Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
sammtheit, selbst in politischen Beziehungen, unberechenbarer
Schaden zugefügt wird.

3. Da die Unabhängigkeit der Gerichte nicht
ins Abenteuerliche und Gemeinschädliche zu übertreiben, son-
dern auf die Leitung des einzelnen bürgerlichen oder Straf-
verfahrens und auf die Fällung des dadurch herbeigeführten
Urtheiles, sodann auf die den Richtern eingeräumten besondern
Vorrechte im Amte zu beschränken ist: so hat in allen anderen
Beziehungen ein Justizminister dieselbe Aufgabe, wie jeder
andere Vorstand einer Hauptabtheilung der Verwaltung. Daher
ist er denn berechtigt, vollständigste Oberaufsicht über alle
Zweige der Rechtspflege zu führen, die Vorkehrungen zu einer
tüchtigen und ausreichenden Besetzung der richterlichen und
sonstigen Stellung in seinem Departement zu treffen, endlich
selbst allgemeine sachliche und formelle Anordnungen, natürlich
innerhalb seiner Zuständigkeit und des Gesetzes, zur Förderung
der Rechtsordnung zu treffen. Ja selbst hinsichtlich der eigentlich
richterlichen Geschäfte ist eine Beaufsichtigung und eine Ein-
richtung, welche die Richter ihrer Seits zur strengen Einhaltung
des Gesetzes auffordert, ganz an der Stelle. Eine gut geglie-
derte und mit tüchtigen Beamten besetzte Staatsanwaltschaft,
ohne deren Anwesenheit keine richterliche Handlung vor sich
gehen kann und welche berechtigt ist, die Gerichte auf die
bestehende Gesetzgebung aufmerksam zu machen auch im Noth-
falle ein Rechtsmittel bei einem höhern Gerichte einzulegen, ist
daher sehr zweckmäßig.

1) Bei dem sonstigen unübersehbaren Reichthume der rechtswissenschaft-
lichen Literatur ist es geradezu unbegreiflich, daß es in keiner Sprache ein
Werk gibt, welches die gesammte Justizpolitik in irgend befriedigender Weise
behandelte. (Gar zu ungenügend nämlich ist Gerstäcker, C. F. W.,
Darstellung der Gesetzgebungskunst. I--IV. Frankf., 1837.) Viel vortreff-
liches liefert allerdings J. Bentham in seinen zahlreichen Schriften über
Verbesserung des englischen Gerichtswesens; allein es ist auf die örtlichen
ſammtheit, ſelbſt in politiſchen Beziehungen, unberechenbarer
Schaden zugefügt wird.

3. Da die Unabhängigkeit der Gerichte nicht
ins Abenteuerliche und Gemeinſchädliche zu übertreiben, ſon-
dern auf die Leitung des einzelnen bürgerlichen oder Straf-
verfahrens und auf die Fällung des dadurch herbeigeführten
Urtheiles, ſodann auf die den Richtern eingeräumten beſondern
Vorrechte im Amte zu beſchränken iſt: ſo hat in allen anderen
Beziehungen ein Juſtizminiſter dieſelbe Aufgabe, wie jeder
andere Vorſtand einer Hauptabtheilung der Verwaltung. Daher
iſt er denn berechtigt, vollſtändigſte Oberaufſicht über alle
Zweige der Rechtspflege zu führen, die Vorkehrungen zu einer
tüchtigen und ausreichenden Beſetzung der richterlichen und
ſonſtigen Stellung in ſeinem Departement zu treffen, endlich
ſelbſt allgemeine ſachliche und formelle Anordnungen, natürlich
innerhalb ſeiner Zuſtändigkeit und des Geſetzes, zur Förderung
der Rechtsordnung zu treffen. Ja ſelbſt hinſichtlich der eigentlich
richterlichen Geſchäfte iſt eine Beaufſichtigung und eine Ein-
richtung, welche die Richter ihrer Seits zur ſtrengen Einhaltung
des Geſetzes auffordert, ganz an der Stelle. Eine gut geglie-
derte und mit tüchtigen Beamten beſetzte Staatsanwaltſchaft,
ohne deren Anweſenheit keine richterliche Handlung vor ſich
gehen kann und welche berechtigt iſt, die Gerichte auf die
beſtehende Geſetzgebung aufmerkſam zu machen auch im Noth-
falle ein Rechtsmittel bei einem höhern Gerichte einzulegen, iſt
daher ſehr zweckmäßig.

1) Bei dem ſonſtigen unüberſehbaren Reichthume der rechtswiſſenſchaft-
lichen Literatur iſt es geradezu unbegreiflich, daß es in keiner Sprache ein
Werk gibt, welches die geſammte Juſtizpolitik in irgend befriedigender Weiſe
behandelte. (Gar zu ungenügend nämlich iſt Gerſtäcker, C. F. W.,
Darſtellung der Geſetzgebungskunſt. I—IV. Frankf., 1837.) Viel vortreff-
liches liefert allerdings J. Bentham in ſeinen zahlreichen Schriften über
Verbeſſerung des engliſchen Gerichtsweſens; allein es iſt auf die örtlichen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <list>
                  <item><pb facs="#f0675" n="661"/>
&#x017F;ammtheit, &#x017F;elb&#x017F;t in politi&#x017F;chen Beziehungen, unberechenbarer<lb/>
Schaden zugefügt wird.</item>
                </list><lb/>
                <p>3. Da die <hi rendition="#g">Unabhängigkeit der Gerichte</hi> nicht<lb/>
ins Abenteuerliche und Gemein&#x017F;chädliche zu übertreiben, &#x017F;on-<lb/>
dern auf die Leitung des einzelnen bürgerlichen oder Straf-<lb/>
verfahrens und auf die Fällung des dadurch herbeigeführten<lb/>
Urtheiles, &#x017F;odann auf die den Richtern eingeräumten be&#x017F;ondern<lb/>
Vorrechte im Amte zu be&#x017F;chränken i&#x017F;t: &#x017F;o hat in allen anderen<lb/>
Beziehungen ein <hi rendition="#g">Ju&#x017F;tizmini&#x017F;ter</hi> die&#x017F;elbe Aufgabe, wie jeder<lb/>
andere Vor&#x017F;tand einer Hauptabtheilung der Verwaltung. Daher<lb/>
i&#x017F;t er denn berechtigt, voll&#x017F;tändig&#x017F;te Oberauf&#x017F;icht über alle<lb/>
Zweige der Rechtspflege zu führen, die Vorkehrungen zu einer<lb/>
tüchtigen und ausreichenden Be&#x017F;etzung der richterlichen und<lb/>
&#x017F;on&#x017F;tigen Stellung in &#x017F;einem Departement zu treffen, endlich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t allgemeine &#x017F;achliche und formelle Anordnungen, natürlich<lb/>
innerhalb &#x017F;einer Zu&#x017F;tändigkeit und des Ge&#x017F;etzes, zur Förderung<lb/>
der Rechtsordnung zu treffen. Ja &#x017F;elb&#x017F;t hin&#x017F;ichtlich der eigentlich<lb/>
richterlichen Ge&#x017F;chäfte i&#x017F;t eine Beauf&#x017F;ichtigung und eine Ein-<lb/>
richtung, welche die Richter ihrer Seits zur &#x017F;trengen Einhaltung<lb/>
des Ge&#x017F;etzes auffordert, ganz an der Stelle. Eine gut geglie-<lb/>
derte und mit tüchtigen Beamten be&#x017F;etzte Staatsanwalt&#x017F;chaft,<lb/>
ohne deren Anwe&#x017F;enheit keine richterliche Handlung vor &#x017F;ich<lb/>
gehen kann und welche berechtigt i&#x017F;t, die Gerichte auf die<lb/>
be&#x017F;tehende Ge&#x017F;etzgebung aufmerk&#x017F;am zu machen auch im Noth-<lb/>
falle ein Rechtsmittel bei einem höhern Gerichte einzulegen, i&#x017F;t<lb/>
daher &#x017F;ehr zweckmäßig.</p><lb/>
                <note place="end" n="1)">Bei dem &#x017F;on&#x017F;tigen unüber&#x017F;ehbaren Reichthume der rechtswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft-<lb/>
lichen Literatur i&#x017F;t es geradezu unbegreiflich, daß es in keiner Sprache ein<lb/>
Werk gibt, welches die ge&#x017F;ammte Ju&#x017F;tizpolitik in irgend befriedigender Wei&#x017F;e<lb/>
behandelte. (Gar zu ungenügend nämlich i&#x017F;t <hi rendition="#g">Ger&#x017F;täcker</hi>, C. F. W.,<lb/>
Dar&#x017F;tellung der Ge&#x017F;etzgebungskun&#x017F;t. <hi rendition="#aq">I&#x2014;IV.</hi> Frankf., 1837.) Viel vortreff-<lb/>
liches liefert allerdings J. <hi rendition="#g">Bentham</hi> in &#x017F;einen zahlreichen Schriften über<lb/>
Verbe&#x017F;&#x017F;erung des engli&#x017F;chen Gerichtswe&#x017F;ens; allein es i&#x017F;t auf die örtlichen<lb/></note>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[661/0675] ſammtheit, ſelbſt in politiſchen Beziehungen, unberechenbarer Schaden zugefügt wird. 3. Da die Unabhängigkeit der Gerichte nicht ins Abenteuerliche und Gemeinſchädliche zu übertreiben, ſon- dern auf die Leitung des einzelnen bürgerlichen oder Straf- verfahrens und auf die Fällung des dadurch herbeigeführten Urtheiles, ſodann auf die den Richtern eingeräumten beſondern Vorrechte im Amte zu beſchränken iſt: ſo hat in allen anderen Beziehungen ein Juſtizminiſter dieſelbe Aufgabe, wie jeder andere Vorſtand einer Hauptabtheilung der Verwaltung. Daher iſt er denn berechtigt, vollſtändigſte Oberaufſicht über alle Zweige der Rechtspflege zu führen, die Vorkehrungen zu einer tüchtigen und ausreichenden Beſetzung der richterlichen und ſonſtigen Stellung in ſeinem Departement zu treffen, endlich ſelbſt allgemeine ſachliche und formelle Anordnungen, natürlich innerhalb ſeiner Zuſtändigkeit und des Geſetzes, zur Förderung der Rechtsordnung zu treffen. Ja ſelbſt hinſichtlich der eigentlich richterlichen Geſchäfte iſt eine Beaufſichtigung und eine Ein- richtung, welche die Richter ihrer Seits zur ſtrengen Einhaltung des Geſetzes auffordert, ganz an der Stelle. Eine gut geglie- derte und mit tüchtigen Beamten beſetzte Staatsanwaltſchaft, ohne deren Anweſenheit keine richterliche Handlung vor ſich gehen kann und welche berechtigt iſt, die Gerichte auf die beſtehende Geſetzgebung aufmerkſam zu machen auch im Noth- falle ein Rechtsmittel bei einem höhern Gerichte einzulegen, iſt daher ſehr zweckmäßig. ¹⁾ Bei dem ſonſtigen unüberſehbaren Reichthume der rechtswiſſenſchaft- lichen Literatur iſt es geradezu unbegreiflich, daß es in keiner Sprache ein Werk gibt, welches die geſammte Juſtizpolitik in irgend befriedigender Weiſe behandelte. (Gar zu ungenügend nämlich iſt Gerſtäcker, C. F. W., Darſtellung der Geſetzgebungskunſt. I—IV. Frankf., 1837.) Viel vortreff- liches liefert allerdings J. Bentham in ſeinen zahlreichen Schriften über Verbeſſerung des engliſchen Gerichtsweſens; allein es iſt auf die örtlichen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/675
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/675>, abgerufen am 26.04.2024.