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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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bloss -- nach aristokratischer Terminologie -- ein armer Mann,
sondern was schlimmer war, genügsam und ein abgesagter Feind
aller Bestechung und Durchsteckerei. Er verstand keine Feste
zu geben und hielt einen schlechten Koch; nach Soldatenart
war er nicht wählerisch, aber becherte gern, besonders in spä-
teren Jahren. Ebenso übel war es, dass der Consular nur la-
teinisch verstand und die griechische Conversation sich ver-
bitten musste; es konnte Niemand etwas dagegen haben, dass
er bei den griechischen Schauspielen sich langweilte -- er war
vermuthlich nicht der Einzige -- aber dass er sich zu seiner Lan-
geweile bekannte, war naiv. So blieb er Zeit seines Lebens ein un-
ter die Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von
den empfindlichen Stichelworten und dem empfindlicheren Mitlei-
den seiner Collegen, das wie diese selber zu verachten er denn doch
nicht über sich vermochte. Nicht viel weniger wie ausserhalb der
damaligen Gesellschaft stand Marius ausserhalb der Parteien. Die
Massregeln, die er in seinem Volkstribunat (635) durchsetzte, eine
bessere Controle bei der Abgabe der Stimmtäfelchen zur Abstel-
lung der argen dabei stattfindenden Betrügereien, und die Verhin-
derung ausschweifender Anträge zu Spenden an das Volk (S. 122)
tragen nicht den Partei-, am wenigsten den demokratischen Cha-
rakter, sondern zeigen nur, dass ihm Unrechtfertigkeit und Un-
vernunft verhasst war; es konnte überhaupt ein Mann wie die-
ser, Bauer von Geburt und Soldat aus Neigung, unmöglich von
Haus aus revolutionär sein. Die Anfeindungen der Aristokratie
hatten ihn zwar später in das Lager der Gegner der Regierung
getrieben und rasch sah er sich hier auf den Schild gehoben zu-
nächst als Feldherr der Opposition und demnächst vielleicht be-
stimmt zu noch höheren Dingen. Allein es war dies weit mehr
durch die zwingende Gewalt der Verhältnisse und das allgemeine
Bedürfniss der Opposition nach einem Haupte geschehen als
durch sein eigenes Zuthun; war er doch seit seinem Abgang
nach Africa 647/8 kaum einige Male auf kurze Zeit zurückgekehrt
nach der Hauptstadt. Als er jetzt in der zweiten Hälfte des
J. 653, Sieger wie über die Teutonen so über die Kimbrer, nach
Rom zurückkam und der verschobene Triumph nun zwiefach
gefeiert ward, war er entschieden der erste Mann in Rom und
doch zugleich politischer Debütant. Es war unwidersprechlich
ausgemacht, nicht bloss dass Marius Rom gerettet habe, sondern
dass er der einzige Mann sei, der Rom habe retten können; sein
Name war auf allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine ge-
leisteten Dienste an; bei dem Volk war er populär wie keiner vor

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bloſs — nach aristokratischer Terminologie — ein armer Mann,
sondern was schlimmer war, genügsam und ein abgesagter Feind
aller Bestechung und Durchsteckerei. Er verstand keine Feste
zu geben und hielt einen schlechten Koch; nach Soldatenart
war er nicht wählerisch, aber becherte gern, besonders in spä-
teren Jahren. Ebenso übel war es, daſs der Consular nur la-
teinisch verstand und die griechische Conversation sich ver-
bitten muſste; es konnte Niemand etwas dagegen haben, daſs
er bei den griechischen Schauspielen sich langweilte — er war
vermuthlich nicht der Einzige — aber daſs er sich zu seiner Lan-
geweile bekannte, war naiv. So blieb er Zeit seines Lebens ein un-
ter die Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von
den empfindlichen Stichelworten und dem empfindlicheren Mitlei-
den seiner Collegen, das wie diese selber zu verachten er denn doch
nicht über sich vermochte. Nicht viel weniger wie auſserhalb der
damaligen Gesellschaft stand Marius auſserhalb der Parteien. Die
Maſsregeln, die er in seinem Volkstribunat (635) durchsetzte, eine
bessere Controle bei der Abgabe der Stimmtäfelchen zur Abstel-
lung der argen dabei stattfindenden Betrügereien, und die Verhin-
derung ausschweifender Anträge zu Spenden an das Volk (S. 122)
tragen nicht den Partei-, am wenigsten den demokratischen Cha-
rakter, sondern zeigen nur, daſs ihm Unrechtfertigkeit und Un-
vernunft verhaſst war; es konnte überhaupt ein Mann wie die-
ser, Bauer von Geburt und Soldat aus Neigung, unmöglich von
Haus aus revolutionär sein. Die Anfeindungen der Aristokratie
hatten ihn zwar später in das Lager der Gegner der Regierung
getrieben und rasch sah er sich hier auf den Schild gehoben zu-
nächst als Feldherr der Opposition und demnächst vielleicht be-
stimmt zu noch höheren Dingen. Allein es war dies weit mehr
durch die zwingende Gewalt der Verhältnisse und das allgemeine
Bedürfniſs der Opposition nach einem Haupte geschehen als
durch sein eigenes Zuthun; war er doch seit seinem Abgang
nach Africa 647/8 kaum einige Male auf kurze Zeit zurückgekehrt
nach der Hauptstadt. Als er jetzt in der zweiten Hälfte des
J. 653, Sieger wie über die Teutonen so über die Kimbrer, nach
Rom zurückkam und der verschobene Triumph nun zwiefach
gefeiert ward, war er entschieden der erste Mann in Rom und
doch zugleich politischer Debütant. Es war unwidersprechlich
ausgemacht, nicht bloſs daſs Marius Rom gerettet habe, sondern
daſs er der einzige Mann sei, der Rom habe retten können; sein
Name war auf allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine ge-
leisteten Dienste an; bei dem Volk war er populär wie keiner vor

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[182/0192] VIERTES BUCH. KAPITEL VI. bloſs — nach aristokratischer Terminologie — ein armer Mann, sondern was schlimmer war, genügsam und ein abgesagter Feind aller Bestechung und Durchsteckerei. Er verstand keine Feste zu geben und hielt einen schlechten Koch; nach Soldatenart war er nicht wählerisch, aber becherte gern, besonders in spä- teren Jahren. Ebenso übel war es, daſs der Consular nur la- teinisch verstand und die griechische Conversation sich ver- bitten muſste; es konnte Niemand etwas dagegen haben, daſs er bei den griechischen Schauspielen sich langweilte — er war vermuthlich nicht der Einzige — aber daſs er sich zu seiner Lan- geweile bekannte, war naiv. So blieb er Zeit seines Lebens ein un- ter die Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen Stichelworten und dem empfindlicheren Mitlei- den seiner Collegen, das wie diese selber zu verachten er denn doch nicht über sich vermochte. Nicht viel weniger wie auſserhalb der damaligen Gesellschaft stand Marius auſserhalb der Parteien. Die Maſsregeln, die er in seinem Volkstribunat (635) durchsetzte, eine bessere Controle bei der Abgabe der Stimmtäfelchen zur Abstel- lung der argen dabei stattfindenden Betrügereien, und die Verhin- derung ausschweifender Anträge zu Spenden an das Volk (S. 122) tragen nicht den Partei-, am wenigsten den demokratischen Cha- rakter, sondern zeigen nur, daſs ihm Unrechtfertigkeit und Un- vernunft verhaſst war; es konnte überhaupt ein Mann wie die- ser, Bauer von Geburt und Soldat aus Neigung, unmöglich von Haus aus revolutionär sein. Die Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar später in das Lager der Gegner der Regierung getrieben und rasch sah er sich hier auf den Schild gehoben zu- nächst als Feldherr der Opposition und demnächst vielleicht be- stimmt zu noch höheren Dingen. Allein es war dies weit mehr durch die zwingende Gewalt der Verhältnisse und das allgemeine Bedürfniſs der Opposition nach einem Haupte geschehen als durch sein eigenes Zuthun; war er doch seit seinem Abgang nach Africa 647/8 kaum einige Male auf kurze Zeit zurückgekehrt nach der Hauptstadt. Als er jetzt in der zweiten Hälfte des J. 653, Sieger wie über die Teutonen so über die Kimbrer, nach Rom zurückkam und der verschobene Triumph nun zwiefach gefeiert ward, war er entschieden der erste Mann in Rom und doch zugleich politischer Debütant. Es war unwidersprechlich ausgemacht, nicht bloſs daſs Marius Rom gerettet habe, sondern daſs er der einzige Mann sei, der Rom habe retten können; sein Name war auf allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine ge- leisteten Dienste an; bei dem Volk war er populär wie keiner vor

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/192>, abgerufen am 26.04.2024.