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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Staatsoberhaupte nicht blos an und für sich und persönlich
eine Pflicht, sondern es wird deren Vernachlässigung durch das
weithin sichtbare Beispiel in besonders hohem Grade tadelns-
werth. Je leichter von ihm ein schlechter Lebenswandel geführt
werden kann, desto größer ist auch das Verdienst von Mäßigung
und Entsagung.

10. Endlich muß in auswärtigen Angelegenheiten des
Staates Verträglichkeit und Billigkeit verlangt werden,
damit nicht Zerwürfnisse mit Fremden ohne Noth entstehen.
Jeder Krieg hat so unendliches Elend und Unglück in seinem
Gefolge, daß eine muthwillige Herbeiführung eines solchen eine
unverantwortiich schwere sittliche Schuld ist. Dagegen soll
allerdings ein Staatsoberhaupt auch die Rechte und den Vor-
theil seines Staates in auswärtigen Beziehungen persönlichen
Rücksichten nicht zum Opfer bringen, sondern auch hier Eifer,
Uneigennützigkeit und Muth zeigen.

1) Es ist eine völlige Verkehrtheit, die Pflicht zur Regierungsnieder-
legung von Seiten eines zur Besorgung der Geschäfte unfähig Gewordenen
dadurch beseitigen zu wollen, daß die Uebertragung der Staatsgewalt für
eine von der Vorsehung ausgehende Aufgabe erklärt wird, deren Ablehnung
Ungehorsam und Sünde sei. Gerade auf diesem religiösen Standpunkte muß
anerkannt werden, daß die Entziehung der unerläßlichen Fähigkeiten eben-
falls eine zu beachtende göttliche Schickung ist; und es muß in der-
selben einer Seits eine von Allen unweigerlich zu befolgende Hinweisung
auf einen neu angeordneten Zustand der Dinge, und anderer Seits eine
Verpflichtung zu persönlicher Demüthigung unter den sogar thatsächlich aus-
gedrückten Willen der Vorsehung erblickt werden.
2) Mit großem Rechte macht Rothe, Ethik, Bd. III, S. 922, auf
die besondere Schwierigkeit einer aufrichtigen Anerkennung des constitutio-
nellen Principes in der Zeit des Ueberganges von unbeschränkter Regierung
zu beschränkter, aber auch auf die besondere Pflicht guten Willens unter
diesen Umständen aufmerksam. Allerdings haben auch die Unterthanen in
solcher Zeit besondere Verpflichtung zu Vertrauen und zur Nachgiebigkeit in
untergeordneten Punkten.
3) Nicht bloß eine Geschmacklosigkeit und ein religiöser Fehler, sondern
auch eine große sittliche Schuld ist es, wenn ein Staatsoberhaupt im Wider-

Staatsoberhaupte nicht blos an und für ſich und perſönlich
eine Pflicht, ſondern es wird deren Vernachläſſigung durch das
weithin ſichtbare Beiſpiel in beſonders hohem Grade tadelns-
werth. Je leichter von ihm ein ſchlechter Lebenswandel geführt
werden kann, deſto größer iſt auch das Verdienſt von Mäßigung
und Entſagung.

10. Endlich muß in auswärtigen Angelegenheiten des
Staates Verträglichkeit und Billigkeit verlangt werden,
damit nicht Zerwürfniſſe mit Fremden ohne Noth entſtehen.
Jeder Krieg hat ſo unendliches Elend und Unglück in ſeinem
Gefolge, daß eine muthwillige Herbeiführung eines ſolchen eine
unverantwortiich ſchwere ſittliche Schuld iſt. Dagegen ſoll
allerdings ein Staatsoberhaupt auch die Rechte und den Vor-
theil ſeines Staates in auswärtigen Beziehungen perſönlichen
Rückſichten nicht zum Opfer bringen, ſondern auch hier Eifer,
Uneigennützigkeit und Muth zeigen.

1) Es iſt eine völlige Verkehrtheit, die Pflicht zur Regierungsnieder-
legung von Seiten eines zur Beſorgung der Geſchäfte unfähig Gewordenen
dadurch beſeitigen zu wollen, daß die Uebertragung der Staatsgewalt für
eine von der Vorſehung ausgehende Aufgabe erklärt wird, deren Ablehnung
Ungehorſam und Sünde ſei. Gerade auf dieſem religiöſen Standpunkte muß
anerkannt werden, daß die Entziehung der unerläßlichen Fähigkeiten eben-
falls eine zu beachtende göttliche Schickung iſt; und es muß in der-
ſelben einer Seits eine von Allen unweigerlich zu befolgende Hinweiſung
auf einen neu angeordneten Zuſtand der Dinge, und anderer Seits eine
Verpflichtung zu perſönlicher Demüthigung unter den ſogar thatſächlich aus-
gedrückten Willen der Vorſehung erblickt werden.
2) Mit großem Rechte macht Rothe, Ethik, Bd. III, S. 922, auf
die beſondere Schwierigkeit einer aufrichtigen Anerkennung des conſtitutio-
nellen Principes in der Zeit des Ueberganges von unbeſchränkter Regierung
zu beſchränkter, aber auch auf die beſondere Pflicht guten Willens unter
dieſen Umſtänden aufmerkſam. Allerdings haben auch die Unterthanen in
ſolcher Zeit beſondere Verpflichtung zu Vertrauen und zur Nachgiebigkeit in
untergeordneten Punkten.
3) Nicht bloß eine Geſchmackloſigkeit und ein religiöſer Fehler, ſondern
auch eine große ſittliche Schuld iſt es, wenn ein Staatsoberhaupt im Wider-
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[523/0537] Staatsoberhaupte nicht blos an und für ſich und perſönlich eine Pflicht, ſondern es wird deren Vernachläſſigung durch das weithin ſichtbare Beiſpiel in beſonders hohem Grade tadelns- werth. Je leichter von ihm ein ſchlechter Lebenswandel geführt werden kann, deſto größer iſt auch das Verdienſt von Mäßigung und Entſagung. 10. Endlich muß in auswärtigen Angelegenheiten des Staates Verträglichkeit und Billigkeit verlangt werden, damit nicht Zerwürfniſſe mit Fremden ohne Noth entſtehen. Jeder Krieg hat ſo unendliches Elend und Unglück in ſeinem Gefolge, daß eine muthwillige Herbeiführung eines ſolchen eine unverantwortiich ſchwere ſittliche Schuld iſt. Dagegen ſoll allerdings ein Staatsoberhaupt auch die Rechte und den Vor- theil ſeines Staates in auswärtigen Beziehungen perſönlichen Rückſichten nicht zum Opfer bringen, ſondern auch hier Eifer, Uneigennützigkeit und Muth zeigen. ¹⁾ Es iſt eine völlige Verkehrtheit, die Pflicht zur Regierungsnieder- legung von Seiten eines zur Beſorgung der Geſchäfte unfähig Gewordenen dadurch beſeitigen zu wollen, daß die Uebertragung der Staatsgewalt für eine von der Vorſehung ausgehende Aufgabe erklärt wird, deren Ablehnung Ungehorſam und Sünde ſei. Gerade auf dieſem religiöſen Standpunkte muß anerkannt werden, daß die Entziehung der unerläßlichen Fähigkeiten eben- falls eine zu beachtende göttliche Schickung iſt; und es muß in der- ſelben einer Seits eine von Allen unweigerlich zu befolgende Hinweiſung auf einen neu angeordneten Zuſtand der Dinge, und anderer Seits eine Verpflichtung zu perſönlicher Demüthigung unter den ſogar thatſächlich aus- gedrückten Willen der Vorſehung erblickt werden. ²⁾ Mit großem Rechte macht Rothe, Ethik, Bd. III, S. 922, auf die beſondere Schwierigkeit einer aufrichtigen Anerkennung des conſtitutio- nellen Principes in der Zeit des Ueberganges von unbeſchränkter Regierung zu beſchränkter, aber auch auf die beſondere Pflicht guten Willens unter dieſen Umſtänden aufmerkſam. Allerdings haben auch die Unterthanen in ſolcher Zeit beſondere Verpflichtung zu Vertrauen und zur Nachgiebigkeit in untergeordneten Punkten. ³⁾ Nicht bloß eine Geſchmackloſigkeit und ein religiöſer Fehler, ſondern auch eine große ſittliche Schuld iſt es, wenn ein Staatsoberhaupt im Wider-

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/537>, abgerufen am 26.04.2024.