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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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hat sie sich eine Reihe von bestimmten Aufgaben zu stellen und
darf gewisse Forderungen nicht vernachlässigen.

Vor Allem ist die ursprüngliche Stammeseigenthüm-
lichkeit des betreffenden Volkes, die daher rührende Gesittigung,
und die aus dieser wieder entspringende Gattung des Staates
sowie dessen ursprüngliche Aufgabe und Form darzustellen.
Diese Besonderheiten bilden die Grundlage der ganzen künftigen
Entwickelung, und in der Regel ziehen sie sich als rother
Faden durch alle späteren Aenderungen. Natürlich ist es eine
Hauptaufgabe, etwaige spätere Umgestaltungen, sei es daß sie
durch den Gang und den Inhalt der Gesittigung, sei es daß sie
durch äußere Schicksale entstehen, sorgfältig nachzuweisen und
ihren Einfluß auch auf das staatliche Leben zu zeigen.

Zweitens muß die Entwickelung der Verfassung
und Verwaltung
des Staates geschildert werden; natürlich
einer Seits mit vorzüglicher Hervorhebung des Wichtigen und
Bezeichnenden; anderer Seits mit Nachweisung von Ursachen
und Wirkungen so wie im Zusammenhange mit den äußeren
Ereignissen. Von besonderer Wichtigkeit, aber auch schwierig,
ist hier die Nachweisung des Einflusses fremder Einrichtungen
und Gedanken, wo solche herübergenommen und den natur-
wüchsigen Zuständen einverleibt werden, sei es in Folge äußeren
Zwanges, sei es aus Ueberzeugung von deren Vortrefflichkeit 1).
Nicht selten wird in der allmäligen Entwickelung eines Staates
auch die Literatur eine große Rolle spielen; und so wenig eine
Staatsgeschichte zur Aufzählung und Beurtheilung des Schrif-
tenthumes im Allgemeinen bestimmt ist, so ist doch in solchem
Falle eine Ausnahme zu machen 2).

Jedenfalls ist, drittens, der Geschichte der Gesellschaft
ein hauptsächlichstes Augenmerk zuzuwenden. Allerdings fällt
dieselbe nicht zusammen mit der Geschichte des Staates, seiner
Formen und seiner Erlebnisse; allein da die Gesellschaft das

hat ſie ſich eine Reihe von beſtimmten Aufgaben zu ſtellen und
darf gewiſſe Forderungen nicht vernachläſſigen.

Vor Allem iſt die urſprüngliche Stammeseigenthüm-
lichkeit des betreffenden Volkes, die daher rührende Geſittigung,
und die aus dieſer wieder entſpringende Gattung des Staates
ſowie deſſen urſprüngliche Aufgabe und Form darzuſtellen.
Dieſe Beſonderheiten bilden die Grundlage der ganzen künftigen
Entwickelung, und in der Regel ziehen ſie ſich als rother
Faden durch alle ſpäteren Aenderungen. Natürlich iſt es eine
Hauptaufgabe, etwaige ſpätere Umgeſtaltungen, ſei es daß ſie
durch den Gang und den Inhalt der Geſittigung, ſei es daß ſie
durch äußere Schickſale entſtehen, ſorgfältig nachzuweiſen und
ihren Einfluß auch auf das ſtaatliche Leben zu zeigen.

Zweitens muß die Entwickelung der Verfaſſung
und Verwaltung
des Staates geſchildert werden; natürlich
einer Seits mit vorzüglicher Hervorhebung des Wichtigen und
Bezeichnenden; anderer Seits mit Nachweiſung von Urſachen
und Wirkungen ſo wie im Zuſammenhange mit den äußeren
Ereigniſſen. Von beſonderer Wichtigkeit, aber auch ſchwierig,
iſt hier die Nachweiſung des Einfluſſes fremder Einrichtungen
und Gedanken, wo ſolche herübergenommen und den natur-
wüchſigen Zuſtänden einverleibt werden, ſei es in Folge äußeren
Zwanges, ſei es aus Ueberzeugung von deren Vortrefflichkeit 1).
Nicht ſelten wird in der allmäligen Entwickelung eines Staates
auch die Literatur eine große Rolle ſpielen; und ſo wenig eine
Staatsgeſchichte zur Aufzählung und Beurtheilung des Schrif-
tenthumes im Allgemeinen beſtimmt iſt, ſo iſt doch in ſolchem
Falle eine Ausnahme zu machen 2).

Jedenfalls iſt, drittens, der Geſchichte der Geſellſchaft
ein hauptſächlichſtes Augenmerk zuzuwenden. Allerdings fällt
dieſelbe nicht zuſammen mit der Geſchichte des Staates, ſeiner
Formen und ſeiner Erlebniſſe; allein da die Geſellſchaft das

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[722/0736] hat ſie ſich eine Reihe von beſtimmten Aufgaben zu ſtellen und darf gewiſſe Forderungen nicht vernachläſſigen. Vor Allem iſt die urſprüngliche Stammeseigenthüm- lichkeit des betreffenden Volkes, die daher rührende Geſittigung, und die aus dieſer wieder entſpringende Gattung des Staates ſowie deſſen urſprüngliche Aufgabe und Form darzuſtellen. Dieſe Beſonderheiten bilden die Grundlage der ganzen künftigen Entwickelung, und in der Regel ziehen ſie ſich als rother Faden durch alle ſpäteren Aenderungen. Natürlich iſt es eine Hauptaufgabe, etwaige ſpätere Umgeſtaltungen, ſei es daß ſie durch den Gang und den Inhalt der Geſittigung, ſei es daß ſie durch äußere Schickſale entſtehen, ſorgfältig nachzuweiſen und ihren Einfluß auch auf das ſtaatliche Leben zu zeigen. Zweitens muß die Entwickelung der Verfaſſung und Verwaltung des Staates geſchildert werden; natürlich einer Seits mit vorzüglicher Hervorhebung des Wichtigen und Bezeichnenden; anderer Seits mit Nachweiſung von Urſachen und Wirkungen ſo wie im Zuſammenhange mit den äußeren Ereigniſſen. Von beſonderer Wichtigkeit, aber auch ſchwierig, iſt hier die Nachweiſung des Einfluſſes fremder Einrichtungen und Gedanken, wo ſolche herübergenommen und den natur- wüchſigen Zuſtänden einverleibt werden, ſei es in Folge äußeren Zwanges, ſei es aus Ueberzeugung von deren Vortrefflichkeit 1). Nicht ſelten wird in der allmäligen Entwickelung eines Staates auch die Literatur eine große Rolle ſpielen; und ſo wenig eine Staatsgeſchichte zur Aufzählung und Beurtheilung des Schrif- tenthumes im Allgemeinen beſtimmt iſt, ſo iſt doch in ſolchem Falle eine Ausnahme zu machen 2). Jedenfalls iſt, drittens, der Geſchichte der Geſellſchaft ein hauptſächlichſtes Augenmerk zuzuwenden. Allerdings fällt dieſelbe nicht zuſammen mit der Geſchichte des Staates, ſeiner Formen und ſeiner Erlebniſſe; allein da die Geſellſchaft das

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 722. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/736>, abgerufen am 27.04.2024.