Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

verbanden sich diese Individualitäten wieder zu einem
Ganzen, indem im Cultus sowohl als durch die Dichter
neue von den frühern oft grundverschiedne Verhältnisse
bestimmt wurden.

12.

Die Sprache des griechischen Urstamms (neben
der Religion die älteste Urkunde der Geschichte) muß,
wenn man aus innerer Consequenz, dialektischen Spu-
ren, und der Vergleichung des Lateinischen argumentirt,
einen höchst kunstreichen Organismus starken und bedeuten-
der Flexionen und Formationen gehabt haben, den die
spätere griechische oft sehr abschliff; in der ältesten Zeit
galt Schärfe und Präcision in Angabe der Stamm- wie
der Beugungslaute noch höher als die Leichtigkeit der
Aussprache. Wo sich die alte Zunge erhalten hatte,
mochte sie den Spätern rauh und fremdtönend vorkom-
men; deren Sprache auch gegen das Lateinische in vieler
Art verzärtelt war. Aber die Eigenheiten des ächt Dori-
schen Dialekts, welche sich wahrscheinlich auch zum Theil
im Aetolischen zeigten, sind da, wo sie nicht bloß aus treuer
Bewahrung des Alterthümlichen hervorgegangen sind,
wirkliche Ausweichungen aus der Ursprache, und finden
sich daher nicht im Latein, sie tragen, wenn ich so sa-
gen darf, einen nördlichen Charakter 1. Es kann wohl
keinem andern Umstand als Einwanderungen, und be-
sonders der Dorischen, beigeschrieben werden, daß der
Artikel, dessen das Latein und der epische Dialekt ent-
behrt, eintrat; die Einführung desselben ist fast wie in
den romanischen Sprachen als Zeichen einer großen Um-
wälzung anzusehen. Die Eigenthümlichkeit des Dorischen
Dialekts muß im Ganzen schon in den Jahrhunderten

1 Merkwürdig, daß die Masculin-Endungen auf r, der
Spir. asper zwischen Vokalen mitten im Stammwort sich gerade
auch im Deutschen finden.

verbanden ſich dieſe Individualitaͤten wieder zu einem
Ganzen, indem im Cultus ſowohl als durch die Dichter
neue von den fruͤhern oft grundverſchiedne Verhaͤltniſſe
beſtimmt wurden.

12.

Die Sprache des griechiſchen Urſtamms (neben
der Religion die aͤlteſte Urkunde der Geſchichte) muß,
wenn man aus innerer Conſequenz, dialektiſchen Spu-
ren, und der Vergleichung des Lateiniſchen argumentirt,
einen hoͤchſt kunſtreichen Organismus ſtarken und bedeuten-
der Flexionen und Formationen gehabt haben, den die
ſpaͤtere griechiſche oft ſehr abſchliff; in der aͤlteſten Zeit
galt Schaͤrfe und Praͤciſion in Angabe der Stamm- wie
der Beugungslaute noch hoͤher als die Leichtigkeit der
Ausſprache. Wo ſich die alte Zunge erhalten hatte,
mochte ſie den Spaͤtern rauh und fremdtoͤnend vorkom-
men; deren Sprache auch gegen das Lateiniſche in vieler
Art verzaͤrtelt war. Aber die Eigenheiten des aͤcht Dori-
ſchen Dialekts, welche ſich wahrſcheinlich auch zum Theil
im Aetoliſchen zeigten, ſind da, wo ſie nicht bloß aus treuer
Bewahrung des Alterthuͤmlichen hervorgegangen ſind,
wirkliche Ausweichungen aus der Urſprache, und finden
ſich daher nicht im Latein, ſie tragen, wenn ich ſo ſa-
gen darf, einen noͤrdlichen Charakter 1. Es kann wohl
keinem andern Umſtand als Einwanderungen, und be-
ſonders der Doriſchen, beigeſchrieben werden, daß der
Artikel, deſſen das Latein und der epiſche Dialekt ent-
behrt, eintrat; die Einfuͤhrung deſſelben iſt faſt wie in
den romaniſchen Sprachen als Zeichen einer großen Um-
waͤlzung anzuſehen. Die Eigenthuͤmlichkeit des Doriſchen
Dialekts muß im Ganzen ſchon in den Jahrhunderten

1 Merkwuͤrdig, daß die Masculin-Endungen auf ϱ, der
Spir. aſper zwiſchen Vokalen mitten im Stammwort ſich gerade
auch im Deutſchen finden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0045" n="15"/>
verbanden &#x017F;ich die&#x017F;e Individualita&#x0364;ten wieder zu einem<lb/>
Ganzen, indem im Cultus &#x017F;owohl als durch die Dichter<lb/>
neue von den fru&#x0364;hern oft grundver&#x017F;chiedne Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
be&#x017F;timmt wurden.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>12.</head><lb/>
          <p>Die Sprache des griechi&#x017F;chen Ur&#x017F;tamms (neben<lb/>
der Religion die a&#x0364;lte&#x017F;te Urkunde der Ge&#x017F;chichte) muß,<lb/>
wenn man aus innerer Con&#x017F;equenz, dialekti&#x017F;chen Spu-<lb/>
ren, und der Vergleichung des Lateini&#x017F;chen argumentirt,<lb/>
einen ho&#x0364;ch&#x017F;t kun&#x017F;treichen Organismus &#x017F;tarken und bedeuten-<lb/>
der Flexionen und Formationen gehabt haben, den die<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;tere griechi&#x017F;che oft &#x017F;ehr ab&#x017F;chliff; in der a&#x0364;lte&#x017F;ten Zeit<lb/>
galt Scha&#x0364;rfe und Pra&#x0364;ci&#x017F;ion in Angabe der Stamm- wie<lb/>
der Beugungslaute noch ho&#x0364;her als die Leichtigkeit der<lb/>
Aus&#x017F;prache. Wo &#x017F;ich die alte Zunge erhalten hatte,<lb/>
mochte &#x017F;ie den Spa&#x0364;tern rauh und fremdto&#x0364;nend vorkom-<lb/>
men; deren Sprache auch gegen das Lateini&#x017F;che in vieler<lb/>
Art verza&#x0364;rtelt war. Aber die Eigenheiten des a&#x0364;cht Dori-<lb/>
&#x017F;chen Dialekts, welche &#x017F;ich wahr&#x017F;cheinlich auch zum Theil<lb/>
im Aetoli&#x017F;chen zeigten, &#x017F;ind da, wo &#x017F;ie nicht bloß aus treuer<lb/>
Bewahrung des Alterthu&#x0364;mlichen hervorgegangen &#x017F;ind,<lb/>
wirkliche Ausweichungen aus der Ur&#x017F;prache, und finden<lb/>
&#x017F;ich daher nicht im Latein, &#x017F;ie tragen, wenn ich &#x017F;o &#x017F;a-<lb/>
gen darf, einen no&#x0364;rdlichen Charakter <note place="foot" n="1">Merkwu&#x0364;rdig, daß die Masculin-Endungen auf &#x03F1;, der<lb/>
Spir. a&#x017F;per zwi&#x017F;chen Vokalen mitten im Stammwort &#x017F;ich gerade<lb/>
auch im Deut&#x017F;chen finden.</note>. Es kann wohl<lb/>
keinem andern Um&#x017F;tand als Einwanderungen, und be-<lb/>
&#x017F;onders der Dori&#x017F;chen, beige&#x017F;chrieben werden, daß der<lb/>
Artikel, de&#x017F;&#x017F;en das Latein und der epi&#x017F;che Dialekt ent-<lb/>
behrt, eintrat; die Einfu&#x0364;hrung de&#x017F;&#x017F;elben i&#x017F;t fa&#x017F;t wie in<lb/>
den romani&#x017F;chen Sprachen als Zeichen einer großen Um-<lb/>
wa&#x0364;lzung anzu&#x017F;ehen. Die Eigenthu&#x0364;mlichkeit des Dori&#x017F;chen<lb/>
Dialekts muß im Ganzen &#x017F;chon in den Jahrhunderten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0045] verbanden ſich dieſe Individualitaͤten wieder zu einem Ganzen, indem im Cultus ſowohl als durch die Dichter neue von den fruͤhern oft grundverſchiedne Verhaͤltniſſe beſtimmt wurden. 12. Die Sprache des griechiſchen Urſtamms (neben der Religion die aͤlteſte Urkunde der Geſchichte) muß, wenn man aus innerer Conſequenz, dialektiſchen Spu- ren, und der Vergleichung des Lateiniſchen argumentirt, einen hoͤchſt kunſtreichen Organismus ſtarken und bedeuten- der Flexionen und Formationen gehabt haben, den die ſpaͤtere griechiſche oft ſehr abſchliff; in der aͤlteſten Zeit galt Schaͤrfe und Praͤciſion in Angabe der Stamm- wie der Beugungslaute noch hoͤher als die Leichtigkeit der Ausſprache. Wo ſich die alte Zunge erhalten hatte, mochte ſie den Spaͤtern rauh und fremdtoͤnend vorkom- men; deren Sprache auch gegen das Lateiniſche in vieler Art verzaͤrtelt war. Aber die Eigenheiten des aͤcht Dori- ſchen Dialekts, welche ſich wahrſcheinlich auch zum Theil im Aetoliſchen zeigten, ſind da, wo ſie nicht bloß aus treuer Bewahrung des Alterthuͤmlichen hervorgegangen ſind, wirkliche Ausweichungen aus der Urſprache, und finden ſich daher nicht im Latein, ſie tragen, wenn ich ſo ſa- gen darf, einen noͤrdlichen Charakter 1. Es kann wohl keinem andern Umſtand als Einwanderungen, und be- ſonders der Doriſchen, beigeſchrieben werden, daß der Artikel, deſſen das Latein und der epiſche Dialekt ent- behrt, eintrat; die Einfuͤhrung deſſelben iſt faſt wie in den romaniſchen Sprachen als Zeichen einer großen Um- waͤlzung anzuſehen. Die Eigenthuͤmlichkeit des Doriſchen Dialekts muß im Ganzen ſchon in den Jahrhunderten 1 Merkwuͤrdig, daß die Masculin-Endungen auf ϱ, der Spir. aſper zwiſchen Vokalen mitten im Stammwort ſich gerade auch im Deutſchen finden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/45
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/45>, abgerufen am 26.04.2024.