt mir,
nach funfzig Jahren kann sich kein Mensch bekehren.
Wenn Petron vor zwanzig Jahren so gewesen wäre, wie
er jetzt ist, da er auf sechzig hinan gehet: so wollte ich
ihn für einen Heiligen gehalten haben. Denket einmal
nach, der weiseste König auf Erden hatte in seinem Alter
nicht einmal so viel Kraft, daß er der grödsten Abgötte-
rey widerstehen konnte; wie unschuldig hat also Petron
zur Frömmigkeit kommen können, da er, nachdem seine
bösen Neigungen erstorben, und seine Leidenschaften in
einen tiefen Schlaf verfallen sind, derselben gar nicht wi-
derstehen können? Wo der Widerstand schwach ist, da
ist der Sieg geringe, und da ein alter Mann oftmals
nicht einmal so viel Kraft hat, daß er dem Reize einer
Klapperbüchse widerstehen kann, wie will er denn dem be-
ständig anziehenden Reize der Tugend widerstehen kön-
nen? Glaubet mir die beste Bekehrerin in der Welt, ist
die Faulheit; diese ist die wahre Zerstörerin aller Laster,
und wenn der Mensch nur erst so weit ist, daß seine Lei-
denschaften träge werden: so ist er gar bald fromm.
Stellet euch vor, Petron höre eine nicht gar zu allge-
meine Predigt, er würde dadurch gerührt, weil sein Herz
nicht widerstehet; dieser Mangel des Widerstandes aber
sey nicht die Frucht einer Ueberwindung, sondern eines
erschlaften Herzens, würdet ihr wohl sagen, Petron ha-
be sich bekehret? Jch habe noch keinen gesehen, der sich
in der Stärke seiner Leidenschaften ernsthaft gebessert hat.

Das

Die Bekehrung im Alter.
daͤchtig, fliehet die Suͤnde aufs aͤußerſte, und giebet den
Armen nach ſeinem Vermoͤgen; er dient jedermann gern,
iſt gelaſſen, barmherzig, liebreich und freundlich; er
glaubet alles was ihm die Lehrer unſer Kirche ſagen, und
ſeine Werke ſtimmen mit ſeinem Glauben uͤberein; was
wollt ihr denn mehr von einen Chriſten verlangen? Es
kann dieſes alles ſeyn, ſchloß Ariſt; allein glaubt mir,
nach funfzig Jahren kann ſich kein Menſch bekehren.
Wenn Petron vor zwanzig Jahren ſo geweſen waͤre, wie
er jetzt iſt, da er auf ſechzig hinan gehet: ſo wollte ich
ihn fuͤr einen Heiligen gehalten haben. Denket einmal
nach, der weiſeſte Koͤnig auf Erden hatte in ſeinem Alter
nicht einmal ſo viel Kraft, daß er der groͤdſten Abgoͤtte-
rey widerſtehen konnte; wie unſchuldig hat alſo Petron
zur Froͤmmigkeit kommen koͤnnen, da er, nachdem ſeine
boͤſen Neigungen erſtorben, und ſeine Leidenſchaften in
einen tiefen Schlaf verfallen ſind, derſelben gar nicht wi-
derſtehen koͤnnen? Wo der Widerſtand ſchwach iſt, da
iſt der Sieg geringe, und da ein alter Mann oftmals
nicht einmal ſo viel Kraft hat, daß er dem Reize einer
Klapperbuͤchſe widerſtehen kann, wie will er denn dem be-
ſtaͤndig anziehenden Reize der Tugend widerſtehen koͤn-
nen? Glaubet mir die beſte Bekehrerin in der Welt, iſt
die Faulheit; dieſe iſt die wahre Zerſtoͤrerin aller Laſter,
und wenn der Menſch nur erſt ſo weit iſt, daß ſeine Lei-
denſchaften traͤge werden: ſo iſt er gar bald fromm.
Stellet euch vor, Petron hoͤre eine nicht gar zu allge-
meine Predigt, er wuͤrde dadurch geruͤhrt, weil ſein Herz
nicht widerſtehet; dieſer Mangel des Widerſtandes aber
ſey nicht die Frucht einer Ueberwindung, ſondern eines
erſchlaften Herzens, wuͤrdet ihr wohl ſagen, Petron ha-
be ſich bekehret? Jch habe noch keinen geſehen, der ſich
in der Staͤrke ſeiner Leidenſchaften ernſthaft gebeſſert hat.

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[189/0201] Die Bekehrung im Alter. daͤchtig, fliehet die Suͤnde aufs aͤußerſte, und giebet den Armen nach ſeinem Vermoͤgen; er dient jedermann gern, iſt gelaſſen, barmherzig, liebreich und freundlich; er glaubet alles was ihm die Lehrer unſer Kirche ſagen, und ſeine Werke ſtimmen mit ſeinem Glauben uͤberein; was wollt ihr denn mehr von einen Chriſten verlangen? Es kann dieſes alles ſeyn, ſchloß Ariſt; allein glaubt mir, nach funfzig Jahren kann ſich kein Menſch bekehren. Wenn Petron vor zwanzig Jahren ſo geweſen waͤre, wie er jetzt iſt, da er auf ſechzig hinan gehet: ſo wollte ich ihn fuͤr einen Heiligen gehalten haben. Denket einmal nach, der weiſeſte Koͤnig auf Erden hatte in ſeinem Alter nicht einmal ſo viel Kraft, daß er der groͤdſten Abgoͤtte- rey widerſtehen konnte; wie unſchuldig hat alſo Petron zur Froͤmmigkeit kommen koͤnnen, da er, nachdem ſeine boͤſen Neigungen erſtorben, und ſeine Leidenſchaften in einen tiefen Schlaf verfallen ſind, derſelben gar nicht wi- derſtehen koͤnnen? Wo der Widerſtand ſchwach iſt, da iſt der Sieg geringe, und da ein alter Mann oftmals nicht einmal ſo viel Kraft hat, daß er dem Reize einer Klapperbuͤchſe widerſtehen kann, wie will er denn dem be- ſtaͤndig anziehenden Reize der Tugend widerſtehen koͤn- nen? Glaubet mir die beſte Bekehrerin in der Welt, iſt die Faulheit; dieſe iſt die wahre Zerſtoͤrerin aller Laſter, und wenn der Menſch nur erſt ſo weit iſt, daß ſeine Lei- denſchaften traͤge werden: ſo iſt er gar bald fromm. Stellet euch vor, Petron hoͤre eine nicht gar zu allge- meine Predigt, er wuͤrde dadurch geruͤhrt, weil ſein Herz nicht widerſtehet; dieſer Mangel des Widerſtandes aber ſey nicht die Frucht einer Ueberwindung, ſondern eines erſchlaften Herzens, wuͤrdet ihr wohl ſagen, Petron ha- be ſich bekehret? Jch habe noch keinen geſehen, der ſich in der Staͤrke ſeiner Leidenſchaften ernſthaft gebeſſert hat. Das

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/201>, abgerufen am 26.04.2024.