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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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Ausdruck der Schifffahrten unternehmender Rhodier im
westlichen Meere zu verstehen sein.

5.

Aber fast noch schwieriger ist es, das wahre
geschichtliche Verhältniß einer Anzahl kleinasiatischer
Städte zu bestimmen, welche die Sage Colonieen von
Argos, und zwar meist uralte Colonien nennt. Aber
nur historischer Aberglaube kann es glaublich finden,
daß Tarsos von der Jo oder Perseus dem Argeier
gestiftet sei 1, den man dort nebst seinem Nachkommen
Herakles als Tutelargottheit verehrte 2, daß Mallos,
Mopsuestia, Mopsukrene, Phaselis
Argivische
Weissager um die Zeit des Troerkrieges gegründet hät-
ten 3. Dazu kommen noch Aspendos bei Pamphylien,
Kurion in Kypros, ja selbst Jone bei Antiochia in
Syrien 4, deren Anlegung den Argeiern beigemessen wird.
Abgesehen von der Zeit, in der die alten Peloponnesier
so ausgedehnte -- damals unmögliche -- Schifffahrten
um die Chelidonien unternommen haben sollen, so ist
es überhaupt höchst seltsam, daß Argos, welches in
keiner Periode unter den seefahrenden Völkern Griechen-
lands erwähnt wird, grade an jenem Küstenstriche eine
so zusammenhängende -- und doch für Argos völlig
nutzlose -- Reihe von Colonien angepflanzt habe. Wir
wagen, eine Ansicht anzusprechen, zu der vielleicht
keine vollständigen Beweise, aber doch genug leitende
Spuren vorhanden: daß alle diese Städte Colonien der
Rhodier, aber nach einer häufig vorkommenden Form
der Colonienführung, im Namen der Metropolis Ar-

1 S. R. Roch. 2. S. 124. der auch an den Sieg des Per-
seus über Sardanapal glaubt.
2 S. besonders Dio Chrysost.
Tarsische Rede 33. S. 394. 406. 408. Herakles hieß arkhegos, und
ihm wurde an seinem Feste ein Rogus gebaut. vgl. Athen. 5,
215 b. von dem Stephanephoros des Herakles zu Tarsos.
3 2.
S. 403 ff.
4 Steph. Byz. Ione.

Ausdruck der Schifffahrten unternehmender Rhodier im
weſtlichen Meere zu verſtehen ſein.

5.

Aber faſt noch ſchwieriger iſt es, das wahre
geſchichtliche Verhaͤltniß einer Anzahl kleinaſiatiſcher
Staͤdte zu beſtimmen, welche die Sage Colonieen von
Argos, und zwar meiſt uralte Colonien nennt. Aber
nur hiſtoriſcher Aberglaube kann es glaublich finden,
daß Tarſos von der Jo oder Perſeus dem Argeier
geſtiftet ſei 1, den man dort nebſt ſeinem Nachkommen
Herakles als Tutelargottheit verehrte 2, daß Mallos,
Mopſueſtia, Mopſukrene, Phaſelis
Argiviſche
Weiſſager um die Zeit des Troerkrieges gegruͤndet haͤt-
ten 3. Dazu kommen noch Aspendos bei Pamphylien,
Kurion in Kypros, ja ſelbſt Jone bei Antiochia in
Syrien 4, deren Anlegung den Argeiern beigemeſſen wird.
Abgeſehen von der Zeit, in der die alten Peloponneſier
ſo ausgedehnte — damals unmoͤgliche — Schifffahrten
um die Chelidonien unternommen haben ſollen, ſo iſt
es uͤberhaupt hoͤchſt ſeltſam, daß Argos, welches in
keiner Periode unter den ſeefahrenden Voͤlkern Griechen-
lands erwaͤhnt wird, grade an jenem Kuͤſtenſtriche eine
ſo zuſammenhaͤngende — und doch fuͤr Argos voͤllig
nutzloſe — Reihe von Colonien angepflanzt habe. Wir
wagen, eine Anſicht anzuſprechen, zu der vielleicht
keine vollſtaͤndigen Beweiſe, aber doch genug leitende
Spuren vorhanden: daß alle dieſe Staͤdte Colonien der
Rhodier, aber nach einer haͤufig vorkommenden Form
der Colonienfuͤhrung, im Namen der Metropolis Ar-

1 S. R. Roch. 2. S. 124. der auch an den Sieg des Per-
ſeus uͤber Sardanapal glaubt.
2 S. beſonders Dio Chryſoſt.
Tarſiſche Rede 33. S. 394. 406. 408. Herakles hieß ἀϱχηγὸς, und
ihm wurde an ſeinem Feſte ein Rogus gebaut. vgl. Athen. 5,
215 b. von dem Stephanephoros des Herakles zu Tarſos.
3 2.
S. 403 ff.
4 Steph. Byz. Ἰώνη.
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[112/0142] Ausdruck der Schifffahrten unternehmender Rhodier im weſtlichen Meere zu verſtehen ſein. 5. Aber faſt noch ſchwieriger iſt es, das wahre geſchichtliche Verhaͤltniß einer Anzahl kleinaſiatiſcher Staͤdte zu beſtimmen, welche die Sage Colonieen von Argos, und zwar meiſt uralte Colonien nennt. Aber nur hiſtoriſcher Aberglaube kann es glaublich finden, daß Tarſos von der Jo oder Perſeus dem Argeier geſtiftet ſei 1, den man dort nebſt ſeinem Nachkommen Herakles als Tutelargottheit verehrte 2, daß Mallos, Mopſueſtia, Mopſukrene, Phaſelis Argiviſche Weiſſager um die Zeit des Troerkrieges gegruͤndet haͤt- ten 3. Dazu kommen noch Aspendos bei Pamphylien, Kurion in Kypros, ja ſelbſt Jone bei Antiochia in Syrien 4, deren Anlegung den Argeiern beigemeſſen wird. Abgeſehen von der Zeit, in der die alten Peloponneſier ſo ausgedehnte — damals unmoͤgliche — Schifffahrten um die Chelidonien unternommen haben ſollen, ſo iſt es uͤberhaupt hoͤchſt ſeltſam, daß Argos, welches in keiner Periode unter den ſeefahrenden Voͤlkern Griechen- lands erwaͤhnt wird, grade an jenem Kuͤſtenſtriche eine ſo zuſammenhaͤngende — und doch fuͤr Argos voͤllig nutzloſe — Reihe von Colonien angepflanzt habe. Wir wagen, eine Anſicht anzuſprechen, zu der vielleicht keine vollſtaͤndigen Beweiſe, aber doch genug leitende Spuren vorhanden: daß alle dieſe Staͤdte Colonien der Rhodier, aber nach einer haͤufig vorkommenden Form der Colonienfuͤhrung, im Namen der Metropolis Ar- 1 S. R. Roch. 2. S. 124. der auch an den Sieg des Per- ſeus uͤber Sardanapal glaubt. 2 S. beſonders Dio Chryſoſt. Tarſiſche Rede 33. S. 394. 406. 408. Herakles hieß ἀϱχηγὸς, und ihm wurde an ſeinem Feſte ein Rogus gebaut. vgl. Athen. 5, 215 b. von dem Stephanephoros des Herakles zu Tarſos. 3 2. S. 403 ff. 4 Steph. Byz. Ἰώνη.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/142>, abgerufen am 26.04.2024.