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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HAMILKAR UND HANNIBAL.
digung nur durch unberechenbare Glücksfälle und noch unbe-
rechenbarere Fehler des Feindes möglich ward, den kein be-
sonderer nicht vorherzusehender grösserer Unfall störte und
der nicht bloss solche Opfer kostete, sondern die Armee so
strapazirte und demoralisirte, dass sie einer längeren Rast
bedurfte um wieder kampffähig zu werden, ist eine Operation
von zweifelhaftem Werthe und es darf in Frage gestellt wer-
den, ob Hannibal sie selber als gelungen betrachtete. Ob der
ausgezeichnete Führer wegen dieses Feldzugplanes Tadel oder
Lob verdient, lässt sich nicht mehr entscheiden; wir sehen
wohl die Mängel des von ihm befolgten Operationsplans, nicht
aber können wir entscheiden, ob er im Stande war sie vor-
herzusehen -- führte doch sein Weg durch unbekanntes Bar-
barenland -- und ob ein anderer Plan, etwa die Küstenstrasse
einzuschlagen oder in Cartagena oder Karthago sich einzuschif-
fen, ihn geringeren Gefahren ausgesetzt haben würde. Die um-
sichtige und meisterhafte Ausführung des Planes im Einzelnen
ist auf jeden Fall bewundernswerth und worauf am Ende alles
ankam -- sei es nun mehr durch die Gunst des Schicksals
oder sei es mehr durch die Kunst des Feldherrn, Hamil-
kars grosser Gedanke in Italien den Kampf mit Rom aufzu-
nehmen, war jetzt zur That geworden. Sein Geist ist es, der
diesen Zug entwarf; und wie Steins und Scharnhorsts Auf-
gabe schwieriger und grossartiger war als die von York und
Blücher, so hat auch der sichere Tact geschichtlicher Erinne-
rung das letzte Glied der grossen Kette von vorbereitenden
Thaten, den Uebergang über die Alpen stets mit grösserer
Bewunderung genannt als die Schlachten am trasimenischen
See und auf der Ebene von Cannae.


HAMILKAR UND HANNIBAL.
digung nur durch unberechenbare Glücksfälle und noch unbe-
rechenbarere Fehler des Feindes möglich ward, den kein be-
sonderer nicht vorherzusehender gröſserer Unfall störte und
der nicht bloſs solche Opfer kostete, sondern die Armee so
strapazirte und demoralisirte, daſs sie einer längeren Rast
bedurfte um wieder kampffähig zu werden, ist eine Operation
von zweifelhaftem Werthe und es darf in Frage gestellt wer-
den, ob Hannibal sie selber als gelungen betrachtete. Ob der
ausgezeichnete Führer wegen dieses Feldzugplanes Tadel oder
Lob verdient, läſst sich nicht mehr entscheiden; wir sehen
wohl die Mängel des von ihm befolgten Operationsplans, nicht
aber können wir entscheiden, ob er im Stande war sie vor-
herzusehen — führte doch sein Weg durch unbekanntes Bar-
barenland — und ob ein anderer Plan, etwa die Küstenstraſse
einzuschlagen oder in Cartagena oder Karthago sich einzuschif-
fen, ihn geringeren Gefahren ausgesetzt haben würde. Die um-
sichtige und meisterhafte Ausführung des Planes im Einzelnen
ist auf jeden Fall bewundernswerth und worauf am Ende alles
ankam — sei es nun mehr durch die Gunst des Schicksals
oder sei es mehr durch die Kunst des Feldherrn, Hamil-
kars groſser Gedanke in Italien den Kampf mit Rom aufzu-
nehmen, war jetzt zur That geworden. Sein Geist ist es, der
diesen Zug entwarf; und wie Steins und Scharnhorsts Auf-
gabe schwieriger und groſsartiger war als die von York und
Blücher, so hat auch der sichere Tact geschichtlicher Erinne-
rung das letzte Glied der groſsen Kette von vorbereitenden
Thaten, den Uebergang über die Alpen stets mit gröſserer
Bewunderung genannt als die Schlachten am trasimenischen
See und auf der Ebene von Cannae.


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[405/0419] HAMILKAR UND HANNIBAL. digung nur durch unberechenbare Glücksfälle und noch unbe- rechenbarere Fehler des Feindes möglich ward, den kein be- sonderer nicht vorherzusehender gröſserer Unfall störte und der nicht bloſs solche Opfer kostete, sondern die Armee so strapazirte und demoralisirte, daſs sie einer längeren Rast bedurfte um wieder kampffähig zu werden, ist eine Operation von zweifelhaftem Werthe und es darf in Frage gestellt wer- den, ob Hannibal sie selber als gelungen betrachtete. Ob der ausgezeichnete Führer wegen dieses Feldzugplanes Tadel oder Lob verdient, läſst sich nicht mehr entscheiden; wir sehen wohl die Mängel des von ihm befolgten Operationsplans, nicht aber können wir entscheiden, ob er im Stande war sie vor- herzusehen — führte doch sein Weg durch unbekanntes Bar- barenland — und ob ein anderer Plan, etwa die Küstenstraſse einzuschlagen oder in Cartagena oder Karthago sich einzuschif- fen, ihn geringeren Gefahren ausgesetzt haben würde. Die um- sichtige und meisterhafte Ausführung des Planes im Einzelnen ist auf jeden Fall bewundernswerth und worauf am Ende alles ankam — sei es nun mehr durch die Gunst des Schicksals oder sei es mehr durch die Kunst des Feldherrn, Hamil- kars groſser Gedanke in Italien den Kampf mit Rom aufzu- nehmen, war jetzt zur That geworden. Sein Geist ist es, der diesen Zug entwarf; und wie Steins und Scharnhorsts Auf- gabe schwieriger und groſsartiger war als die von York und Blücher, so hat auch der sichere Tact geschichtlicher Erinne- rung das letzte Glied der groſsen Kette von vorbereitenden Thaten, den Uebergang über die Alpen stets mit gröſserer Bewunderung genannt als die Schlachten am trasimenischen See und auf der Ebene von Cannae.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/419>, abgerufen am 26.04.2024.