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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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entscheiden sind. Zweitens muß er seine strafende Gerechtigkeit
wirken lassen, wo es einer Thätigkeit derselben zur Wieder-
herstellung eines verletzten fremden Rechtes bedarf. -- In erster
Beziehung ist auf eine gerechte Weise zu bestimmen, welche
rechtliche Wirkungen fremdländischen Formen der Rechtsgeschäfte
einzuräumen seien, ob und wie weit die nach fremdem Gesetze
entstandenen Statusrechte diesseits anerkannt werden, nach
welchem Rechte im Auslande abgeschlossene Geschäfte oder im
Inlande mit Ausländern entstandene Verhältnisse sachlich zu
beurtheilen sind, welche Zwangskraft einem fremden gerichtlichen
Urtheile diesseits zukömmt u. s. w. -- Eine Forderung an die
strafrechtliche Thätigkeit des Staates oder wenigstens an eine
Beihülfe zu fremdstaatlicher Thätigkeit ist dagegen in solchen
Fällen vorhanden, wenn zwar der diesseitige Staat und seine
Bürger nicht verletzt worden sind, auch die fragliche Handlung
von einem Ausländer oder im Auslande begangen wurde, der
zunächst betheiligte Staat aber in thatsächlicher Unmöglichkeit
zur Herstellung der Rechtsordnung sich befindet, während diesseits
eine Einwirkung auf den Schuldigen möglich ist. Daher sind

a. fremde Flüchtige an den Staat auszuliefern, gegen
dessen Gesetze sie sich in schwerer Weise vergangen haben,
sobald ihre Schuld nachgewiesen oder wenigstens überwiegend
wahrscheinlich gemacht ist, auch nach den Einrichtungen des
betreffenden fremden Staates eine gerechte und menschliche Be-
handlung erwartet werden kann. Ausnahmen bestehen also
nicht nur gegenüber von barbarischen Staaten überhaupt, sondern
namentlich auch bei angeblich politischen Verbrechern, als bei
welchen das Unrecht der Unterliegenden keineswegs immer un-
zweifelhaft ist, auch nicht immer auf leidenschaftlose Gerechtigkeit
gezählt werden kann.

b. Eigene Unterthanen, welche im Auslande ein Ver-
brechen begangen, der Bestrafung desselben aber sich durch

entſcheiden ſind. Zweitens muß er ſeine ſtrafende Gerechtigkeit
wirken laſſen, wo es einer Thätigkeit derſelben zur Wieder-
herſtellung eines verletzten fremden Rechtes bedarf. — In erſter
Beziehung iſt auf eine gerechte Weiſe zu beſtimmen, welche
rechtliche Wirkungen fremdländiſchen Formen der Rechtsgeſchäfte
einzuräumen ſeien, ob und wie weit die nach fremdem Geſetze
entſtandenen Statusrechte dieſſeits anerkannt werden, nach
welchem Rechte im Auslande abgeſchloſſene Geſchäfte oder im
Inlande mit Ausländern entſtandene Verhältniſſe ſachlich zu
beurtheilen ſind, welche Zwangskraft einem fremden gerichtlichen
Urtheile dieſſeits zukömmt u. ſ. w. — Eine Forderung an die
ſtrafrechtliche Thätigkeit des Staates oder wenigſtens an eine
Beihülfe zu fremdſtaatlicher Thätigkeit iſt dagegen in ſolchen
Fällen vorhanden, wenn zwar der dieſſeitige Staat und ſeine
Bürger nicht verletzt worden ſind, auch die fragliche Handlung
von einem Ausländer oder im Auslande begangen wurde, der
zunächſt betheiligte Staat aber in thatſächlicher Unmöglichkeit
zur Herſtellung der Rechtsordnung ſich befindet, während dieſſeits
eine Einwirkung auf den Schuldigen möglich iſt. Daher ſind

a. fremde Flüchtige an den Staat auszuliefern, gegen
deſſen Geſetze ſie ſich in ſchwerer Weiſe vergangen haben,
ſobald ihre Schuld nachgewieſen oder wenigſtens überwiegend
wahrſcheinlich gemacht iſt, auch nach den Einrichtungen des
betreffenden fremden Staates eine gerechte und menſchliche Be-
handlung erwartet werden kann. Ausnahmen beſtehen alſo
nicht nur gegenüber von barbariſchen Staaten überhaupt, ſondern
namentlich auch bei angeblich politiſchen Verbrechern, als bei
welchen das Unrecht der Unterliegenden keineswegs immer un-
zweifelhaft iſt, auch nicht immer auf leidenſchaftloſe Gerechtigkeit
gezählt werden kann.

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[431/0445] entſcheiden ſind. Zweitens muß er ſeine ſtrafende Gerechtigkeit wirken laſſen, wo es einer Thätigkeit derſelben zur Wieder- herſtellung eines verletzten fremden Rechtes bedarf. — In erſter Beziehung iſt auf eine gerechte Weiſe zu beſtimmen, welche rechtliche Wirkungen fremdländiſchen Formen der Rechtsgeſchäfte einzuräumen ſeien, ob und wie weit die nach fremdem Geſetze entſtandenen Statusrechte dieſſeits anerkannt werden, nach welchem Rechte im Auslande abgeſchloſſene Geſchäfte oder im Inlande mit Ausländern entſtandene Verhältniſſe ſachlich zu beurtheilen ſind, welche Zwangskraft einem fremden gerichtlichen Urtheile dieſſeits zukömmt u. ſ. w. — Eine Forderung an die ſtrafrechtliche Thätigkeit des Staates oder wenigſtens an eine Beihülfe zu fremdſtaatlicher Thätigkeit iſt dagegen in ſolchen Fällen vorhanden, wenn zwar der dieſſeitige Staat und ſeine Bürger nicht verletzt worden ſind, auch die fragliche Handlung von einem Ausländer oder im Auslande begangen wurde, der zunächſt betheiligte Staat aber in thatſächlicher Unmöglichkeit zur Herſtellung der Rechtsordnung ſich befindet, während dieſſeits eine Einwirkung auf den Schuldigen möglich iſt. Daher ſind a. fremde Flüchtige an den Staat auszuliefern, gegen deſſen Geſetze ſie ſich in ſchwerer Weiſe vergangen haben, ſobald ihre Schuld nachgewieſen oder wenigſtens überwiegend wahrſcheinlich gemacht iſt, auch nach den Einrichtungen des betreffenden fremden Staates eine gerechte und menſchliche Be- handlung erwartet werden kann. Ausnahmen beſtehen alſo nicht nur gegenüber von barbariſchen Staaten überhaupt, ſondern namentlich auch bei angeblich politiſchen Verbrechern, als bei welchen das Unrecht der Unterliegenden keineswegs immer un- zweifelhaft iſt, auch nicht immer auf leidenſchaftloſe Gerechtigkeit gezählt werden kann. b. Eigene Unterthanen, welche im Auslande ein Ver- brechen begangen, der Beſtrafung deſſelben aber ſich durch

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/445>, abgerufen am 26.04.2024.