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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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115.

Mag nun das, was der Magiker will und sucht, der
besondere Geist, den schon lange immitten seiner Opera-
tionen die Phantasie im dunkeln Sehfeld begrenzt hat, wirklich
auch als leuchtend erscheinen, oder mag es, was gewiß
die Regel ist, bei den Phantasmen des Halbwachens blei-
ben, die Vision als magische ist das letzte, und hier hört
auch alle Magie auf. Weiter als bis zur leuchtenden Er-
scheinung dessen, was die Einbildungskraft schon längst
im Dunkeln gesucht und begrenzt hat, hat es die Magie
wahrscheinlich nie gebracht. Um die Wahrheit der Magie
zu erweisen, kam alles darauf, wirklich Geister erscheinen
zu machen. Ohne die Vision war der Glaube nicht zu erhal-
ten. Wenn man es nun natürlich nie weiter als bis zur
Vision und einen an diese sich anschließenden Traum
bringen konnte, so lag der Fehler, wie man meinte, an der
unvollkommenen Vorbereitung, an der Unreinheit, an den Ce-
remonien, am Unterlaß des Fastens u. a. Aber die Wahrheit
der Magie und die Möglichkeit eines künftigen glücklichern
Versuchs schien durch die Vision erwiesen. Oft kam es
auch nur auf diese Vision an, wie in der bloßen Citation
und in dem Sehen der Verstorbenen, second sight bei den
Nordischen Völkern, auf den Hebriden, in Lappland.

116.

In Hinsicht der geistigen Vorbereitung unterscheidet
sich die religiöse Vision von der magischen, daß bei der
erstern in der höchsten Ekstase des religiösen Schwärmens
und Hingebens die Vision unwillkührlich eintritt, in der
letztern aber der Geist oder Dämon niederer Art erzwun-
gen wird durch einen absurden die eigene Selbsterleuchtung
als Vision bedingenden Willen, der in Drohung und Fluch
ausbrechen kann und dabei also wesentlich bannend ist

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115.

Mag nun das, was der Magiker will und ſucht, der
beſondere Geiſt, den ſchon lange immitten ſeiner Opera-
tionen die Phantaſie im dunkeln Sehfeld begrenzt hat, wirklich
auch als leuchtend erſcheinen, oder mag es, was gewiß
die Regel iſt, bei den Phantasmen des Halbwachens blei-
ben, die Viſion als magiſche iſt das letzte, und hier hoͤrt
auch alle Magie auf. Weiter als bis zur leuchtenden Er-
ſcheinung deſſen, was die Einbildungskraft ſchon laͤngſt
im Dunkeln geſucht und begrenzt hat, hat es die Magie
wahrſcheinlich nie gebracht. Um die Wahrheit der Magie
zu erweiſen, kam alles darauf, wirklich Geiſter erſcheinen
zu machen. Ohne die Viſion war der Glaube nicht zu erhal-
ten. Wenn man es nun natuͤrlich nie weiter als bis zur
Viſion und einen an dieſe ſich anſchließenden Traum
bringen konnte, ſo lag der Fehler, wie man meinte, an der
unvollkommenen Vorbereitung, an der Unreinheit, an den Ce-
remonien, am Unterlaß des Faſtens u. a. Aber die Wahrheit
der Magie und die Moͤglichkeit eines kuͤnftigen gluͤcklichern
Verſuchs ſchien durch die Viſion erwieſen. Oft kam es
auch nur auf dieſe Viſion an, wie in der bloßen Citation
und in dem Sehen der Verſtorbenen, second sight bei den
Nordiſchen Voͤlkern, auf den Hebriden, in Lappland.

116.

In Hinſicht der geiſtigen Vorbereitung unterſcheidet
ſich die religioͤſe Viſion von der magiſchen, daß bei der
erſtern in der hoͤchſten Ekſtaſe des religioͤſen Schwaͤrmens
und Hingebens die Viſion unwillkuͤhrlich eintritt, in der
letztern aber der Geiſt oder Daͤmon niederer Art erzwun-
gen wird durch einen abſurden die eigene Selbſterleuchtung
als Viſion bedingenden Willen, der in Drohung und Fluch
ausbrechen kann und dabei alſo weſentlich bannend iſt

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[65/0081] 115. Mag nun das, was der Magiker will und ſucht, der beſondere Geiſt, den ſchon lange immitten ſeiner Opera- tionen die Phantaſie im dunkeln Sehfeld begrenzt hat, wirklich auch als leuchtend erſcheinen, oder mag es, was gewiß die Regel iſt, bei den Phantasmen des Halbwachens blei- ben, die Viſion als magiſche iſt das letzte, und hier hoͤrt auch alle Magie auf. Weiter als bis zur leuchtenden Er- ſcheinung deſſen, was die Einbildungskraft ſchon laͤngſt im Dunkeln geſucht und begrenzt hat, hat es die Magie wahrſcheinlich nie gebracht. Um die Wahrheit der Magie zu erweiſen, kam alles darauf, wirklich Geiſter erſcheinen zu machen. Ohne die Viſion war der Glaube nicht zu erhal- ten. Wenn man es nun natuͤrlich nie weiter als bis zur Viſion und einen an dieſe ſich anſchließenden Traum bringen konnte, ſo lag der Fehler, wie man meinte, an der unvollkommenen Vorbereitung, an der Unreinheit, an den Ce- remonien, am Unterlaß des Faſtens u. a. Aber die Wahrheit der Magie und die Moͤglichkeit eines kuͤnftigen gluͤcklichern Verſuchs ſchien durch die Viſion erwieſen. Oft kam es auch nur auf dieſe Viſion an, wie in der bloßen Citation und in dem Sehen der Verſtorbenen, second sight bei den Nordiſchen Voͤlkern, auf den Hebriden, in Lappland. 116. In Hinſicht der geiſtigen Vorbereitung unterſcheidet ſich die religioͤſe Viſion von der magiſchen, daß bei der erſtern in der hoͤchſten Ekſtaſe des religioͤſen Schwaͤrmens und Hingebens die Viſion unwillkuͤhrlich eintritt, in der letztern aber der Geiſt oder Daͤmon niederer Art erzwun- gen wird durch einen abſurden die eigene Selbſterleuchtung als Viſion bedingenden Willen, der in Drohung und Fluch ausbrechen kann und dabei alſo weſentlich bannend iſt 5

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/81>, abgerufen am 26.04.2024.