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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL III.
setzlich in der Hand und konnten mit dem socialen Nothstand
die Schlachten schlagen, um dem Adel die Friedensbedingun-
gen zu dictiren und als Vermittler zwischen beiden Parteien
mühelos für sich den Zutritt zu den Aemtern zu erzwingen. --
Ein solcher Wendepunkt in der Stellung der vornehmen Plebejer
trat ein nach dem Sturz des Decemvirats. Es war jetzt voll-
kommen klar geworden, dass das Volkstribunat sich nicht besei-
tigen liess; die plebejische Aristokratie konnte nichts Besseres
thun als sich dieses mächtigen Hebels zu bemächtigen zur
Beseitigung der politischen Zurücksetzung ihres Standes.

Wie wehrlos der Adel der vereinigten Plebs gegenüber-
stand, zeigt nichts so augenscheinlich, als dass die beiden
Fundamentalsätze der exclusiven Partei, die Ungültigkeit der
Ehe zwischen Adlichen und Bürgerlichen und die Unfähigkeit
der Bürgerlichen zur Bekleidung eines Amtes, kaum vier Jahre
nach der Decemviralrevolution und auf den ersten Streich
fielen. Im Jahre 309 wurde bestimmt durch das canuleiische
Gesetz, dass die Ehe zwischen Adlichen und Bürgerlichen als
eine rechte römische gelten und die daraus erzeugten Kinder
dem Stande des Vaters folgen sollten; und es wurde ferner
durchgesetzt, dass statt der Consuln Kriegstribune mit consu-
larischer Gewalt ernannt werden sollten, zu welchem Amt
nach altem Recht jeder dienstpflichtige Römer wählbar war.
-- Damit waren die Adelsprivilegien in der That gesetzlich
beseitigt, und wenn der römische Adel seines Namens werth
gewesen wäre, hätte er jetzt den Kampf aufgeben müssen.
Allein wenn auch ein vernünftiger und gesetzlicher Widerstand
fortan unmöglich war, so bot sich doch noch ein weites Feld
für die ohnmächtige und tückische Opposition der kleinen Mittel,
der Schikanen, der Kniffe, und indem der Adel es nicht ver-
schmähte auf solchem Wege seine Ehre und seine Staatsklug-
heit zu compromittiren, konnte er sich rühmen den Bürger-
krieg noch ein Jahrhundert verlängert und dem gemeinen
Mann Concessionen verschafft zu haben, zu welcher die rö-
mische Aristokratie, wenn sie sich aufrichtig hätte einigen
können, nicht leicht gezwungen worden wäre. -- Die Mittel,
deren der Adel sich bediente, waren so mannichfach wie die
politische Kümmerlichkeit überhaupt. Man gab in der Sache
nach, versagte aber in kränkender Weise den Bürgerlichen
den ehrenvollen Namen des Consulats und die Zulassung zur
Ehre des Triumphes. Statt ein für allemal zu entscheiden,
räumte man, was man einräumen musste, nur für die näch-

ZWEITES BUCH. KAPITEL III.
setzlich in der Hand und konnten mit dem socialen Nothstand
die Schlachten schlagen, um dem Adel die Friedensbedingun-
gen zu dictiren und als Vermittler zwischen beiden Parteien
mühelos für sich den Zutritt zu den Aemtern zu erzwingen. —
Ein solcher Wendepunkt in der Stellung der vornehmen Plebejer
trat ein nach dem Sturz des Decemvirats. Es war jetzt voll-
kommen klar geworden, daſs das Volkstribunat sich nicht besei-
tigen lieſs; die plebejische Aristokratie konnte nichts Besseres
thun als sich dieses mächtigen Hebels zu bemächtigen zur
Beseitigung der politischen Zurücksetzung ihres Standes.

Wie wehrlos der Adel der vereinigten Plebs gegenüber-
stand, zeigt nichts so augenscheinlich, als daſs die beiden
Fundamentalsätze der exclusiven Partei, die Ungültigkeit der
Ehe zwischen Adlichen und Bürgerlichen und die Unfähigkeit
der Bürgerlichen zur Bekleidung eines Amtes, kaum vier Jahre
nach der Decemviralrevolution und auf den ersten Streich
fielen. Im Jahre 309 wurde bestimmt durch das canuleiische
Gesetz, daſs die Ehe zwischen Adlichen und Bürgerlichen als
eine rechte römische gelten und die daraus erzeugten Kinder
dem Stande des Vaters folgen sollten; und es wurde ferner
durchgesetzt, daſs statt der Consuln Kriegstribune mit consu-
larischer Gewalt ernannt werden sollten, zu welchem Amt
nach altem Recht jeder dienstpflichtige Römer wählbar war.
— Damit waren die Adelsprivilegien in der That gesetzlich
beseitigt, und wenn der römische Adel seines Namens werth
gewesen wäre, hätte er jetzt den Kampf aufgeben müssen.
Allein wenn auch ein vernünftiger und gesetzlicher Widerstand
fortan unmöglich war, so bot sich doch noch ein weites Feld
für die ohnmächtige und tückische Opposition der kleinen Mittel,
der Schikanen, der Kniffe, und indem der Adel es nicht ver-
schmähte auf solchem Wege seine Ehre und seine Staatsklug-
heit zu compromittiren, konnte er sich rühmen den Bürger-
krieg noch ein Jahrhundert verlängert und dem gemeinen
Mann Concessionen verschafft zu haben, zu welcher die rö-
mische Aristokratie, wenn sie sich aufrichtig hätte einigen
können, nicht leicht gezwungen worden wäre. — Die Mittel,
deren der Adel sich bediente, waren so mannichfach wie die
politische Kümmerlichkeit überhaupt. Man gab in der Sache
nach, versagte aber in kränkender Weise den Bürgerlichen
den ehrenvollen Namen des Consulats und die Zulassung zur
Ehre des Triumphes. Statt ein für allemal zu entscheiden,
räumte man, was man einräumen muſste, nur für die näch-

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[188/0202] ZWEITES BUCH. KAPITEL III. setzlich in der Hand und konnten mit dem socialen Nothstand die Schlachten schlagen, um dem Adel die Friedensbedingun- gen zu dictiren und als Vermittler zwischen beiden Parteien mühelos für sich den Zutritt zu den Aemtern zu erzwingen. — Ein solcher Wendepunkt in der Stellung der vornehmen Plebejer trat ein nach dem Sturz des Decemvirats. Es war jetzt voll- kommen klar geworden, daſs das Volkstribunat sich nicht besei- tigen lieſs; die plebejische Aristokratie konnte nichts Besseres thun als sich dieses mächtigen Hebels zu bemächtigen zur Beseitigung der politischen Zurücksetzung ihres Standes. Wie wehrlos der Adel der vereinigten Plebs gegenüber- stand, zeigt nichts so augenscheinlich, als daſs die beiden Fundamentalsätze der exclusiven Partei, die Ungültigkeit der Ehe zwischen Adlichen und Bürgerlichen und die Unfähigkeit der Bürgerlichen zur Bekleidung eines Amtes, kaum vier Jahre nach der Decemviralrevolution und auf den ersten Streich fielen. Im Jahre 309 wurde bestimmt durch das canuleiische Gesetz, daſs die Ehe zwischen Adlichen und Bürgerlichen als eine rechte römische gelten und die daraus erzeugten Kinder dem Stande des Vaters folgen sollten; und es wurde ferner durchgesetzt, daſs statt der Consuln Kriegstribune mit consu- larischer Gewalt ernannt werden sollten, zu welchem Amt nach altem Recht jeder dienstpflichtige Römer wählbar war. — Damit waren die Adelsprivilegien in der That gesetzlich beseitigt, und wenn der römische Adel seines Namens werth gewesen wäre, hätte er jetzt den Kampf aufgeben müssen. Allein wenn auch ein vernünftiger und gesetzlicher Widerstand fortan unmöglich war, so bot sich doch noch ein weites Feld für die ohnmächtige und tückische Opposition der kleinen Mittel, der Schikanen, der Kniffe, und indem der Adel es nicht ver- schmähte auf solchem Wege seine Ehre und seine Staatsklug- heit zu compromittiren, konnte er sich rühmen den Bürger- krieg noch ein Jahrhundert verlängert und dem gemeinen Mann Concessionen verschafft zu haben, zu welcher die rö- mische Aristokratie, wenn sie sich aufrichtig hätte einigen können, nicht leicht gezwungen worden wäre. — Die Mittel, deren der Adel sich bediente, waren so mannichfach wie die politische Kümmerlichkeit überhaupt. Man gab in der Sache nach, versagte aber in kränkender Weise den Bürgerlichen den ehrenvollen Namen des Consulats und die Zulassung zur Ehre des Triumphes. Statt ein für allemal zu entscheiden, räumte man, was man einräumen muſste, nur für die näch-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/202>, abgerufen am 26.04.2024.