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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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bei Päanen den Namen der Pythischen 1. Doch wur-
den wieder aulodische Aufführungen in lyrischen und
elegischen Maaßen, nachdem man sie ein einziges mal
angehört hatte, von den Pythien ausgeschlossen, weil
sie einen zu düstern Eindruck gemacht 2. Denn über-
haupt ist das Düstere, Traurige, weichlich Klagende,
wie dem Dienste des Gottes überhaupt, so seiner Tem-
pelmusik fremd und zuwider, die in ernsten und männ-
lichen Tönen eine heitere Ruhe und Ordnung über den
Geist auszubreiten strebt.

12.

Aus diesem Gesichtspunkte werden wir auch
die wunderliche Nachricht von dem Wettstreite Apollons
mit Linos, und wie er diesen als Ueberwinder tödtet 3,
verstehen lernen. Was Linos eigentlich sei: muß ich
mir erlauben mit wenig Worten anzudeuten, ohne den
Gang der Forschung ausführlich darzulegen. Der Ge-
genstand des Gesanges Linos ist ursprünglich ein Gott
jener Naturreligionen, die den steten Tod alles blü-
henden Lebens so ergreifend darstellen, dem Narkissos
(dem Erstarrten) nahe verwandt: man zeigte zu The-
ben und zu Argos sein Grab, und an letzterem Orte
beklagten ihn Frauen und Jungfrauen im Monat Ar-
neios als einen unter Lämmern erzogenen und von Hun-
den zerrissenen Knaben 4, womit ein Fest Arnis oder
Kynophontis zusammenhing, an dem man eine Menge
von Hunden öffentlich todt schlug 5; offenbar bedeutet

1 oder völligen (teleioi auloi), Aristid. de mus. 2. p. 101 Meih.
2 Paus. 2, 22, 9.
3 Paus. 9, 29, 3. Philochor. bei Eust. Il. S.
1163, 57 Rom.
4 Konon 19. Paus. 2, 19, 1. (sein Grab
im Tempel Ap.) vgl. Properz 2, 10, 8. threnos Argeios. Aristid.
Eleus. S. 259. Apoll ist nur sein poetischer Bater (Apolld. 1, 3,
2. Theokrit, Eust.), aber die Mutter Psamathe und der Bruder
Psamathos müssen etwas bedeuten.
5 Konon a. O. Athen.
3, 99 f.

bei Paͤanen den Namen der Pythiſchen 1. Doch wur-
den wieder aulodiſche Auffuͤhrungen in lyriſchen und
elegiſchen Maaßen, nachdem man ſie ein einziges mal
angehoͤrt hatte, von den Pythien ausgeſchloſſen, weil
ſie einen zu duͤſtern Eindruck gemacht 2. Denn uͤber-
haupt iſt das Duͤſtere, Traurige, weichlich Klagende,
wie dem Dienſte des Gottes uͤberhaupt, ſo ſeiner Tem-
pelmuſik fremd und zuwider, die in ernſten und maͤnn-
lichen Toͤnen eine heitere Ruhe und Ordnung uͤber den
Geiſt auszubreiten ſtrebt.

12.

Aus dieſem Geſichtspunkte werden wir auch
die wunderliche Nachricht von dem Wettſtreite Apollons
mit Linos, und wie er dieſen als Ueberwinder toͤdtet 3,
verſtehen lernen. Was Linos eigentlich ſei: muß ich
mir erlauben mit wenig Worten anzudeuten, ohne den
Gang der Forſchung ausfuͤhrlich darzulegen. Der Ge-
genſtand des Geſanges Λίνος iſt urſpruͤnglich ein Gott
jener Naturreligionen, die den ſteten Tod alles bluͤ-
henden Lebens ſo ergreifend darſtellen, dem Narkiſſos
(dem Erſtarrten) nahe verwandt: man zeigte zu The-
ben und zu Argos ſein Grab, und an letzterem Orte
beklagten ihn Frauen und Jungfrauen im Monat Ar-
neios als einen unter Laͤmmern erzogenen und von Hun-
den zerriſſenen Knaben 4, womit ein Feſt Arnis oder
Kynophontis zuſammenhing, an dem man eine Menge
von Hunden oͤffentlich todt ſchlug 5; offenbar bedeutet

1 oder voͤlligen (τέλειοι αὐλοὶ), Ariſtid. de mus. 2. p. 101 Meih.
2 Pauſ. 2, 22, 9.
3 Pauſ. 9, 29, 3. Philochor. bei Euſt. Il. S.
1163, 57 Rom.
4 Konon 19. Pauſ. 2, 19, 1. (ſein Grab
im Tempel Ap.) vgl. Properz 2, 10, 8. ϑϱῆνος Ἀϱγεῖος. Ariſtid.
Eleuſ. S. 259. Apoll iſt nur ſein poëtiſcher Bater (Apolld. 1, 3,
2. Theokrit, Euſt.), aber die Mutter Pſamathe und der Bruder
Pſamathos muͤſſen etwas bedeuten.
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3, 99 f.
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[346/0376] bei Paͤanen den Namen der Pythiſchen 1. Doch wur- den wieder aulodiſche Auffuͤhrungen in lyriſchen und elegiſchen Maaßen, nachdem man ſie ein einziges mal angehoͤrt hatte, von den Pythien ausgeſchloſſen, weil ſie einen zu duͤſtern Eindruck gemacht 2. Denn uͤber- haupt iſt das Duͤſtere, Traurige, weichlich Klagende, wie dem Dienſte des Gottes uͤberhaupt, ſo ſeiner Tem- pelmuſik fremd und zuwider, die in ernſten und maͤnn- lichen Toͤnen eine heitere Ruhe und Ordnung uͤber den Geiſt auszubreiten ſtrebt. 12. Aus dieſem Geſichtspunkte werden wir auch die wunderliche Nachricht von dem Wettſtreite Apollons mit Linos, und wie er dieſen als Ueberwinder toͤdtet 3, verſtehen lernen. Was Linos eigentlich ſei: muß ich mir erlauben mit wenig Worten anzudeuten, ohne den Gang der Forſchung ausfuͤhrlich darzulegen. Der Ge- genſtand des Geſanges Λίνος iſt urſpruͤnglich ein Gott jener Naturreligionen, die den ſteten Tod alles bluͤ- henden Lebens ſo ergreifend darſtellen, dem Narkiſſos (dem Erſtarrten) nahe verwandt: man zeigte zu The- ben und zu Argos ſein Grab, und an letzterem Orte beklagten ihn Frauen und Jungfrauen im Monat Ar- neios als einen unter Laͤmmern erzogenen und von Hun- den zerriſſenen Knaben 4, womit ein Feſt Arnis oder Kynophontis zuſammenhing, an dem man eine Menge von Hunden oͤffentlich todt ſchlug 5; offenbar bedeutet 1 oder voͤlligen (τέλειοι αὐλοὶ), Ariſtid. de mus. 2. p. 101 Meih. 2 Pauſ. 2, 22, 9. 3 Pauſ. 9, 29, 3. Philochor. bei Euſt. Il. S. 1163, 57 Rom. 4 Konon 19. Pauſ. 2, 19, 1. (ſein Grab im Tempel Ap.) vgl. Properz 2, 10, 8. ϑϱῆνος Ἀϱγεῖος. Ariſtid. Eleuſ. S. 259. Apoll iſt nur ſein poëtiſcher Bater (Apolld. 1, 3, 2. Theokrit, Euſt.), aber die Mutter Pſamathe und der Bruder Pſamathos muͤſſen etwas bedeuten. 5 Konon a. O. Athen. 3, 99 f.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/376>, abgerufen am 26.04.2024.